Probierpferd und Sodabrunnen
Besprechung der Ausstellung »Kauft bei Juden! Geschichte einer Wiener Geschäftskultur« im Jüdischen Museum Wien, kuratiert von Astrid PeterleHemmungslosen Manchesterliberalismus attestierte man dem Großkapital, das der kleinen Käuferin mit fiesen Mitteln das Ersparte aus der Tasche zog. Dabei schreckte man, wie alarmierte Politiker konstatierten, auch nicht davor zurück, hormonelle Extremzustände im Rahmen von Menstruation oder Schwangerschaft auszunutzen. Kleptomanie als weibliches Phänomen wurde ein Thema.
Warenangebot und Präsentation der Warenhäuser waren in erster Linie auf Frauen ausgerichtet. Das Aufkommen der aufwändig ausgestatteten, luxuriösen Konsumtempel, beleuchtet, geheizt, ohne Kaufzwang und mit zahllosen kostenfreien Annehmlichkeiten wie Sodabrunnen, Lese- und Schreibsälen, Wintergärten, Konversations- und Ruheräumen, trug auch entscheidend dazu bei, dass Frauen die Möglichkeit gegeben war, sich allein in der Öffentlichkeit zu zeigen, ohne ihren Ruf aufs Spiel zu setzen. Auf der anderen Seite waren die Warenhäuser ein existenzielles Problem für kleine Händler traditionellen Zuschnitts, die mit Angebot und Preisen nicht konkurrieren konnten – wie es u. a. Emile Zola in seinem Roman Au bonheur des dames beschreibt.
Wien war in der Weltgeschichte der Warenhäuser (im damaligen Sprachgebrauch unterschieden von Kaufhäusern, die nur Waren einer Sparte anboten) bestenfalls eine Fußnote – im Vergleich zu England, Frankreich, den USA und Deutschland setzten sich die großen Häuser hier nur zögerlich durch. Dennoch war die Furcht vor dem Verschwinden des Kleinhandels groß, und sie brachte viel Unappetitliches mit sich. So bedauerte die christlichsoziale Reichspost anlässlich der Eröffnung des Warenhauses Zur großen Fabrik im Jahr 1895, »in einem Geschäftszweige, der in Österreich bisher ausschließlich ein Ausbeuteobject in Judenhänden war, nunmehr auch einem Christen begegnen zu müssen […] Der christliche Geschäftsgeist soll sich andere Pfade suchen, als die von Juden ausgetretenen Pfade, welche zur Vernichtung zahlloser, christlicher, hart arbeitender Existenzen führen.« Die Schmähung galt dem erzkatholischen Stefan Esders und seiner – auch als Alternative zu den jüdischen Kaufhäusern gedachten – Wiener Filiale an der Ecke Mariahilfer Straße / Karl-Schweighofer-Gasse.
Dass die Begründer der großen Warenhäuser tatsächlich großteils jüdischer Herkunft waren, hängt mit ihren Ursprüngen zusammen, die fast immer im Textilhandel lagen. Auf diesen konzentriert sich auch die von Astrid Peterle kuratierte Ausstellung des Jüdischen Museums Wien. Sie arbeitet anhand von Fallbeispielen die Kulturgeschichte der Wiener Warenhäuser ebenso auf wie die kleinerer Textil-geschäfte und Konfektionshäuser wie Krupnik, Braun & Cie., des von Ella Zirner-Zwieback geführten Kaufhauses Zwieback und des bis heute existierenden Jungmann & Neffe.
Viele von ihnen gingen in die Architekturgeschichte ein, wie Goldman & Salatsch als Bauherren des Loos-Hauses am Michaelerplatz, die auf Kaufhäuser im Orient spezialisierte Wiener Firma S. Stein, deren nicht realisierte Filiale in Alexandria Loos entwarf, oder der noch bestehende Herrenausstatter Knizˇe, dessen Stammhaus am Graben ebenfalls von Adolf Loos gestaltet wurde. Die geschiedene Frau des Knizˇe-Chefs Fritz Wolff, Helene Wolff-Budischowsky, machte sich in den 1930er Jahren mit einer Damenboutique am Graben selbstständig, die der Architekt Rudolf Baumfeld und der Knizˇe-Designer Ernst Deutsch-Dryden in zeitgemäß elegantem Purismus und damit in einer würdigen Nachfolge des Loos’schen Geschäfts in unmittelbarer Nähe gestalteten.
Heute Standort einer deutschen Textilkette, ist die vom jüdischen Architekten Maximilian Katscher entworfene Fassade des einstigen Kaufhauses Herzmansky in der Stiftgasse als Zeugnis internationaler Warenhausarchitektur zumindest baulich erhalten. Verschwunden und durch Nachfolgebauten ersetzt sind das von Otto Wagner mit Jozˇe Plec´nik entworfene hochelegante Kaufhaus Neumann in der Kärntner Straße, der Gerngroß-Altbau von Fellner & Helmer, einst ein einzigartiges Zeugnis französisch-belgischen Jugendstils in Wien, und andere Kaufhäuser des Erfolgsbüros wie das Teppichhaus Schein oder der zu seiner Zeit legendäre Rothberger gegenüber dem Stephansdom – diesen steckte die Wiener Bevölkerung 1945 in Brand, um nach exzessiven Plünderungen Spuren zu verwischen. Die Folgen sind bekannt: Funkenflug setzte den gotischen Dachstuhl des benachbarten Stephansdoms in Brand.
Erzählt wird die vielschichtige Historie der Wiener jüdischen Textilkauf- und Warenhäuser anhand von Originaldokumenten wie historischen Fotografien, Arbeitsbüchern, Geschäftsschildern, Hauszeichen (etwa dem Polospieler von Knize), Ballspenden und Verpackungen, aber auch einem über ein Treppchen zu besteigenden hölzernen Pferderücken, auf dem bei Goldman & Salatsch Reithosen angemessen wurden. Die Gestaltung nimmt das Thema der Ausstellung auf, indem sie die Exponate wie zum Verkauf stehende Waren in an Geschäftsfassaden erinnernden Vitrinen mit dezenter Beschriftung in klassischen Goldlettern präsentiert, darunter historische Kleidungsstücke der 1910er- bis 1930er-Jahre aus den vorgestellten Wiener Modellhäusern.
Ein weiteres Thema ist das Textilviertel rund um Rudolfs- und Börseplatz, mit weniger glamourösen Geschäftsräumen, aber einer lebendigen Geschichte, die sich, unterbrochen, aber nicht abgebrochen durch die NS-Zeit, teils bis in die 1970er Jahre fortsetzte, heute aber nur noch in minimalen Resten weiterlebt. Zur Vertiefung dieser großteils von jüdischen Protagonisten und Protagonistinnen getragenen zentralen Kapitel der Wiener Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts empfiehlt sich neben Andreas Lehnes Standardwerk zu Wiener Warenhäusern nicht zuletzt auch der umfassende Ausstellungskatalog.
Iris Meder