Raum, Zeit, (Dis)Kontinuität
Besprechung von »Die Hermetische Garage« von MoebiusIn einem Interview aus 1991, nach dem fantastischen Potenzial des Mediums Comic gefragt, antwortete der französische Künstler Moebius: „Wenn ich eine Geschichte wie die Hermetische Garage mache, versuche ich mich dabei in einen Zustand des reinen Amüsements zu versetzen. Alles soll Entspannung sein. Alles ist erlaubt, nichts zu töricht. Es ist ein Spiel mit mir selbst, aber auch eines mit den Lesern.“ Sein nun in Neuauflage wieder zugänglich gemachter Klassiker, eben Die Hermetische Garage (1976-1980), entspricht ganz genau dem poetologischen Duktus, der sich aus seiner Aussage ableiten ließe. Abseits aller erzählerischer und darstellerischer Konventionen entwickelte er in dieser Arbeit eine Verweigerungshaltung der produktiven Paradoxien und der extremen Leseanforderungen: Oberflächlich wie eine Science-Fiction-Story in Fortsetzungsmanier gestaltet, in der sich auch zahlreiche architektonische Verspieltheiten nachweisen lassen, bricht Moebius auf jeder nur denkbaren strukturell-formalen Ebene mit den Erwartungshaltungen seines Publikums: Die Aufeinanderfolge von Sequenzen scheint willkürlich, vermeintlich erläuternde Textkästen tragen nur zur weiteren Verwirrung und Verkomplizierung der Handlung bei, Zusammenfassungen bieten Informationen zu Begebenheiten, die in den vorausgegangenen Seiten des Werks nicht zu sehen waren. Da heißt es bezeichnenderweise etwa: „In der Hermetischen Garage kann immer noch alles passieren.“ Entsprechend liest sich auch die versuchsweise Inhaltsangabe, die, hier ist sich die Forschungsliteratur einig, immer nur ungenügende Skizze bleiben kann: Major Grubert bewohnt, ganz dem Gestus der literarischen Utopie verpflichtet, auf dem Asteroiden sein eigenes, privates Universum. Einer seiner Techniker, Barnier mit Namen, beschädigt eine Maschine und begibt sich auf eine Flucht, wo er in Erfahrung bringt, dass Grubert das Geheimnis der Unsterblichkeit besitzt. Parallel ermittelt Grubert gegen Jerry Cornelius – eine geniale Entlehnung aus dem Erzähluniversum des Briten Michael Moorcocks – mit dem er sich erst gegen Ende der Handlung zu versöhnen scheint. Unterdessen sucht die Figur Dalxtré nach Eric, dem Bruder des mysteriösen Cornelius, und durchwandert dabei zahlreiche Welten. Die durch einen Flugzeugabschuss ausgelöste Zerstörung Fleurs treibt die Hauptfiguren schließlich zu einer Begegnung mit dem Überwesen Bakelit – „le maître de la vie et de la mort“, wie es im Original so schön heißt –, dessen Anwesenheit erst durch den erwähnten Maschinenschaden ermöglicht wird. Grubert, der sich bedroht sieht, flüchtet – und dies ist als Auflösung nicht weniger fordernd, wie die gesamte Handlung an sich – in unsere Realität und findet sich in der Pariser Metro wieder. Die Hermetik der spezifischen Garage scheint also mit diesem Finale zumindest in Teilen aufgehoben; das Erzählen über Raumentwürfe bzw. die Verbindung von narrativer Struktur und der Bedeutung der räumlichen Dimension für die Arbeit an sich wird dabei umso evidenter.
Die beschädigte Maschine, das ist die abgestrafte große Erzählung, der über das Ausweichen in die Räume des Phantastischen beigekommen wird. Die an Naturerscheinungen ausgerichtete Architektur, die dabei hilfreich zum Einsatz kommt, ist in das Jonglieren mit Non-Linearität direkt eingeschrieben, bleibt (nicht zuletzt aufgrund mangelnder Verlinkungsleistung auf der obersten Leseebene der Panels) als Taktgeber der „dislocated narrative structures“ (M. Screech) erfahrbar. Die Verschmelzung von Handlung und Umgebung erzeugt ein lebendiges Bilderuniversum, in dem, wie Armin S. Schreiber eindrucksvoll nachgewiesen hat, die Struktur der Oberfläche(n) zur Erzeugung von erfahrbarer Plastizität dient. Die Suspendierung erzählerischer Geradlinigkeit und genrespezifischer Schablonen (auch: zugunsten der Aufwertung der räumlichen Dimension) ist dabei klar als Moebius’ Nähe zum nouveau roman zu werten, insbesondere zu den Arbeiten Alain Robbe-Grillets. Alles scheint auch, wenn nicht vor allem, Gegenwart zu werden oder gar zu sein: „The dislocation of narrative sequence in time-space [...] in terms of a continous present, is not always easy to follow or anticipate. The reader must contribute actively to the elaboration and metamorphosis of thought and emotion. The fact that everything is happening in the present, which the reader is actively interpreting, gives the narrative an immediacy and impact absent from the traditional past tense story.“ (B. Stoltzfus). Die um den vorsätzlichen Einsatz eines unreliable narrators, der sich von William Booths bahnbrechender Studie The Rhetoric of Fiction herleiten lässt, erweiterte Reflexion menschlicher Hybris – denn auch so lässt sich der Raum-Wanderer Grubert in seiner satirischen Verfasstheit lesen – hat (auch) dahingehend nichts von seiner Radikalität und Zeitlosigkeit eingebüßt. Die mit einem neuen Vorwort versehene Ausgabe macht deutlich: Die lustvolle, dysfunktionale (Erzähl)Maschine brummt immer noch in vollster Stärke. Die Erschließung ihrer Räume steht gewiss noch am Anfang, es kann eben auch weiterhin noch immer alles passieren.
Thomas Ballhausen, Autor, Film- und Literaturwissenschaftler, ist Mitarbeiter der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur im Literaturhaus Wien / Leitung der Pressedokumentation.