Räumen und Gendern
Zum Symposium »Räumen - Baupläne zwischen Architektur, Raum, Visualität und Geschlecht« der ÖGFAFrüher war alles besser, weil einfacher. Ich meine die Achtzigerjahre und spreche von den feministischen Debatten um ein Thema, das damals schlicht »Frauen und Architektur« (oder »Frauen und Planung«) hieß: (der Ausschluss von) Frauen als Planerinnen, die Wohnung als Frauenort/Emanzipationshindernis und die Frage »Wem gehört der öffentliche Raum?« – mit diesen drei Themenbereichen schien die Problematik abgedeckt. Die Lösung: Frauenpolitik und feministische Planung. Rückblickend fällt mir auf, wie insistent und vielfältig das Wort »Raum« schon damals in den Titeln von Artikeln, Büchern und Tagungen verwendet wurde: Frauenräume, Frauen und ihre Räume, Frei Räume, Verbaute Räume...
Früher war alles besser, weil einfacher. Ich meine die Achtzigerjahre und spreche von den feministischen Debatten um ein Thema, das damals schlicht »Frauen und Architektur« (oder »Frauen und Planung«) hieß: (der Ausschluss von) Frauen als Planerinnen, die Wohnung als Frauenort/Emanzipationshindernis und die Frage »Wem gehört der öffentliche Raum?« – mit diesen drei Themenbereichen schien die Problematik abgedeckt. Die Lösung: Frauenpolitik und feministische Planung. Rückblickend fällt mir auf, wie insistent und vielfältig das Wort »Raum« schon damals in den Titeln von Artikeln, Büchern und Tagungen verwendet wurde: Frauenräume, Frauen und ihre Räume, Frei Räume, Verbaute Räume...
Denn wer sich heute in dieses Feld begibt, ist mit zwei nur scheinbar gegenläufigen Entwicklungen des wissenschaftlichen Diskurses konfrontiert: einerseits mit einer Diversifizierung durch die Eröffnung von Zugängen seitens einer ganzen Liste von Disziplinen, andererseits mit der Etablierung von »Raum« (genauer »spacialization«) als Angelpunkt, als universelles Konzept/Werkzeug zur Theoretisierung von Kultur und Identität, das dadurch mit komplexen Funktionen aufgeladen ist. Ähnliches ließe sich auch von »Geschlecht« behaupten – nur wird es aus ideologischen Gründen nicht so universell eingesetzt. Die Kunst- und Medientheorie argumentiert mit der Bild-Werdung der Welt und der Dominanz des Seh-Sinns: kein Zugang zum Raum, keine Auseinandersetzung mit Geschlecht ohne »Visualität«.
So hatte auch das jüngst von Irene Nierhaus konzipierte Symposium[1] den Raum in einer Tätigkeitsform im Titel (»räumen«) und nochmals – zusammen mit den drei gleichermaßen als »Tools for Concepts«[2] relevanten Begriffen – im Untertitel (Architektur, Raum, Visualität und Geschlecht), sowie eine ReferentInnenliste, die u.a. Archäologie, Architektur, Filmwissenschaft, Geographie, Geschichte, Kunstgeschichte, Kunsttheorie, Literaturwissenschaft, Psychologie und Visuelle Kultur versammelte.
Damit wurde in zwei Tagen ein System von Themen, Materialien, Methoden, Argumentationssträngen, Bezügen und Anknüpfungspunkten (re)produziert, das sich als gleichermaßen komplex wie lückenhaft und offen präsentierte.
Um über dieses Symposium schreiben zu können, muss ich im Text Ordnung und Gedächtnis herstellen. Und obwohl meine Erfahrung wesentlich durch die zeitliche Abfolge bestimmt war, scheint mir eine lineare Erzählweise sowohl für das Ereignis als auch für das thematische Feld inadäquat. Daher borge ich von Annegret Pelz[3] einen »Zettelkasten«[4] und vertraue auf den »verräumlichten Blick« (Pelz) der LeserInnen.
Stichwort Ort Verlust
In der Schlussdiskussion hat eine Teilnehmerin festgestellt: »Das Wohnen (im aktiven Sinn) ist verloren. Es bleibt nur das Bewohnt werden.« Es gab keine Nachfrage, keine weitere Erklärung, keinen Widerspruch. Ich war perplex, bin es immer noch, über diese kategorische Verneinung allein der Möglichkeit einer individuellen Verortung der Frau und mehr noch über die Ausweglosigkeit des passiven Erleidens. »Kein Ort. Nirgends«[5], was einmal als (An)Klage patriarchaler Repression gelesen wurde, erscheint heute als Programm feministischer Theoriebildung: das Konzept des Orts als Grundlage von Identität wird durch Vorstellungen von Beweglichkeit und flexibel gedachten verräumlichten sozialen und kulturellen Bezügen ersetzt. Geschlechterdifferenz als essenzialistische Behauptung eines »Anderen« wurde in die Cultural Studies als eine naturalisierte Konstruktion unter vielen anderen aufgenommen. Ob diese Ansätze kritische oder affirmative Lesarten der herrschenden Ordnungen hervorbringen, liegt in der individuellen Verantwortung der ForscherInnen.
Odyssee im Datenraum. In ihrer Analyse der Konzepte des Wohnens im »digitalen Haus«, die zurzeit vor allem in Texten und Entwürfen und von den Entwicklungsabteilungen großer Konzerne als genereller »Paradigmenwechsel« des Wohnens propagiert werden, kommt Christiane Keim[6] zu dem Schluss, dass das imaginierte Bewohnersubjekt das alte männliche, selbstidentische Subjekt ist: nicht involviert in psychische oder physische Reproduktionsarbeit, umgeben von seine Bedürfnisse perfekt widerspiegelnden technischen Geräten, vermittelt ihm der unbeschränkte Zugang zu Datenströmen die Illusion des totalen Überblicks. Mit der Überwindung der dichotomischen Konstruktion von Innenraum und Außenraum durch das »unendliche Zuhause« wird zugleich die Frau als Bewohnerin dieses Innenraums ersatzlos gestrichen.
Am falschen Ort. Insa Härtel[7] beschreibt – ausgehend von einer psychoanalytischen Sicht – wie das Phantasma eines »mütterlichen Wohnens« in verschiedenen Diskursen verwendet wird: Der Mutterleib als »erste Wohnstatt« und Architektur als Rekonstruktion dieser Situation erfahren in der Folge unterschiedliche Bewertungen, als Sehnsuchtsort einer Rückkehr oder als Aufgabe der Überwindung des »Mütterlichen«.
In der Lektüre des platonischen Höhlengleichnisses durch Luce Irigaray ist die Höhle der Mutterleib, den es zu verlassen gilt, um in das väterliche Reich der Ideen aufzusteigen. Das Mütterliche wäre demnach das Abbild eines (väterlichen) Urbilds und die Frauen immer am falschen Ort: entweder bestehen sie auf dem weiblichen Ort und verharren somit in einer begrenzten Wahrnehmung illusionärer Erscheinungen, oder sie brechen aus der Höhle auf, um Erkenntnis zu gewinnen und identifizieren sich somit mit dem väterlichen Ort. Irigaray und nach ihr Kristeva beziehen sich vor allem auf »chora«, nach Platon eine »dritte Gattung«, um die Konstruktion von väterlichem Urbild und mütterlichem Nachbild durch ihre eigene Inkonsistenz kippen zu lassen.[8]
Umzug: Heimat -> Museum -> Text. Während das Museum als »Räumliche Ordnung« eines kollektiven Gedächtnisses fragwürdig geworden ist, lässt sich in der Literatur eine Faszination für die Musealisierung von Ordnung (im doppelten Sinn) ausmachen: Annegret Pelz[9] beschreibt Beispiele einer »verräumlichten Poetik«, die malerische, skulpturale, filmische und fotografische Präsentationsweisen integriert und dieses Material systematisiert. Dabei ist diese Ästhetisierung immer auch mit Umbrüchen von Ordnungen verbunden. Mit »Das Museum der bedingungslosen Kapitulation« bezieht sich Dubravka Ugrecic auf das Land Jugoslawien als auf etwas endgültig Vergangenes und entwirft im Exil ihre eigene Biographie als Sammlung von zufällig übrig gebliebenen Fragmenten, die durch die Form eines »Zettelkastens« eine nur äußerliche Ordnung erhält.
Stichwort Schnittstelle
Bildkonstruktion, Blickkonstruktion, Raumkonstruktion: das Konzept der Visualität löst diese drei Begriffe aus ihren historisch isolierten Einbettungen und dichotomischen Verstrickungen und ermöglicht Zeit und Bewegung miteinbeziehende Fragestellungen je nachdem, wer wem was wie zu sehen gibt. Hier manifestiert die zunächst neutral und funktional erscheinende Beziehung von Sehen und Gesehenwerden ihre Schlagseite, ihre (geschlechtliche) Parteilichkeit. Macht, Kontrolle, Begehren und Erotik aktualisieren sich in medialisierten Praxen. Im Begriff der »Schnittstelle« eröffnet sich ein Raum im Raum, wo Intervention und Transformation möglich wird.
Schnittstelle Körper. Bojana Pejic[10] nimmt als Ausgangspunkt den Ausschluss von Frauen aus der öffentlichen Repräsentation im kommunistischen Jugoslawien und seinen post-kommunistischen Nachfolgestaaten und beschreibt in der Folge, wie Künstlerinnen Fassaden als Grenzen zwischen Häuslichkeit (»weiblicher Sphäre«) und Öffentlichkeit (»männlicher Sphäre«) zu ambivalenten Orten des Austauschs umfunktionieren und damit Widerstand gegen die Körper-Politik der jeweiligen Regimes leisten: In ihrer nicht deklarierten Performance »Triangle, or A Panoptic Game« (Zagreb 1979) während einer Parade Präsident Titos, bringt Sanja Ivekovic von ihrem Balkon aus durch eine »private Handlung« (fingierte Masturbation) einen Polizisten auf einem Beobachtungsposten und einen anderen vor ihrem Haus dazu, wie Marionetten ihre kontrollierenden und intervenierenden Handlungen durchzuführen und entlarvt so den Machtanspruch des Regimes über die Körper insbesondere der Genossinnen.
(Fast) Unsichtbare Schnittstelle. Die Öffnung der Wohnung durch große Fensterflächen (bis zur durchgehenden Glasfassade) war ein zentraler Topos der Moderne, der mit unterschiedlichen Vorstellungen von Offenheit, Freiheit und unbegrenztem Blick, von Neutralität und Reinheit des Materials, von Verbundenheit mit der Natur, Kommunikation mit der Außenwelt befrachtet wurde. Sabine Pollak[11] relativiert aus einer geschlechtssensiblen Perspektive den neutralisierenden und befreienden Effekt von Glas und beschreibt die architektonische Transparenz als »optischen Mechanismus«, der das weiblich konnotierte Interieur zu einer Imitation der (männlichen) Außenwelt macht. Paradigmatisch dafür ist die Geschichte des Farnsworth-Hauses, das rundum eine vollkommen transparente Fassade besitzt und zur Ikone der Nachkriegsarchitektur wurde. Der Architekt des Hauses, Ludwig Mies van der Rohe verkörpert den männlichen Blick, wenn er sich selbst in der Rolle des Hausbewohners inszeniert, der die Natur draußen beobachtet, während Edith Farnsworth als Eigentümerin und Hausbewohnerin sich als exponiertes Objekt potenzieller Blicke von außen erfährt: ihr einziger privater Ort sei – so Sabine Pollak – unter der Bettdecke.
Schnittstelle Blick. Dass architektonische Setzungen zwar Gebrauchsanweisungen beinhalten, aber den Gebrauch nicht determinieren müssen, postuliert Gottfried Keuscher[12] anhand des Mies’schen Raumkonzepts für den Barcelona-Pavillon: die Unterteilung in Raumeinheiten durch Wände wird ersetzt durch eine Gliederung durch die visuellen und physischen Bewegungen der BesucherInnen, die Schritt für Schritt andere Raumkonstellationen wahrnehmen. Diese Raumerzeugung durch visuelle Gliederung und Bewegung und die damit verbundene »Freiheit der Benützungsart« sind spätestens seit der Internet-Einführung allgemein geläufige Praktiken. Daher lassen sich die Mies’schen Räume auch als »virtuelle Räume« interpretieren: Schnittstelle ist hier kein Bildschirm, sondern die Wahrnehmungspraxis der BenutzerInnen.
Stichwort »Who is who?«
Wenn »Raumproduktion« in den Cultural Studies als kollektive Herstellung von verräumlichten sozialen, kulturellen und Identitäts-Strukturen definiert wird, scheint die Frage nach dem Verhältnis von ProduzentInnen und NutzerInnen/KonsumentInnen aufs Erste trivial: alle wirken kontinuierlich an der Raumproduktion mit. Doch die mediale Präsenz von Stararchitekten (und Zaha Hadid) und von Developern wie dem Disney-Konzern (um nur zwei aktuelle Phänomene anzuführen) zeigt, dass damit keine Demokratisierung und Einebnung von Hierarchien beschrieben wird – die verschiedensten alten und neuen Formen von Autorschaft, Verfügungsgewalt und Raumaneignung können ausgemacht werden.
Ein klassisches Paar. Sabine Pollak[13] beschreibt den architektonischen Diskurs um das Farnsworth House als ebenso minimalistisch wie das Gebäude, wobei die Entstehungs- und Nutzungsgeschichte ausgeklammert bleibt: diese sei eine Geschichte des Kampfes des Architekten (Ludwig Mies van der Rohe) um einen Idealtypus – das vollkommen transparente Haus, das in einem kontinuierlichen Austausch mit der umgebenden (Natur-)Landschaft steht – und der Bewohnerin (Edith Farnsworth) um ein Wochenendhaus, das ihren vielfältigen und wechselnden (praktischen, emotionalen und ideellen) Bedürfnissen Raum bieten sollte. Das Gefälle zwischen Meister und Jüngerin, Mann und Frau war durch die Rollen von Auftraggeberin und Auftragnehmer nicht auszugleichen: Das Architekturjuwel war für die Besitzerin unbewohnbar.
Die unmögliche Meisterin. Maya Lin, u.a. Architektin des Vietnam Veterans’ Memorial in Washington (1981), kann – wie Peter Mörtenböck[14] konstatiert – auch nach fast 20 Jahren Berufstätigkeit bei ihrem Entwurf für die Langston Hughes Library in Clinton/ Tennessee (1999) nicht mit genereller Akzeptanz als professionelle Autorität rechnen. Ihr Werk wird insistent mit ihrer Person verknüpft: die Zuschreibungen reichen von zu »weiblich, asiatisch, passiv« bis zu dem Vorwurf, ihre weibliche Intuition und Einfühlsamkeit in ihrer Arbeit nicht zum Ausdruck gebracht, ihren Minderheitenstatus nicht thematisiert zu haben. Ihr Frau-Sein und ihre asiatische Herkunft werden auf unterschiedlichste Weisen instrumentalisiert, um einen weißen, männlichen Diskurs über die hegemoniale Form des Erinnerns weiterzuführen. In ihrem ersten eigenen Buch »Boundaries« (2000) interpretiert Lin ihrerseits die Zuschreibungspraktiken ihrer Kritiker und Exegeten.
One-Woman-Show. Eileen Gray als Architektin, Fotografin, Bewohnerin und Choreografin der Rezeption: Dieses komplexe Zusammenspiel von Positionen und Perspektiven konstatiert Christina Threuter[15] in ihrer Analyse einer Fotoserie, die Eileen Gray von ihrem Haus E.1027, das sie zusammen mit Jean Badovici bewohnte, publizierte[16]. Diese Fotografien verweisen – in den Spuren des Gebrauchs, in der Gestaltung des Hauses als »Hülle des Menschen« – »auf den weiblichen Körper Grays«. Indem der Rezipient (Verwendung der männlichen Form durch Christina Threuter) das »eins sein der Künstlerin mit ihrer Architektur« imaginiert, »verliert er die Distanz zur fotografischen Darstellung«. Damit aktualisiert sich eine Illusion von Authentizität, durch die der Betrachter zum Akteur in den »virtuellen Räumen von Eileen Grays Wohnhaus« wird.
Produzentinnen des Unsichtbaren. Das Motiv der Raumproduktion durch Handlungen findet sich in Maja Bajevics Arbeit »Women at Work, or (In)Visible Mourning« (Sarajevo 1999).[17] Die Künstlerin lud fünf (moslemische) Frauen, die als Flüchtlinge in Sarajevo leben, ein, mit ihr an der Fassade des Museums für moderne Kunst in Sarajevo zu arbeiten: Auf dem mit Netzen verhängten Baugerüst des im Krieg beschädigten Museums stehend, stickten die Frauen fünf Tage lang Ornamente auf das Netz. Neben vielen anderen möglichen Assoziationen, erzeugten die Frauen hier einen öffentlichen Raum für den Verlust ihres Heims, für ihre Trauerarbeit, für ihre traditionelle häusliche/weibliche Arbeit.
Stichwort »Vom Supermarkt zum Baumarkt«
Erstaunlicherweise manifestierte sich das beabsichtigte Zur-Sprache-Bringen von Komplexität und Vielfalt der Standpunkte/ Perspektiven beim Symposium nicht – wie erwartet – in einer kontroversen Diskussion von Methoden und mit diesen verbundenen Begrifflichkeiten: Die universalistisch-unkonkrete und alltagssprachlich wenig taugliche Formel von Raum und Geschlecht als soziale Kategorien, als Repräsentationssysteme, als Verfahren zur Herstellung von Identität und Differenz war common sense – die früher oft fruchtbare Konfrontation von Konstruktivistinnen (à la Judith Butler) und Essenzialistinnen (à la Luce Irigaray) blieb aus.
Der programmatische Ansatz der Cultural Studies hat sich anscheinend querbeetein für den Umgang mit (vielleicht die Umgehung von?) Ex-Frauen-Studien als fruchtbar und kompatibel erwiesen. Irit Rogoff[18] bringt ihn mit den Worten auf den Punkt: »Our way of working is not tied to a discipline and not tied to a material. It is linked to a problem. Then we start consulting methods. The work process goes in constituting the subject, the subject is a result.«
Was bei dieser Beschreibung nicht vorkommt, sind Kriterien: für die Definition eines »Problems«; für die Wahl der Methoden; für die Qualität der Ergebnisse. Es wird suggeriert, dass die Angemessenheit von Methoden von dem/der Forscher/in aus dem Problem selbst abgeleitet werden könnte. Und es wird der Umstand verschleiert, dass Methoden und Ziele zwar zusammenhängen, aber die einen nicht zwingend von den anderen abgeleitet werden können.
Hat Boris Groys also recht, wenn er die Cultural Studies mit einem »riesigen Supermarkt« vergleicht, in dem jede/r etwas nach ihrem/seinem Geschmack finde, weil der »postmoderne Geschmack (...) ein kommerzieller, an der Marktwirtschaft ausgerichteter« sei und Entertainment-Ästhetik und Randphänomene »auf dem gleichen Regal« liegen?[19]
Als Warnung scheint mir der Vorwurf berechtigt, denn ohne Bezugnahme auf einen Kontext – sei er im traditionellen Sinn disziplinär oder ein kritischer Diskurs wie die Women Studies – entziehen sich die Texte einer kritischen Rezeption. Die Deklarierung der Position und Intention der Forscher/ innen, wie sie von der feministischen Wissenschaftskritik gefordert wurde, ist keineswegs obsolet, auch wenn sie heute nicht mehr über einfache Etikettierungen erfolgen kann.
Aufbauend. Christiane Keim bezieht eine eindeutige Position, indem sie in ihrer Analyse von Texten und Entwürfen des digitalen/vernetzten Hauses eine performative Beschreibung mit dem Einsatz von Konzepten der Kritik, wie sie in mittlerweile mehr als 20 Jahren »Frauenforschung« entwickelt wurden, verbindet: Das Verhältnis von Produktion und Reproduktion, die Verknüpfung von »Innenraum« und Weiblichkeitskonzepten, Grenzen als Voraussetzung für Anerkennung von Differenz und Kommunikation, die Dichotomie öffentlich/privat – sehr feine und elaborierte Werkzeuge zur Dekonstruktion medial propagierter (sozial-)technologischer »Fortschritte«.
Do-it-yourself. Anna Schober[20] argumentiert für dieses »auf dem gleichen Regal«-Liegen (Boris Groys) von Mainstream und Avantgarde/politischer Subkultur und formt daraus ihre Methode, gängige Dichotomien zu dekonstruieren und damit Raum für differenziertere Betrachtungsweisen zu schaffen. Sie fokussiert die Ähnlichkeiten zwischen der Unterhaltungsarchitektur von Multiplex-Kinocenters und dem »Unterhaltungskino« der Kinoki-Gruppe im Ernst-Kirchweger-Haus, zwischen dem kommerziellen Kino und Valie Exports Tapp- und Tastkino. Die Instanz des Gewinns neuer Erkenntnis verschiebt sich für sie von der kritischen Intention von KünstlerInnen oder kulturpolitischen Initiativen zu den RezipientInnen, deren Wahrnehmungsstruktur mit den Anforderungen gewachsen ist und sie zur Multipositionalität im von hegemonialen und subversiven Agenten umstrittenen öffentlichen Raum befähigt.
Für einen raschen Perspektivenwechsel, ohne die eigene Kritikfähigkeit einzubüßen, sind Symposien wie das hier beschriebene jedenfalls eine ausgezeichnete Übung – zusätzlich zum Gewinn für die individuelle und kollektive Konstruktion von Erkenntnissen Zettelkästen wie oben.
Felicitas Konecny, Beschäftigung mit Architektur und Feminismus
-Fotos und Videostills: »I go down. I go up. I am through before I even realize where I've been.« Annäherungen an den Praterstern. Zeichnungen, Fotos, Aktion, Videostills: Felicitas Konecny (Projekt bei Nasrine Seraji, Akademie der bildenden Künste Wien, 1997), Video: Raquel Ormella, Sydney.
Fußnoten
»räumen. Baupläne zwischen Architektur, Raum, Visualität und Geschlecht« Symposium im Haus Wittgenstein in Wien, 30. Juni und 1. Juli 2001, Konzept: Irene Nierhaus, Veranstalterin: Österreichische Gesellschaft für Architektur - ÖGFA; eine gleichnamige Publikation ist in Planung ↩︎
»Tools for Concepts - Werkzeuge der Raumproduktion« ist der Titel von Versuch 4 in der Publikation »Umzug ins Offene. Vier Versuche über den Raum«, Hg. Tom Fecht, Dietmar Kamper (Springer, Wien New York 2000) ↩︎
Annegret Pelz: »Von Album bis Zettelkasten. Museumseffekte im Text« ↩︎
Da der Zettelkasten unvollständig ist, hier eine Liste derjenigen Referate, die im Folgenden aus Zeitgründen nicht erwähnt werden - sie werden nächstes Jahr in der angekündigten Publikation nachzulesen sein: Eva Warth: »Konstruktionen von Raum und Geschlecht im Film der Weimarer Zeit und im Nationalsozialismus« Ruth Noack: »Events take Place« Brigitte Franzen: »Sexualisierte Terrains: Körper und Genitalien, Garten und Geschlecht (auch ein Ausblick auf Marcel Duchamp)« Jens-Arne Dickmann: »Männerfreundschaften und Mythen: Wohnen als Inszenierung von Maskulinität« ↩︎
Titel einer Erzählung von Christa Wolf (Luchterhand, Darmstadt 1979), der 1981 in der Form »Kein Ort, nirgends. Auf der Suche nach Frauenräumen« als Motto für ein Themenheft von Arch+ verwendet wurde. Arch+: Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (Heft 60, Aachen, Dezember 1981) ↩︎
Christiane Keim: »Die intelligente Schürze oder: Digitalization takes Command« ↩︎
Insa Härtel: »Phantasmatische Räume erforschen: Der Mutterleib als erste Wohnstatt« ↩︎
Beschrieben und interpretiert bei Insa Härtel: »Die Produktion des Mütterlichen (in) der Architektur. Eine psychologische Textanalyse« (Turia + Kant, Wien 1999) ↩︎
siehe Fußnote 3 ↩︎
Bojana Pejic: »Fassaden-Werk (Titoism and the Aftermath)« ↩︎
Sabine Pollak: »Moderne Camouflagen« ↩︎
Gottfried Kerscher: »Paradewohnen contra Ergonometrie: ‘Freiheit der Benützungsart’ bei Mies van der Rohe und im WWW« ↩︎
siehe Fußnote 9 ↩︎
Peter Mörtenböck: »Heldinnen, Betrügerinnen, Versagerinnen. Nobody knows me, and I like that.« ↩︎
Christina Threuter: »Simulierte Authentizität - veröffentlichte Privatheit: Die virtuellen Räume von Eileen Grays Wohnhaus E.1027« ↩︎
L'Architecture Vivante, Sonderheft 1929 ↩︎
Siehe Fußnote 8 ↩︎
Irit Rogoff: »An-Archy - Scattered Records, Evacuated Sites, Dispersed Loathings« ↩︎
Boris Groys im Gespräch mit Doris Krumpl: »Der Totalitarismus hinter der bunten Oberfläche«, in Der Standard, 14./15./16. April 2001 ↩︎
Anna Schober: »Über die angebliche Unvereinbarkeit von Subversion und Bejahung. Der Kinoraum als öffentlicher Streit-Raum« ↩︎
Felicitas Konecny