Rhythm is a Dancer
Kunstinsert von Christina WernerWie jedes Jahr wird der Schwerpunkt der dérive-Herbstausgabe durch das Thema des urbanize!-Festivals bestimmt, mit dem sich das Insert von Christina Werner ideal verbindet. Die Künstlerin entwickelte auf Einladung des Bauhaus Dessau ein umfangreiches performatives Foto- und Videoprojekt, welches genau jene ›Energie‹ formuliert, die Gemeinschaft im öffentlichen Raum ausstrahlt.
Die Bilder des Inserts für dérive sind Stills aus dem Video Rhythm is a Dancer, das Christina Werner während ihres Aufenthalts in Dessau produziert hat. Dafür hat sie eine Gruppe von Performer:innen des Bewegungskombinats und des Multikulturellen Zentrums Dessau eingeladen, vor, auf und im Bauhaus-Museum zu performen. Dieses von den katalanischen Architekten Addenda entworfene Museum bietet dabei einen idealen Kontext im Geist der Bauhausbewegung bzw. im Sinne ihres ersten Direktors Walter Gropius. Untersuchungen am historischen Bauhaus zu »Raum und Körper, Bewegung, Ton, Musik, Licht und Farbe« werden von Werner aufgerufen, insbesondere zur Bauhausbühne und Oskar Schlemmer, aber auch zur Körperbildung. Hier ist vor allem Karla Grosch, Tänzerin und Gymnastiklehrerin am Bauhaus, zu nennen. Christina Werner bezieht sich in ihrer Arbeit darauf, ebenso wie auf Verbindungen zwischen der Arbeiter:innenbewegung und dem Bauhaus Dessau.
Auf der ersten Seite des Inserts sieht man fünf Performer:innen ihre Hände nach oben strecken, was als Ausdruck an Inszenierungen der Arbeiter:innenbewegung erinnert, in seiner Präzision aber auch als Geste modernen Tanzes interpretiert ›erkennbar‹ ist. Der Projekttitel führt zu einer weiteren Ebene des Projekts. Dieser ist dem gleichnamigen Musikvideo von Snap!, das 1992 die Eurodancewelle eingeleitet hat, entliehen. In diesem findet sich die erwähnte Körperhaltung ebenfalls wieder. Rhythm is a Dancer von Snap! war aber viel mehr als ein Sommerhit, das Video wurde zum Synonym einer Kollektivität im Tanz.
Auf der Mittelseite steht eine goldene Fahne im Zentrum. Sie ist vom Dach ausgerollt zu sehen und findet sich an ein Banner erinnernd als »horizontales kollektives Objekt« und auch in Form rechteckiger Fragmente wieder, die die Performer:innen immer wieder hochhalten. Gegen Ende des Videos führt das goldene Tuch in den Innenraum des Museums, wo die Performer:innen in verschiedenen Sprachen eine Message formulieren: »Wir sind die Welt – Wir sind viele«. Während das Video von Snap! eher an die ernüchternde Welt des Post-Punk erinnert, steht ihre Musik für den musikalischen Aufbruch der 1990er. Das Videoprojekt von Christina Werner bedient sich eines völlig gegensätzlichen musikalischen Ansatzes. Die Musik ist eine KI-generierte Fassung des 1930 entstandenen Klavierstücks Maschinenmusik von Hermann Heyer. Auf der letzten Seite des Inserts verbinden sich die Performer:innen mit goldenen (Demonstrations-)Schildern zu einem Stern.
Barbara Holub / Paul Rajakovics
Christina Werner studierte Fotografie und Bewegtbild bei Prof. Tina Bara und Medienkunst bei Prof. Alba D’Urbano an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Sie lebt und arbeitet in Wien. Werners derzeitige künstlerische Arbeiten beschäftigen sich mit dem wiedererstarkenden Nationalismus, Identitätsbildung, Erinnerungskultur und Körperpolitiken.
Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.
Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.