» Texte / Rote Flora: »Autonomes Disneyland« oder »Basis der ›Intelligenz‹ der Autonomen«?

Bernd Hüttner

Bernd Hüttner ist Politikwissenschaftler und Referent für Geschichtspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.


Die Rote Flora ist ein Zentrum der undogmatischen radikalen Linken in Hamburg. Es existiert seit 1987 und beherbergt auf zwei Etagen verschiedene Werkstätten sowie das Archiv der sozialen Bewegungen. Vor allem ist es aber Ort für Musik- und andere Kulturevents und bietet Raum für politische Veranstaltungen und Versammlungen. Karsten Hoffmann legt mit dieser Publikation seine 2011 an der Technischen Universität Chemnitz erbrachte politikwissenschaftliche Dissertation als Buch vor. Betreut wurde sie laut Danksagung von den einschlägig bekannten Extremismusforschern Uwe Backes, Eckhard Jesse und Armin Pfahl-Traughber. Der 1977 geborene Autor Hoffmann hatte in seinem Leben öfter beruflich mit der Roten Flora zu tun, denn seit 1997 ist er Polizeibeamter in Hamburg.
Für einen Szenefremden hat Hoffmann erstaunlich viel Material zusammengetragen, das Quellen- und Literatur- verzeichnis umfasst alleine 55 Druckseiten. Seine – und auch die der beiden Reihenherausgeber in ihrem Vorwort – kritischen Bemerkungen zum Forschungsstand über »die Autonomen« und autonome Zentren im Speziellen sind stark übertrieben, denn es liegen zum Beispiel durchaus – aus Binnenperspektive geschriebene – Veröffentlichungen zu linken Zentren und ihrer Geschichte vor, etwa zum AJZ in Bielefeld, zur alternative in Lübeck oder zum gemäßigten Oscar-Romero-Haus in Bonn.
Vermutlich erst nach Abschluss von Hoffmanns Forschungen ist ein umfangreiches Werk zum Conne Island erschienen. Dieses Zentrum in Leipzig dürfte in seiner Bedeutung mit der Roten Flora vergleichbar sein. In den ersten Kapiteln, in denen die Autonomen im Allgemeinen und speziell in Hamburg vorgestellt werden, referiert Hoffmann die einschlägige Literatur, liefert jedoch keine neuen Erkenntnisse.
Folglich unterteilt er die nahezu 25 Jahre umfassende Geschichte der Roten Flora in fünf unterschiedlich lang dauernde Abschnitte. Er unterscheidet die zweijährige Entstehungsphase nach 1987, die vier Jahre des Aufbaues bis 1993 und die vier Jahre von 1993 bis 1997, während derer Hoffmann die Rote Flora als Kulturzentrum versteht. Für die zweite Hälfte der bisherigen Existenz unterscheidet er eine acht-jährige Phase einer von der Flora so gewollten Entfremdung und Distanzierung von der Bevölkerung (1997 bis 2005), um dann für den Zeitraum 2005 bis 2010 die Phase der Mythologisierung zu postulieren. Diese einzelnen Abschnitte sind mit einer sehr detaillierten Chronologie versehen. Die Passagen lesen sich, trotz der vielen Details, die auch den Rest des Werkes prägen, recht flüssig. In einem zweiten Arbeitsschritt untersucht der Autor Ziele, Mittel und Wirkungen der Flora in diesen einzelnen Phasen im Vergleich.
Im ganzen Text situiert Hoffmann die Rote Flora im Dreieck von Stadtentwicklung, politischen Kampagnen und Debatten der autonomen Linken (Stichworte z. B. Israel-Solidarität oder Patriarchats-Debatte) sowie den verschiedenen Fraktionen der Hamburger Politik und Justiz (Stichwort Schill-Partei).
Hoffmann kommt in seinem allerdings nur 12 Seiten umfassenden letzten Kapitel zu interessanten Schlussfolgerungen: So sei die Rote Flora heute vor allem ein Mythos, der für die vorgebliche Vitalität der Autonomen und deren Vorstellungen von »Freiräumen« stehe. Dieser Mythos funktioniere allerdings nur, weil die Flora Medienresonanz bekomme. Ansonsten sei sie für die Hamburger Landespolitik ein berechenbarer Faktor und habe durch ihre Existenz nicht, wie von ihnen einmal erhofft, zu einer Stärkung der Autonomen geführt. Denn die zahlreichen Gäste der Partys und Konzerte in der Flora würden sich mit deren politischen Positionen nicht identifizieren. Auszüge aus zehn Interviews mit ZeitzeugInnen, vor allem aus Polizei, CDU und Stadtverwaltung, schließen den nicht ganz preiswerten Band ab.
Dieses Buch ist durchaus ernst zu nehmen, nicht nur wegen seiner zitierten Quellen. Es ist nur in wenigen Teilen mit Eifer, aber gar nicht, wie es vielleicht zu erwarten gewesen wäre und bei etlichen andere Publikation dieser Perspektive durchaus üblich, mit Schaum vor dem Mund geschrieben. Hoffmann zeigt, wie einige Fraktionen des staatlichen Apparates denken, für die die Autonomen und ihr Milieu mittlerweile zum normalen Stadtleben gehören – was ja die Debatten der radikalen Linken um kreative Stadt und Gentrifizierung ebenfalls bewiesen haben. Diese Fraktion fragt, wie Hoffmann in seiner Schlussbemerkung, wie der Einfluss der Autonomen zurückgedrängt werden kann. Zur Erreichung dieses höheren Zieles ist man dann auch bereit, die Existenz einer »entschärften« Roten Flora hinzunehmen. Hoffmann trifft also durchaus wunde Punkte, vor allem mit seiner zentralen These, die Rote Flora sei ein durch unpolitische Konzerte finanzierter Mythos, der von vielen Autonomen wie auch von einigen politischen Hardlinern der Gegenseite für die jeweiligen eigenen Interessen aufrechterhalten werde.
Wenn die Autonomen heute zum kreativen Milieu und zum Stadtbild der Spaßgesellschaft und, zumindest in großen urbanen Zentren, zum politischen Verfassungsbogen gehören, wie dann noch radikale Opposition mobilisiert und artikuliert werden kann, diese Frage stellt sich nach der Lektüre dieses Buches umso dringlicher.


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