proudly presents: Balkan Konsulat
Mit dem Projekt Balkan Konsulat verdeutlichte der 2000 in Graz sesshaft gewordene Kunstverein < rotor > seinen Mitte der 1990er-Jahre entwickelten Arbeitsansatz in bisher konkretester Form. Die Mythologisierung eines Terrains, das in realem Sinn kaum lokalisierbar ist und von den KuratorInnen Margarethe Makovec und Anton Lederer stets auf seine Tauglichkeit als Kunstfeld untersucht wurde, ließ den Kunstverein für Eineinhalbjahre zu einem Konsulat der anderen Art werden – und führte am Ende dieser Amtsperiode zur Mythologisierung des Kunstraums selbst. Dieser schloss nämlich mit Ende November 2003 seine Pforten, um im kommenden Jahr in diversen Ländern und Kontinenten ephemere Spuren seiner Tätigkeit in dem in jahrelanger Arbeit aufgebauten Kunstnetzwerk zu hinterlassen. [1]
Der Name < rotor > galt stets als Garant für ein dynamisches Ausstellungsprogramm, das die Möglichkeiten der aktuellen Kunstproduktion und -präsentation hinterfragte und dabei die mentalen sowie künstlerischen Geografien von Österreich und seinen östlichen und südöstlichen Nachbarländern untersuchte. Das dadurch entstandene Arbeitsfeld und Beziehungsmodell mit KünstlerInnen aus Österreichs Nachbarländern veranlasste 2001 den serbischen Künstler Uroš Djuric dazu, < rotor > als Balkan Konsulat zu bezeichnen, da es für viele KünstlerInnen aus dieser Region eine Anlaufstelle außerhalb ihres gewohnten Wirkungsbereiches bot. Der jahrelange Austausch mit KünstlerInnen und KuratorInnen manifestierte sich nun in der Präsentation von Kunst aus den Städten diverser »Balkan«-Länder. Belgrad, St. Petersburg, Prag, Istanbul, Budapest und Sarajevo bildeten die Reihe jener Städte, aus denen KuratorInnen eingeladen wurden, um ihre Sicht des Balkanischen bzw. eines KunstkonsulentInnentums verständlich zu machen.
Die hier vorgelegte Liste an Städten lässt einen jedoch unmittelbar nach dem Konzept des Balkanischen suchen. Nach Slavoj Žižek wird der Balkan stets als das »Andere« begriffen und aus der jeweiligen Perspektive in unterschiedlichen geografischen Räumen gefasst. Für Österreich ist es ein Leichtes, den Balkan in den östlichen Nachbarländern zu verorten. Wie sieht jedoch die Lage in Slowenien aus? Hier wird eher von einem Beginn des Balkans in Serbien ausgegangen. Und wie verhandeln Städte wie München oder Hamburg dieses Konstrukt? Für München beginne der Balkan wohl in Österreich und für Hamburg demnach in Bayern. Dieses Spiel lässt sich soweit treiben, dass für Großbritannien bereits das gesamte europäische Festland den Balkan konstituiert. Für
< rotor > stellte sich nun weniger die Frage, eine geografische Definition des Balkans anzustreben als vielmehr ein Lebensgefühl, das mit dem Begriff des »Balkanischen« verbunden ist und < rotor > automatisch in dieses Spannungsfeld mit einbezieht. Sollten jemandem gewisse Länder dennoch abgehen, dann sei darauf verwiesen, dass hier vor allem Szenen ins Spiel gebracht wurden, die bei < rotor > bisher noch nicht in jener Dichte vertreten waren. Gleichzeitig wurde versucht, den Bestrebungen jener »Großkuratoren« aus den drei deutschsprachigen Ländern entgegenzuwirken, die 2002 und 2003 den Balkan für sich zu entdecken glaubten.
Aus der Kontinuität der Stadt Graz heraus, die seit 1963 durch das Trigon Festival ein länderspezifischer Kunst-Schwerpunkt mit Osteuropa verbindet, der 1992 in Peter Weibels Ausstellung Identität: Differenz aufgearbeitet wurde, beschäftigte sich das Balkan Konsulat wie auch Weibels In Search of Balkania mit der Ohnmacht gegenüber jeglichen Zuschreibungskriterien des Balkanischen. Deshalb wurde ein eigenes Wappen bzw. Logo entwickelt, das den Balkan als Non-Place definiert und keinerlei Insignien und Muster in sich trägt. Dieses wurde als Tafel am Eingang zum Konsulat angebracht und ist auch in Form von Merchandising- Artikeln wie Pins und Aufnähern erhältlich. Sowohl hier als auch in der Gesamtkonzeption des Projektes wirkte die bosnische Kuratorin Lejla Hodžic mit, die sich ebenso für den Abschlusspart zu Sarajevo verantwortlich zeigte.
Das generelle Konzept der kuratorischen Praxis des Balkan-Konsulats lässt sich mit Stuart Halls Modell der Identitätskonstruktion in Beziehung setzen, das einen fixen Kern an Identität mit einer Reihe von diskursiven Identitätsprozessen konfrontiert. Als Kern der konsularischen Identität gilt der physische Standort sowie die KünstlerInnen der repräsentierten Stadt. Die diskursive, wandelnde Komponente betrifft jene KünstlerInnen, die im Kontext der jeweiligen Stadt wirk(t)en, aber nicht unbedingt in ihr ansässig sind, weiters die Außenstellen des Konsulats: Billboardwände in Graz und den beteiligten Ländern, die in Kooperation mit museum in progress von unterschiedlichen KünstlerInnen bespielt wurden, sowie ferner diverse DJ- und VJ- Events. Die hier vorgegebenen Strukturen des Wandels und der Fluktuation erwiesen sich letztendlich auch in der Praxis als latente Mechanismen einer identitätsstiftenden Kulturarbeit.
http://rotor.mur.at
Fußnoten
Trotz Würdigungspreis des Bundeskanzleramtes für grenzüberschreitende Kulturarbeit im Jahr 2002, der eine dementsprechende Kürzung der Subvention im Jahr 2003 zur Folge hatte und zu den Kürzungen der anderen SubventionsgeberInnen hinzukam, konnte die Tätigkeit von < rotor > im Wesentlichen nur durch die Zusatzfinanzierung von Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas aufrechterhalten werden. ↩︎
Walter Seidl