Scheinriese Kulturwirtschaft
Besprechung von »Kulturwirtschaft und Kreative Stadt« herausgegeben vom Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen GesellschaftIn Politik und Wissenschaft wird viel über Kulturwirtschaftsberichte und die Stärkung der Kreativwirtschaft debattiert; man hat gar das Gefühl, „Kultur- und Kreativwirtschaft“ sowie die „kreative Stadt“ be- und entstünden vor allem aus dem Diskurs in Tagungen und Publikationen über sie. Das Jahrbuch für Kulturpolitik 2008 der halboffiziösen Kulturpolitischen Gesellschaft ist ein umfangreicher und dank Subventionen preiswerter Jahresband zu diesem Themenfeld.
Die aktuelle Ausgabe bietet nach drei Artikeln zum Verhältnis von Kultur und Wirtschaft weitere fünf Kapitel. Im ersten werden zentrale Aussagen einiger kommunaler und regionaler Kulturentwicklungsberichte sowie die Diskussionen darüber vorgestellt. Dieter Haselbach plädiert in seinem Beitrag für begriffliche Sorgfalt, seziert die einzelnen Begriffe – so sind zum Beispiel nach seiner Definition öffentliche Kultureinrichtungen nicht Bestandteil der Kulturwirtschaft – und stellt ihre materielle Bedeutung vor. Nach einem Blick in den deutschsprachigen und europäischen Raum werden Debatten zur „kreativen Stadt“ vorgestellt: Wilfried Maier, ehemaliger grüner Senator in Hamburg, skizziert seine Vision der Entwicklung Hamburgs. Albrecht Göschel, mittlerweile durch Pensionierung von gewissen dienstlichen Rücksichtnahmen befreiter ehemaliger Mitarbeiter des Deutschen Institutes für Urbanistik, weist pointiert auf die negativen Folgen der Kreativförderung hin. Als Folgen dieses neoliberalen Wachstumsregimes werden Gentrifizierung und innerstädtische Polarisierung verstärkt; ebenso wichtig ist, dass das Arbeits- und Lebensmodell der oft als neue Citoyens angesehenen KreativlerInnen eben keine politische oder zivilgesellschaftliche Beteiligung an den Aushandlungsprozessen über die Zukunft der öffentlichen Güter und des urbanen Raumes vorsieht.
Den Abschluss bilden Beiträge zum Arbeitsfeld Kultur, zu den unterschiedlichen, aber bekanntlich eher unsicheren Arbeitsbedingungen von KünstlerInnen und neuen KulturunternehmerInnen, den Ausbildungsanforderungen und kulturpolitischen Fördermöglichkeiten. Wer die nichtssagenden Beitrage der ParteipolitikerInnen getrost überblättert, hat mit diesem Buch ein nützliches Kompendium zur Hand. Bernd Wagner, der Leiter des herausgebenden Instituts für Kulturpolitik, vergleicht in seiner Einleitung die Kultur- und Kreativwirtschaft mit dem Scheinriesen Turtur aus Michael Endes Jim Knopf. Dieser werde immer kleiner, je näher man ihm trete. So ist es wohl, und das Jahrbuch ist ein gutes Mittel, diesen Prozess des Nähertretens und sein auf irdisches Maß geschrumpftes Ergebnis zu untersuchen und zu diskutieren.
Bernd Hüttner ist Politikwissenschaftler und Referent für Geschichtspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.