Christina Nemec


schluss mit lustig – das volxtheater verhandelte 1999 im wiener schauspielhaus begriffe wie »heimat«, »grenze« und »abschiebepolitik«. nach und nach wurde dabei das publikum »eingesperrt« nicht mehr zu wissen, was draußen vor sich geht. keine sicht und laute knaller. darüber war hans gratzer, damaliger schauspielhaus-chef, schlicht not amused und delogierte die truppe. völlig unterschiedliche auffassungen vom theaterbegriff führten dazu, dass die regisseurin und dramaturgin des schauspielhauses gini müller dienstfreigestellt wurde. mit der volxtheaterkarawane bereiste und -spielte sie seit juni europäische grenzgebiete und gipfelstädte. themen? »grenzen«, »asylpolitik«, »abschiebung«. was theater ist, sein kann und sein soll, darüber wird nun in den letzten wochen heftig spekuliert. sogar qualitätszeitungen hatten ihre probleme damit, die volxtheaterkarawane als wandernde theatergruppe und die aktivistInnen als schauspielerInnen zu begreifen. als zeichen ihrer hilflosigkeit stellten sie die nichts sagenden worte »so genannte« und »selbst ernannte« vor die volxtheaterkarawane. im antiken theater bedeutete theatron raum zum schauen bzw. raum für den/die zuschauerIn. das theatergebäude als ausschließlicher ort der darstellung konnte der praxis nicht gerecht werden und wurde abgelöst vom wesensbegriff. theater steht in wechselbeziehung zwischen darstellenden, bildenden und literarischen künsten, der technik des apparates, der organisationsform und dem publikum. da kommen also menschen und formulieren ihre anliegen, spielen sie szenisch durch, überraschen damit ihr publikum, posieren vor exekutivorganen (die im nachhinein keine gesetzesübertretung darin erkennen können), werden dabei fotografiert, in manchen fällen identifiziert und notiert, arbeiten als kollektiv, erhalten keine staatlichen subventionen und ziehen in »wandertruppentradition« von ort zu ort. die bürgerliche presse bringt es auf den punkt: »ja dürfen die denn das? naja, irgendwas werden sie sich haben schon zuschulden kommen lassen.« im 18. jahrhundert, als eine der wenigen weiblichen prinzipalInnen, friederike caroline neuber, mit ihrer wandertruppe durch die lande zog, genoss der beruf schauspielerIn einen denkbar schlechten ruf. praktisch immer mit einem fuß im criminal. übrigens ein grund dafür, warum es frau neuber überhaupt möglich war, eine truppe zu leiten. mit der, im zuge der aufklärung, aufwertung des berufs, verschwanden weibliche prinzipalInnen von der bildfläche. die volxtheaterkarawane genießt in regierungsnahen kreisen aufgrund ihrer eindeutigen positionierung einen schlechten ruf. als konsequenz daraus kamen deren mitglieder ins gefängnis und werden öffentlich denunziert. zwar mussten die anschuldigungen mittlerweile zurückgenommen werden. dennoch werden sie solange zitiert, bis sie »wahr« werden. dabei wäre alles so einfach. das theaterlexikon schreibt, dass großes theater politisches theater sei im weitesten sinne, dass dabei öffentliches geschehen, öffentliche probleme vorgeführt werden. theater ist eine im tiefsten sinn demokratische institution seit urtheaterzeiten, bewusst seit dem theater athens zu zeiten von aischylos und aristophanes, ist teil der gesellschaftlichen praxis. schluss mit lustig. dieser sommer 2001 mit göteburg, salzburg und genua zeigt, dass demokratische grundrechte missachtet werden. erfindungen wie »krawallpolizei« und »dealerkopfgeld«, weitere verschärfung des rechts auf asyl lassen auch für den herbst nichts gutes erwarten. und dabei wäre ich gern vom sommerloch in die herbstdepression geschwommen.


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