Peter Payer

Peter Payer, ist Historiker und Stadtforscher sowie Kurator im Technischen Museum Wien.


„Mein Ohr steht auf der Straße wie ein Eingang.“

Dieser Satz Robert Musils könnte paradigmatisch für den aktuell zu bemerkenden Trend zur Beschäftigung mit den Klängen und Geräuschen der Stadt stehen. In zahlreichen wissenschaftlichen, künstlerischen und medialen Projekten wird dem Hören (in) der Stadt nachgeforscht, und auch Urbanistik, Architektur und Stadtplanung widmen sich in zunehmendem Maße unserer akustischen Umwelt. Grund genug also, um im vorliegenden Schwerpunktheft von dérive einige Aspekte dieses Diskurses aus transdisziplinärer Sicht zu beleuchten.

© Paul Bence
© Paul Bence

Zu Beginn werden jene fundamentalen akustischen Veränderungen dargelegt, denen die europäische Stadt des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts unterworfen war. Urbanisierung, Industrialisierung und Technisierung ließen eine allerorts wahrnehmbare neue Geräuschkulisse entstehen, deren Zusammensetzung und Qualität sich völlig anders als bisher darstellte. „Lärm“ und „Großstadtwirbel“ wurden zu Inbegriffen der neuen Zeit, deren akustische Emanationen man – bis heute – in unterschiedlichsten Strategien zu bewältigen sucht.

Dass Städte auch an der Wende zum 21. Jahrhundert einem merkbaren akustischen Wandel unterliegen, verdeutlicht der Schweizer Soziologe Hans-Peter Meier-Dallach. Er beschäftigt sich am Beispiel von Zürich mit den akustischen Auswirkungen der Globalisierung, die sich u. a. in einer Nivellierung der „Welttonhalle“ und einem zunehmend lautloseren Fließen der Geldströme manifestiert.

Ein ebenfalls globales Phänomen ist die allerorts anzutreffende Hintergrundmusik („Muzak“), deren Entwicklung, Rezeption und (fragwürdiger) Wirksamkeit der Wiener Musiksoziologe Michael Parzer nachgeht.

Qualitativ hochwertige Architektur aus Tönen zu errichten, ist vornehmstes Ziel des renommierten französischen Komponisten und Klangdesigners Louis Dandrel. Er stellt seine ersten, in den Jahren 1988 bis 1990 in Hongkong und Osaka realisierten Projekte vor, in denen er auf pointierte Art auf die jeweils herrschenden Soundscapes reagierte.

Dass Klangdesign im öffentlichen Raum gegenwärtig auch in Deutschland zum Thema wird, zeigt ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der Universität der Künste in Berlin: Auditive Architektur. Alex Arteaga, Thomas Kusitzky und Christoph Gehr berichten über die neue künstlerisch-wissenschaftlichen Disziplin, die sich mit der Gestaltung des Klangs und der Klangumgebung von Bauwerken beschäftigt.

Wohl keine andere Stadt der Welt wird so oft mit Tönen assoziiert wie Wien. Wie sich das Label „Musikstadt Wien“ entwickelte und welche politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Faktoren dabei bis heute eine wesentliche Rolle spielen, analysiert die Wiener Kulturwissenschaftlerin Martina Nußbaumer.

Seine langjährige Erfahrungen mit urbanen Soundscapes schildert schließlich der Wiener Radiojournalist Peter Waldenberger, der für die Ö1-Sendung Diagonal bislang mehr als zwanzig Städteportraits gestaltet hat – für viele der akustische Erstkontakt mit bisher unbekannten Hör-Räumen.

Dass Blinde und Sehbehinderte die Stadt akustisch intensiver erleben, ist evident. Der Wiener Musiker und Klangkünstler Ulrich Troyer spürte dem in einem Forschungsprojekt nach, dessen spannende Ergebnisse – künstlerisch verarbeitet – auf der CD Sehen mit Ohren erschienen sind. Sie ist für AbonnentInnen von dérive als kostenloser „Bonustrack“ beigelegt.

Ich bedanke mich sehr herzlich bei allen AutorInnen und InterviewpartnerInnen, die für dieses Schwerpunktheft Beiträge, Informationen und Abbildungen zur Verfügung gestellt haben.

Christoph Laimer sei gedankt für seine spontane Bereitschaft, das Thema Stadt & Hören in dérive aufzunehmen.


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