Sexarbeit im Stuwerviertel
Prostitution im Zeichen der ImagekorrekturChristoph Laimer im Gespraech mit Eva van Rahden.
Fragt man WienerInnen nach spontanen Reaktionen zum Stuwerviertel, kann man sich sicher sein, dass Prostitution eine Top-Platzierung erreicht. Zurückzuführen ist diese Assoziation vermutlich weniger auf die heutige Bedeutung des Stuwerviertels im Sexgewerbe, sondern einerseits auf die lange Geschichte der Sexarbeit im Stuwerviertel und andererseits ganz sicher auf die skandalisierende mediale Berichterstattung. Die Polizei trägt durch ihre Großrazzien das Ihre dazu bei, das Image des Stuwerviertels als Ort des käuflichen Sex aufrechtzuerhalten.
Wie sehr sich manche BesitzerInnen einschlägiger Lokale über die Berichterstattung freuen, die im Gedächtnis der MedienkonsumentInnen das Stuwerviertel mit Prostitution verknüpft, kann man in Internetforen nachlesen. Gerüchten zufolge war es die Polizei selbst, die in der Zeit der Weltausstellung von 1873 im an das Stuwerviertel grenzenden Prater Frauen für die Prostitution rekrutiert hat und somit von Anfang an daran beteiligt war, der Gegend ihren Ruf zu verschaffen. Ob die Prostitution eines Tages tatsächlich aus dem Stuwerviertel verschwinden wird, ist noch nicht abzusehen, aber nicht unwahrscheinlich – es wäre nicht das erste Viertel in Wien, aus dem eine rege Szene verschwindet. Einflussreiche künftige AnrainerInnen lassen keinen Zweifel daran, dass sie sich dafür einsetzen werden, dass es im Umfeld ihrer Institutionen keine Prostitution mehr geben wird. Die Prostituierten selbst können in Wien mit wenig Unterstützung rechnen. Anders ist das z. B. in Madrid, wo die Umwandlung des Barrio Maravillas, eines durch das Sexgewerbe geprägten Viertels, in das schicke Modeviertel TriBall zu einer Anti-TriBall-Initiative geführt hat, die u. a. eine Parade der Sexarbeiterinnen, die Pasarela Lumi Fashion 08, organisiert hat. (siehe http://antitriball.wordpress.com)
Mit Eva van Rahden, Leiterin der Sexarbeiterinnen-Beratungs- und Unterstützungseinrichtung Sophie – BildungsRaum für Prostituierte, sprach Christoph Laimer über Prostitution im Stuwerviertel, die generelle Situation in Wien und Möglichkeiten, die Situation der Sexarbeiterinnen zu verbessern.
Roman Seidldérive: Welche Art der Prostitution gibt es im 2. Bezirk und im Stuwerviertel? Wie sieht die Szene aus?
Van Rahden: Der zweite Bezirk ist einerseits durch die legale Anbahnung in der Nacht, da arbeiten sehr viele Frauen, und zweitens – eher muss man sagen: war – durch die illegale Anbahnung auf Straßen im Stuwerviertel geprägt. Dabei handelt es sich um eine Tagesanbahnung zur Prostitution, nicht um die Ausübung der Prostitution selbst. Als Unterstützungsstruktur gibt es einige Stundenhotels. Daneben existieren viele kleine Bars und einige Studios. Der zweite Bezirk ist derjenige, der die höchste Dichte an Lokalen von ganz Wien hat.
Der zweite Bezirk hat sich dazu entschlossen, mehr oder weniger den gesamten Bezirk zur Sperrzone zu erklären. Es gibt Ausnahmen: die Rustenschacher-Allee und die hintere Ausstellungsstraße – das sind die Straßen, die vor allem am Abend für Anbahnung genutzt werden. Die Prostituierten, die dort arbeiten, kommen seit einigen Jahren vorwiegend aus Nigeria. Am Beginn der Südportalstraße stehen Migrantinnen aus den neuen EU-Ländern. In dieser Gegend ist die Anbahnung erlaubt. Ebenso am Ende der Rustenschacher-Allee; dort stehen aber keine Frauen, weil das ein sehr dunkler und schwer zu erreichender Ort ist. Das Stuwerviertel ist grundsätzlich Sperrzone.
Christoph Laimerdérive: Gilt die Sperrzone nur für eine bestimmte Uhrzeit oder generell?
Van Rahden: Die Sperrzone gilt 24 Stunden. Für die freigegebenen Straßen gibt es zeitliche Einschränkungen. Diese erlauben die Anbahnung im Winter ab 20 und im Sommer ab 21 Uhr jeweils bis 4 Uhr früh. Neben den Sperrzonen gibt es nach dem Wiener Prostitutionsgesetz noch die Schutzzonen. Eine Schutzzone gilt jeweils im Umkreis von 150 Meter von Schulen, Kirchen, Kindergärten, Krankenhäusern, Haltestellen u.a. Auch die Schutzzonen gelten 24 Stunden und haben somit eine ähnliche Wirkung wie die Sperrzonen.
dérive: Wie sieht die Entwicklung im Stuwerviertel in Bezug auf Polizeimaßnahmen aus? Van Rahden: Seit 2005 gibt es Großaktionen der Polizei und seit 2006 Standardeinsätze, d. h. dort wird täglich kontrolliert. Es kursiert ein Gerücht, dass eines der Lokale im Stuwerviertel in eineinhalb Jahren 637 mal kontrolliert worden ist. Für die Einsätze gegen die Prostitution gibt es auf der Seite der Exekutive offenbar viele Ressourcen.
dérive: Ist die Intensität der Polizeieinsätze in anderen Vierteln Wiens ähnlich hoch?
Van Rahden: Ich verfüge über keine offiziellen Zahlen, mein Gefühl sagt mir aber, dass der zweite Bezirk im Kampf gegen die Prostitution in den letzten Jahren mit Sicherheit die größten Ressourcen der Polizei beansprucht hat. Eine neue Entwicklung seit Ende des letzten Jahres ist, dass nicht nur die Anbahnung auf der Straße polizeilich zu verhindern versucht wird, sondern auch die Indoor-Anbahnung intensiv kontrolliert wird.
Die Kontrollen werden gemeinschaftlich von der Polizei, der Finanz, der Ausländerbeschäftigungsbehörde, dem Ordnungsamt und anderen durchgeführt. Es scheint, dass es bei Einsätzen im Grunde darum geht, die Konzentration der Lokale zu verringern. Gefunden wird bei solchen Einsätzen dann fast immer etwas. Entweder besteht keine Erlaubnis zum Alkoholausschank, obwohl es Alkohol gibt, oder der Feuerlöscher hängt an der falschen Stelle.
Natürlich wird auch die eine oder andere nicht registrierte Frau erwischt. Unseres Wissens sind die Zahlen allerdings relativ gering. Gerade Migrantinnen sind fast immer registriert und unterziehen sich regelmäßig Kontrollen, weil sie sich sonst der Gefahr aussetzen, ihren Aufenthaltstitel zu verlieren. Die wöchentlichen Gesundenuntersuchungen sind im Bundesgesetz, dem Geschlechtskrankheiten- und dem Aids-Gesetz, geregelt.
dérive: Ist die Einschätzung richtig, dass durch die intensiven Polizeikontrollen der letzten Jahre, die in jüngster Vergangenheit noch stärker geworden sind, versucht werden soll, die Prostitution aus dem Stuwerviertel völlig zu vertreiben? Van Rahden: Na ja, schon die Tatsache, dass das Stuwerviertel Sperrgebiet ist, legt diese Vermutung nahe.
dérive: Seit wann ist das Stuwerviertel Sperrzone?
Van Rahden: Das kann ich leider nicht sagen. Das Stuwerviertel ist aber schon lange bekannt als Ort der Anbahnung und Ausübung der Prostitution. Ich glaube, dass das Stuwerviertel ins Gespräch gekommen ist, als die Prater-Hauptallee für den Verkehr gesperrt wurde (Anm. 1964). Früher gab es dort eine große Anbahnungsszene. Durch das Fahrverbot musste es natürlich Ausweichplätze geben, und es kam zu einer Verdrängung. Fahrverbote sind eine Methode, um Anbahnung zu verhindern. Im 15. Bezirk wird z. B. sehr oft damit gearbeitet; das führt aber nur zu einer Verdrängung.
dérive: Wie sieht es in anderen Bezirken aus?
Van Rahden: Im 15. Bezirk existieren, von der äußeren Mariahilfer Straße abgesehen, keine Sperrzonen. Nahezu der ganze Bezirk, Ausnahmen sind fast nur die Schienen der Westbahn und eine Kleingartensiedlung, ist jedoch Schutzzone.
dérive: Worauf bezieht sich die Schutzzone?
Van Rahden: Nach unserem Wissensstand bezieht sich die Schutzzone auf die sichtbare Anbahnung auf der Straße, das heißt die Indoor-Anbahnung ist davon ausgenommen. Allerdings gibt es hier unterschiedliche Rechtsauffassungen. Es gab das eine oder andere Urteil, ein höchstgerichtliches Urteil steht allerdings noch aus. dérive: Müssen die Frauen eine Aufenthaltsbewilligung haben, um sich registrieren lassen zu können?
Van Rahden: Nicht alle. Wir müssen hier drei Gruppen unterscheiden. Erstens die Frauen, die aus den so genannten „alten EU-Ländern“ kommen – die sind österreichischen Staatsbürgerinnen gleichgestellt. Diejenigen, die aus den „neuen EU-Ländern“ kommen, haben aufgrund der Schutzbestimmungen bis April 2011 keinen Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie können allerdings als „neue Selbstständige“ tätig sein. Als neue Selbstständige kann ich in jedem freien Gewerbe – die Liste dieser Gewerbe ist relativ lang – tätig sein. Diese Regelung gilt auch für die dritte Gruppe, Asylwerberinnen und solche, die von außerhalb der EU kommen und ein Visum für die Einreise brauchen. Seit der Reform des Ausländerbeschäftigungsgesetztes im Jahr 2002 gibt es eine neue Regelung, und zwar das Visum C+D. Um dieses zu bekommen, müssen die Frauen nachweisen, dass sie bereits in ihrem Heimatland in der gleichen Branche tätig waren, und dürfen dann innerhalb von 12 Monaten sechs Monate in Österreich in diesem Bereich arbeiten. Das ist eine Gruppe von Frauen, zu der wir so gut wie keinen Kontakt haben. Ich glaube allerdings, dass diese Gruppe sehr klein ist.
dérive: Welche Gruppe ist die größte?
Van Rahden: Die mit Abstand größte Gruppe bilden Frauen aus den neuen EU-Ländern. Lange Zeit hatten wir das Gefühl, dass die meisten Frauen aus Ungarn kommen; derzeit gibt es eine steigende Tendenz von Frauen aus Rumänien und Bulgarien, davor waren Tschechien und die Slowakei die Hauptherkunftsländer. Diese Tendenz gilt auch für das Stuwerviertel.
dérive: Was passiert, wenn es zur Aufwertung einer Region kommt?
Van Rahden: In Gebieten, in denen die Prostitution historisch gewachsen ist und die Wohngebiete sind – das ist sowohl im 2. als auch im 15. Bezirk der Fall – und in denen es durch die Stadt- und Raumplanung zu Veränderungen kommt, die zu Aufwertungen führen, beobachten wir eine Verdrängung der Anbahnung bzw. der Lokale. Wir haben das am Gürtel gesehen, und ich denke, ganz ähnlich wird das im Stuwerviertel mit dem Neubau der Wirtschaftsuni passieren. Dieser erhöht den Druck, die Prostitution zu verdrängen, weiter.
Wenn die Frauen, wie das früher am Gürtel der Fall war, sehr freizügig in ihrer Arbeitskleidung offensiv angebahnt haben, sind das klare Regeln – dort passieren dann auch keine Verwechslungen. Traditionell ist Wien eine Stadt, die im Gegensatz zu einigen deutschen Städten niemals ein einzelnes Areal für das Rotlichtmilieu hatte. Ich beziehe mich hier auch auf die Studie von Martina Löw, die darauf hingewiesen hat, dass die Prostitution in Wien zwar teilweise sehr diskret vor sich geht, dass es aber wenige Straße gibt, in der sie nicht zumindest ein kleines Sexlokal oder ein Studio gefunden hat. Da ist mit der Zeit einfach eine Struktur gewachsen.
Hier findet eine sehr diskrete Form der Ausübung der Prostitution statt, und ich hab z. B. im 15. Bezirk mit Geschäftsleuten, aber auch mit AnrainerInnen die Erfahrung, dass sie per se nicht unbedingt etwas gegen die Prostitution haben, aber sie stören sich an den Begleiterscheinungen wie Autoverkehr, Lärmbelästigung, Verschmutzung und Verwechslung, d. h. wenn sie von Freiern angesprochen werden. Das sind allerdings alles Probleme, die lösbar sind.
Ich habe jedoch den Eindruck, dass man die Prostitution momentan eher überall lieber weg haben möchte, und die Plätze, die als Ersatz vorgeschlagen werden, sind entweder ganz weit weg oder die Vorschläge werden sofort wieder zurückgezogen. Das war unlängst der Fall, als aus dem 15. Bezirk der Vorschlag kam, die Szene in den 14. Bezirk zu verlegen. Es ist insgesamt sehr schwierig.
dérive: Wie kann man die störenden Begleiterscheinungen der Prostitution vermeiden?
Van Rahden: Durch klare rechtliche Regelungen. Die Hauptbeschwerden im Stuwerviertel beziehen sich auf die Belästigung durch Freier, Lärm und Verschmutzung. Unbeteiligte werden dann angesprochen, wenn die Anbahnung besonders diskret stattfinden muss. Lärmbelästigung entsteht insbesondere, wenn die Anbahnung in kleinen Seitengassen stattfindet, weil sie eben sehr unauffällig sein muss. Häufiger kommen dann Fahrverbote zur Geltung, was dazu führt, dass neue Hot spots entstehen. Diese Hot spots wandern im Laufe der Zeit durch die Bezirke, weil sie durch verschiedene Maßnahmen von einer Gasse in eine andere gedrängt werden. Das erhöht an den neuen Orten dann jeweils wieder den Autoverkehr und damit die Lärmbelästigung. Um dieses Problem zu lösen, bedarf es eines Paradigmenwechsels und der Bereitschaft, sichtbare Anbahnung zu akzeptieren und dafür die Verkehrsstraßen zur Verfügung zu stellen. Im Falle des Stuwerviertels wäre das z. B. die Ausstellungsstraße – da ist ja ohnehin viel Verkehr. Es gibt da sicher auch andere denkbare Varianten. Aufgrund der historisch gewachsenen Struktur in Wien wäre es jedoch sicher notwendig, mehrere Straßen zur Verfügung zu stellen, weil es sonst immer wieder zu Verdrängung kommt. Die Frauen haben es auch desto schwerer, ihre Arbeit möglichst selbstbestimmt auszuüben, je kleiner die Orte sind, an denen sie arbeiten dürfen. dérive: Für einen derartigen Paradigmenwechsel bräuchte es aber sicher einen starken politischen Willen und Mut. Gibt es Gespräche und Überlegungen in diese Richtung?
Es gab auf Bundesebene einen Arbeitskreis zur Prostitution, der Bericht ist auch bereits fertig, in dem Empfehlungen erarbeitet wurden. In diesem Arbeitskreis waren auch NGOs vertreten; wir haben auch mitgearbeitet. Es ist hier ganz wichtig, die komplexe Situation im Auge zu haben, für die es keine einfachen Rezepte gibt. Auch wir haben keine Lösungen parat.
Roman Seidldérive: Wie ist die Situation für die Prostituierten im Stuwerviertel? Nachdem sie so unauffällig sein müssen, sind das vermutlich schwierige Arbeitsbedingungen.
Van Rahden: Wir kennen viele, die dort nicht mehr arbeiten, weil es für sie einfach nicht mehr möglich ist. Die arbeiten dann eher in den zu Beginn erwähnten Straßen, was dazu führt, dass dort sehr viele Frauen stehen und – wie wir immer wieder hören – die Preise sehr niedrig sind. dérive: Welche Strafen drohen den Frauen, die im Sperrbezirk von der Polizei kontrolliert werden? Was kann ihnen vorgeworfen werden?
Van Rahden: Anbahnung in der Sperrzone bzw. Schutzzone, Anbahnung zur falschen Uhrzeit; auf der Straße stehen oder bei Rot über den Zebrastreifen gehen hatten wir auch schon. Teilweise werden sehr hohe Geldstrafen verhängt. Wir kennen Frauen, die in einem halben Jahr Strafen in der Höhe von 20-30.000 Euro bekommen haben. Frauen, die diese Verwaltungsstrafen nicht zahlen können, müssen auch immer wieder eine Freiheitsersatzstrafe absitzen.
dérive: Was wissen Sie über die Beschwerden der AnrainerInnen im Stuwerviertel, die ja über die Medien immer wieder kolportiert werden?
Van Rahden: Ich weiß, dass es Menschen gibt, die sich sehr stark belästigt fühlen. Unserer Erfahrung nach ist es aber auch möglich, Lösungen zu finden. Wichtig wäre es z. B., für eine geringere Konzentration zu sorgen, indem es weniger Fahrverbote gibt. Es führt natürlich zu Belästigungen, wenn an einem Ort sehr viele Frauen stehen und dieser Ort in der Nähe von Wohnhäusern ist. Hätte man die Möglichkeit, Alternativen anzubieten, wäre die Situation sicher einfacher. Ich glaube aber nicht, dass es möglich ist oder Sinn hat, für eine völlige Separierung zu sorgen. Aus Gesprächen mit AnrainerInnen weiß ich auch, dass das gar nicht unbedingt die höchste Priorität hat – es geht, wie schon erwähnt, viel mehr um die Begleiterscheinungen. Wir reden auch immer wieder mit den Frauen, die auf der Straße arbeiten, und sagen ihnen, dass es für ihren eigenen Arbeitsplatz wichtig ist, dass sie sich an bestimmte Verhaltensregeln halten. Es gibt allerdings auch eine Gruppe von Frauen, denen das egal ist, weil sie das Gefühl haben, dass auch sie der Gesellschaft egal sind. Da kommt es dann zu Wechselwirkungen. Viele Frauen fühlen sich sehr stigmatisiert und schlecht angesehen. Ein respektvollerer Umgang von beiden Seiten würde hier sicher helfen und dazu führen, dass auf die Anliegen der AnrainerInnen stärker Rücksicht genommen wird. dérive: Wie sieht der Aufgabenbereich von Sophie aus? Ich weiß, dass Sie vorrangig in der Beratung für Prostituierte tätig sind. Gehört es auch zu Ihren Aufgaben, Kontakt zur Polizei und zu AnrainerInnen zu halten und ganz allgemein Öffentlichkeitsarbeit zu machen und z. B. darauf einzuwirken, dass die Berichterstattung in den Medien weniger skandalisierend ist?
Van Rahden: Neben der konkreten Sozialarbeit sehen wir sehr wohl das politische Mandat der Sozialarbeit. Es ist konkret meine Aufgabe, hier tätig zu sein: in Arbeitskreisen mitzuarbeiten, Kontakte zur Exekutive und zu AnrainerInnen zu halten. Wir weisen aber ganz klar darauf hin, dass wir keine Mediatorinnen sein können und wollen, sondern immer die Rolle einer parteilichen Vertretung einnehmen. Gerade bei einer so stigmatisierten Gruppe ist es wichtig, diese Vertretungsfunktion auszuüben.
dérive: Sind Sie auch mit der Gebietsbetreuung im 2. Bezirk in Kontakt?
Van Rahden: Noch nicht – das hat mit beschränkten Ressourcen zu tun. Das fände ich aber wichtig. Im 14. und 15. Bezirk waren wir aber immer wieder an Runden Tischen beteiligt. Regelmäßig nehmen wir im 15. Bezirk auch am Regionalforum teil.
dérive: Wie beurteilen Sie die Politik der Polizei? Sehen Sie ein Ziel, das hier verfolgt wird? Verursachen die Maßnahmen der Polizei nicht oft nur neue Probleme?
Van Rahden: Es gibt in den betroffenen Bezirken regelmäßige Gespräche mit der Polizei. Die Aufgabe der Polizei ist es, die Gesetze zu exekutieren; die Aufgabe der Politik ist, es diese Gesetze zu gestalten. Daher ist die Sache schwierig. Wir treffen aber immer wieder sehr viele Exekutivbeamte, die die Situation durch ihre Arbeit gut kennen und die mit der jetzigen Situation nicht sehr glücklich sind.
dérive: Weil die Arbeit der Polizei nur zu einer Verdrängung führt?
Van Rahden: Ja. Wenn die Frauen dann irgendwo sind, ist es natürlich schwierig, sie zu erreichen. Das gilt für die Polizei genauso wie für die NGOs. Je unsichtbarer etwas sein muss, weil es verboten ist oder weggedrängt wird, desto schwerer ist es, zu sehen, was geschieht. Dadurch passiert es leichter, dass schwierigere und vor allem ausbeuterische Arbeitsbedingungen entstehen.
dérive: Zum Abschluss noch eine Frage zur allgemeinen Situation in Wien. Sie haben die besonderen Gegebenheiten in Wien schon geschildert und auf andere Strukturen in manchen deutschen Städten hingewiesen. Gibt es internationale Modelle, die sich Wien als Vorbild nehmen könnte? Van Rahden: Deutschland hat 2002 den Versuch unternommen, durch das neue Prostitutionsgesetz für die Personen, die in diesem Bereich tätig sind – zumeist betrifft das Frauen, obwohl auch einige Männer tätig sind – die rechtliche Absicherung zu verbessern. Die „Sittenwidrigkeit“ ist gefallen; dadurch wurde es möglich, Verträge abzuschließen.
Wir fänden es sehr wichtig, dass auch in Österreich das Urteil des Obersten Gerichtshofes von 1989 zur Sittenwidrigkeit aufgehoben würde. Die Sittenwidrigkeit verunmöglicht das Abschließen eines Vertrages zwischen einer Prostituierten und einem Freier. Durch eine Gesetzesänderung würde sich die Wahrnehmung ändern, und man könnte über die konkrete Arbeitssituation reden.
dérive: Am ehesten kann also durch juristische Maßnahmen eine Verbesserung erzielt werden?
Van Rahden: Ja, das denke ich, weil es sich im Moment um einen rechtlichen Graubereich handelt und keine Rechtssicherheit herrscht, womit Willkür möglich ist und die Frauen keine Sicherheit haben. Wenn ich seriöse BetreiberInnen im Milieu haben möchte, die den Frauen auch faire Arbeitsbedingungen ermöglichen, dann muss ich für Rechtssicherheit sorgen, die eine längerfristige Planung ermöglicht. Wenn die BetreiberInnen die nicht haben, versuchen sie so schnell wie möglich viel Geld zu verdienen, was wiederum zu sehr hohen Mieten bzw. Tagesbeträgen für die Frauen führt. Das hängt ja alles miteinander zusammen. Derzeit werden Lokale, aus welchen Gründen auch immer, oft sehr schnell geschlossen, es gibt oft keine Bordellgenehmigungen. Die Lage ist sehr schwierig und intransparent.
dérive: Haben Sie die Hoffnung, dass es in nächster Zeit auch zu konkreten Maßnahmen auf politischer Ebene kommt?
Van Rahden: Wenn ich diese Hoffnung nicht hätte, wäre das sehr demotivierend für mich. Ich finde es aus frauenpolitischen und feministischen Gründen nicht gut, wie mit diesen Frauen umgegangen wird. Ich sehe täglich, welche Auswirkungen die jetzige Situation für die Frauen hat; das spornt mich an, weiterzumachen.
Weitere Informationen über die Arbeit von Sophie – BildungsRaum für Prostituierte:
http://www.sophie.or.at
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.
Eva van Rahden