» Texte / Sind wir schon abgesoffen oder noch zu retten?

Iver Ohm


Wie jedes Jahr fahren wir Ende Mai zur Biennale nach Venedig. In dem einen zur Architektur, im anderen zur Kultur. »Kultur« und nicht »Kunst« hier als Provokation gemeint, weil uns die Biennale als Struktur jedes zweite Jahr die Kunst für blöde verkaufen will und zu meinen scheint, samt ihrer (Re-)Präsentation dieser über die Alltagsrealität der Menschen erhaben zu sein. Denn direkt und indirekt wird durch ihre institutionelle inszenierte Praxis immer wieder proklamiert, das politische, soziale, architektonische und kulturelle Räume scheinbar von einander getrennt zu denken, zu inszenieren und damit real von einander zu trennen sind. Selbstverständlich würde sich kaum einE HauptkuratorIn der Biennale so selbst­kritisch in Bezug auf die eigene Arbeit äußern, denn selbstverständlich werden in den Inszenierungen der Kunstrepräsentation diese Verräumlichungen offiziell nicht auseinander gehalten oder als getrennt angesehen, sondern virulent durchmischt. Darüber hinaus besitzt heutzutage ja fast jede ernstzunehmende Kunstausstellung ihre direkt oder indirekt inszenierte »kritische« und/oder gesellschaftlich bzw. politisch relevante Seite. Ansonsten würde irgendetwas fehlen, die angestrebte Gesamtheit geradezu lückenhaft sein, denn Analyse und Kritik sind schon länger zu Musterkindern in der Selbstdarstellung der Kunstwelt avanciert. Nur bei den Kunstmessen ist dies ganz einfach und ehrlich nicht der Fall. Ob in Wien, Basel, London oder Miami – es geht ums liebe Geld. Im letztgenannten Strandparadies noch nicht einmal mehr darum, denn den richtig Reichen ist der schnöde Mammon ja nicht nur egal, sondern auch hochgradig lästig. Daher geht es dort fast ausschließlich um das Sich-Repräsentieren und ein aus­schweif­endes Sich-Selbst-Feiern. Was könnte dafür einen besseren Rahmen bieten als die auf irritierende Weise immer noch als frei benannte zeitgenössische Kunst? Was jedoch während der Art Basel Miami Beach durch die unzähligen umherfahrenden Automobilikonen jenseits der Eine-Million-Dollar-Grenze dargestellt wird, kann in Venedig leider nur kläglich durch Riesenjachten am Kai nahe der Giardini und private Rundfahrten im sündhaft teuren Taxi Acqueo ersetzt werden. Diese irren Verhältnisse werden in der Wandinstallation »We Sit Starving Amidst our Gold« (siehe Foto) von Jeremy Deller im englischen Pavillon – ein Glück – wunderbar klärend dargestellt.

Englischer Pavillon: Im Hintergrund Wandbild von Jeremy Deller, We Sit Starving Amidst our Gold., Foto: Iver Ohm
Englischer Pavillon: Im Hintergrund Wandbild von Jeremy Deller, We Sit Starving Amidst our Gold., Foto: Iver Ohm

Die Biennale in Venedig ist somit fast menschlich. Zwingt sie uns nicht seit mittlerweile 110 Jahren während der Pre­view-Tage alle wie wahnsinnig durch den weit­verzweigten Irrgarten von Venedig zu hetzen um ja nichts, und vor allem keinen noch so wichtigen und geheimen Empfang zu verpassen. Alle müssen das machen. Alle? Nun ja, vor allem diejenigen, welche gnädigerweise in die Wichtigkeit der hochherrlichen global-goldenen Arty-farty-Riege aufgestiegen sind. Egal ob geschummelt oder »echt«, wer hier im scheinbar ent-realisierten Theater der Selbstproduktion gute Miene zum lächerlichen Spiel macht, ist dabei. Ob durch Vaporetto oder Wassertaxi gestützt, Venedig macht sie alle zu streunenden Individuen, die stets suchend um ihre rollenbezogene Contenance bemüht sind. Somit ist die romantische Kulissenstadt oft mehr Biennale als der Content und die Kontextualisierung der Ausstellung selbst. Das diesjährige Programm unter Hauptkurator Massimiliano Gioni läuft unter dem Titel »Il Palazzo Enciclopedico«, auch wenn hier und dort Verweise auf das Konzept zu entdecken sind, so bleibt die Umsetzung der großen Idee doch leider recht unscharf und beliebig. Eine Enzyklopädie ist meist weniger beliebig, sondern eher eine Zusammenfassung. Bedauerlicherweise besitzt die Biennale durch die national kuratierten Pavillons inhaltlich wie praktisch zu viele Stränge unterschiedlicher Artikulationsweisen um die Homogenität einer Gesamtschau über eine örtliche Verknotung der Spielplätze hinaus leisten zu können. Daher wird diese Entbehrung programmatisch zweigeteilt und in der offiziellen Ankündigung als »dual exhibition model« verkauft. Innerhalb dieser dualen Paradoxie des unlösbar Gewollten im strukturell Machbaren produzieren die politischen Tagesereignisse ganz unverhofft eine weitere verschroben eingelegte Betrachtungsebene: Während in Istanbul am Tage vor der Eröffnung der Biennale hunderte Menschen bei Protesten gegen das Gewaltregime der Erdogan-Regierung verletzt werden, wird im türkischen Pavillon der Venedig-Biennale die Ausstellung Resistance des aus der Türkei stammenden Künstlers Ali Kazma gezeigt, welche die Nation Türkei und damit die (noch) politisch legitimierte Regierung mit-repräsentiert. Hierin werden in einer mehrkanaligen Videoinstallation verschiedene Blickrichtungen auf den menschlichen Körper und dessen Grenzen einander gegenübergestellt. In nächtlicher Runde beschließen auf Grund dieser politischen Ereignisse Kurator und Künstler des türkischen Pavillons, gemeinsam mit einer größeren Gruppe von UnterstützerInnen der Proteste, am nächsten Tag eine Kundgebung auf dem Markusplatz und in dem national besetzten Kunst-Raum des türkischen Pavillons zu initiieren. Doch, oh Wunder, sie werden zwar nicht auf dem Markusplatz, wohl aber auf dem Gelände der Biennale von der Polizei daran gehindert und davongescheucht. Ihr Raum ist nicht ihr Raum, ist nicht unser Raum, sondern jener der Türkei. Nur ein kleines Protestblatt bleibt am Eingang kleben, das »Resisti Istanbul« besagt und hier und dort bei den BesucherInnen für ein verwundertes Stirnrunzeln oder Grinsen sorgt... …und weiter geht die Reise durch die heiligen Hallen der internationalisierten Kunstrepräsentation. Vorbei an Indonesien, einer Cafeteria und Italien, wurde im georgischen Pavillon die architektonische Prekarität des noch jungen Landesbeitrags, ähnlich wie vielerorts in der Hauptstadt Tiflis, durch Kreativität zu einer »parasitic« und »kamikaze«-haftigen räumlichen Tugend transformiert. Oder wie es die Kuratorin des Pavillons und Herausgeberin des »Guide to the performative architecture of Tbilisi« in ihrem Katalogbeitrag über den kontextuellem Hintergrund beschreibt: »appropriating, commenting on, and re-using the ruined utopias of the past in order to reflect the lived conditions of the contemporary environment.« Zu all diesem passt auch die Visualisierung und Kommentierung der Angst vor einem Versagen der industrialisierten Menschheit von Alfredo Jaar im chilenischen Pavillon: Dem Untergang der historischen (Kultur-)Stadt Venedig. Fast mystisch und gleichzeitig modellbahnhaft versinken die nationalen Pavillons der Giardini leise und gemächlich in grünlichen Fluten, nur um nach wenigen Minuten unter leisem Motorengeräusch wieder aufzuerstehen. Bei Mohammed Kazem im Pavillon der Arabischen Emirate ist das nicht mehr möglich, da wir in seiner Installation Walking on Water als Schiffbrüchige in einem endlosen Meer aus virtuellem Wasser treiben, nur die Koordinaten unserer Position auf dem Fußboden sind ein Garant dafür, dass wir noch nicht ertrunken sind. Und so heißt es alle Jahre wieder: Die Stadt Venedig ist zumindest in der Abendstimmung noch immer märchenhaft und fast himmlisch(-enzyklopädisch) schön, und somit vor allem für romantisch veranlagte Menschen auch noch immer eine Reise wert. Aber die Biennale hat noch viel zu lernen, wenn sie als Institution weiterhin ernst genommen werden will, vor allem da sie innerhalb ihrer Kunst-Beständigkeit nicht so ignorant sein sollte zu meinen, es ginge hier nur und vor allem um die »Kunst«. Nein, nach über hundert Jahren geht es hier schon lange nicht mehr allein um le belle arti, sondern auch und vor allem um die Kultur des Handelns. Ein Umstand, welcher auch auf so manchen (noch nicht verjagten) Despoten in dieser Welt und die heillos überfüllte Touristenstadt Venedig gleichfalls zutrifft.

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Biennale Venedig 2013
Der enzyklopädische Palast

  1. Juni – 24. November 2013
    Künstlerischer Leiter: Massimiliano Gioni

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