Sozialräumliche Polarisierung wird gemacht
Die Politik der »Vermarktung«Wien ist anders. Wie lange noch? Im Vergleich zu vielen Städten ist Wien durch eine relativ homogene soziale Stadtentwicklung gekennzeichnet. Die Bildung von Slumvierteln ist bislang weitgehend unbekannt, auch kommt Gentrifizierungsprozessen noch eine relativ geringe Bedeutung zu. Dennoch zeichnen sich - ähnlich wie andernorts - zunehmend räumliche Polarisierungstendenzen ab. Wie kommt es dazu? Die Frage nach den tieferen Ursachen dieser Prozesse steht damit im Zentrum dieses Artikels.
Wien ist anders. Wie lange noch? Im Vergleich zu vielen Städten ist Wien durch eine relativ homogene soziale Stadtentwicklung gekennzeichnet. Die Bildung von Slumvierteln ist bislang weitgehend unbekannt, auch kommt Gentrifizierungsprozessen noch eine relativ geringe Bedeutung zu. Dennoch zeichnen sich - ähnlich wie andernorts - zunehmend räumliche Polarisierungstendenzen ab. Wie kommt es dazu? Die Frage nach den tieferen Ursachen dieser Prozesse steht damit im Zentrum dieses Artikels.
Am Wiener Fall wird versucht die ökonomischen und politischen Veränderungen und Interessen, die für diese Entwicklungen verantwortlich sind, aufzuzeigen. Dabei wird deutlich, dass der politischen Regulierung des Wohnungsbereiches eine zentrale Rolle für die Stadtentwicklung zukommt. Zwar hängen die Änderungen in der politischen Regulierung des Wohnungsbereiches und der Stadtentwicklung mit einem Wandel des ökonomischen Entwicklungsprozesses zusammen. Dieser Zusammenhang ist jedoch politisch vermittelt. Die jeweilige konkrete Form der politischen Regulierung ist jedoch ihrerseits nur in engem Zusammenhang mit ökonomischen Entwicklungsprozessen zu verstehen. Die aktuell beobachtbaren Veränderungen in der sozialräumlichen Struktur gilt es daher vor dem Hintergrund und eingebettet in langfristige historische Entwicklungen und Umbrüche zu betrachten. Soziale Polarisierung ist demnach keine scheinbar soziale »Naturgesetzlichkeit«, die nunmehr verstärkt über die Stadt hereinbricht, sondern Ergebnis von politischen Prozessen. Im Rahmen dieses kurzen Beitrags können diese großen Trends und Veränderungsprozesse nur auf sehr hoher Abstraktionsebene dargestellt werden. Es ist offensichtlich, dass diese im Detail wesentlich differenzierter ablaufen und zu betrachten sind. Dennoch soll hier ein genereller Überblick über die zentralen Entwicklungstendenzen und Ursachenzusammenhänge erfolgen. Der Kern der Veränderung wird in der Rekommodifizierung des Bodens und des Wohnens ausgemacht. Darunter versteht man die neuerliche »Vermarktlichung« des Wohnungsbereiches. Damit werden der Bodenpreis und die Logik der Bodenrente zu zunehmend entscheidenden Determinanten für die sozioräumliche Strukturierung der Stadt. Was das bedeutet, wird im Folgenden kurz skizziert.
Ent-/Rekommodifizierung
Die sich nunmehr tendenziell stärker herausbildenden sozialräumlichen Polarisierungen hängen eng mit einem Wandel vom fordistischen zu einem postfordistischen bzw. neoliberalen ökonomischen Entwicklungsmodell zusammen. Dieser ist seit den 80er-Jahren beobachtbar und erfährt insbesondere seit den 90er-Jahren eine besondere Dynamik. Während im Rahmen der fordistischen Entwicklungsweise der Nachkriegszeit tendenziell relativ starke sozialräumliche Homogenisierungstendenzen – oder zumindest kaum deutliche Polarisierungsprozesse – feststellbar waren, gewinnen nunmehr gegenläufige Tendenzen an Gewicht. Diese sind jedoch an der Oberfläche bislang noch wenig sichtbar, da sich die sozialräumliche Struktur einer Stadt erstens sehr langsam verändert und zweitens nach wie vor eine Reihe wichtiger Regelungen aus fordistischen Zeiten fortbestehen.
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die Regulierung der Stadtentwicklung sowie des Wohnungswesens in vielen Städten durch eine weitgehende Entkommodifizierung geprägt. D.h., dass der Wohnungsbereich nicht unmittelbar dem Markt unterworfen war, sondern dass durch Mietpreisfestlegungen und öffentlichen Wohnbau politische Logiken bestimmend wurden. Diese weitgehende Entkommodifizierung des Wohnens hatte jedoch in Wien bereits zu Ende des Ersten Weltkrieges mit der Einführung des »Friedenszinses« und der berühmten sozialen Wohnbauoffensive des Roten Wiens eingesetzt. Mietwohnungen, die das Gros aller Wohnungen ausmachten, wurden damit sehr günstig. Die Ausgaben für Wohnen an den gesamten Konsumausgaben nahmen damit deutlich ab. Was aus stadtstruktureller Sicht jedoch interessant ist, ist dass es damit gelang, großräumiger sozialer Polarisierung zumindest partiell entgegenzuwirken. Denn durch die weitgehende Entkommodifizierung des Wohnens erfolgte die soziale Strukturierung der Bevölkerung zu einem großen Teil nicht mehr anhand des Wohnungspreises, und damit auch nicht indirekt auf Basis des Bodenpreises und der Logik der Bodenrente.
Die Logik der Bodenrente
Die Bodenrente ist nämlich bei einer liberalen – sprich warenförmigen – Regulation des Wohnungsbereiches und der Stadtentwicklung die bestimmende Kategorie für soziale Segregation. Sie ist jedoch kein natürlicher »Mechanismus«, sondern vielmehr eine soziale Institution, über die die Strukturierung des Raumes erfolgt. Die Segregation einzelner Bevölkerungsschichten hängt dabei primär von der Zahlungsfähigkeit einzelner Gruppen ab. Denn die entscheidende raumstrukturierende Wirkung der Bodenrente erfolgt über die Monopolpreisbildung des Bodens: Derjenige Personenkreis, der am meisten für einen bestimmten Ort bezahlen kann, schließt alle anderen Gruppen, die nicht so viel bezahlen können, von diesem aus. Damit gelingt es reicheren Schichten, sich von ärmeren räumlich abzugrenzen. Die Zahlungsfähigkeit wird dabei primär über die Klassenzugehörigkeit und somit die Stellung im Produktionsprozess bestimmt. Unterschiedliche Regulationen des Produktionsprozesses und der Verteilung des Einkommens sind für die Differenzen in der Zahlungsfähigkeit ausschlaggebend. Soziale Segregation ist im Lichte der Bodenrente nicht als voluntaristisch erklärbares Phänomen zu begreifen, vielmehr sind die Menschen gezwungen, an denjenigen Orten zu wohnen, die für sie leistbar sind. Postmoderne Glorifizierungen von »neuen Milieus« etc. verschleiern hingegen den Zwang aufgrund geringeren Einkommens in bestimmten Gegenden wohnen zu müssen. In der fordistischen Entwicklungsphase waren die Einkommensunterschiede vergleichsweise gering ausgeprägt. Damit war ein großer Teil der Bevölkerung relativ »gleich« und auch die Möglichkeit, über höhere Zahlungsfähigkeit hohe Bodenrenten zu bezahlen und sich damit prestigeträchtigere Orte zu sichern, relativ beschränkt. Was jedoch noch viel wichtiger war: Die Bodenrentenlogik war nur für ein sehr kleines Segment der Bevölkerung entscheidend. Der Großteil der Bevölkerung wohnte in preisregulierten Mietwohnungen, Gemeindewohnungen und Genossenschaftswohnungen. An Stelle der Zahlungsfähigkeit war sozialräumliche Strukturierung der Bevölkerung eher an politisch definierte Zugänge zu einzelnen Segmenten des Wohnungsbereiches geknüpft. MigrantInnen, denen Sozialwohnungen etwa nicht zugänglich waren, waren darauf beschränkt, im Mietwohnungsbereich ihr Unterkommen zu finden.
Deregulierung
Mit dem ersten Aufweichen der Mietpreisregulierung 1968 und den Deregulierungen zu Beginn und Mitte der 80er-Jahre hielt die Marktlogik wieder Einzug. Mit der Einführung des Richtwertmietzinses Mitte der 90er-Jahre wurde die Möglichkeit von Zu- und Abschlägen je nach Lage und damit eine Preisdifferenzierung von Wohnungen aufgrund ihrer räumlichen Verortung wieder möglich. Mit dieser Rekommodifizierung wurde die Tür für verstärkte sozioräumliche Polarisierungsprozesse wieder aufgestoßen. Auch sind damit die Wohnungskosten – und damit die Einkommen der Immobilienbesitzerinnen – deutlich angestiegen. Die Deregulierungsmaßnahmen blieben jedoch nicht auf die Wohnungsbestandspolitik beschränkt. Sie erstreckten sich vielmehr auch auf den Bau von Wohnungen. Seit Mitte der 90er-Jahre ging die substanzielle Wohnbauförderung deutlich zurück und wird sich im Zuge der Auflösung der Zweckbindung für Wohnbaufördermittel zukünftig noch drastischer reduzieren. Diese geförderten Wohnungen waren durch den maximal festgelegten absoluten Grundkostenanteil zwar von sehr begehrten räumlichen Lagen ausgeschlossen, aber dennoch relativ homogen im sozialen Raum verteilt. Im internationalen Vergleich verwundert, dass in Österreich diese Deregulierungsmaßnahmen erst jetzt einsetzen. Der lange Bestand dieser Regulierung erklärt sich vor allem damit, dass in Österreich die einflussreiche Koalition aus Banken, Baufirmen und (genossenschaftlichen) Bauträgern bis dato massives Interesse an der traditionellen Form der Wohnbauförderung hatte. Für die Banken waren sichere Kreditgeschäfte, für die Baufilmen hohe Aufträge und für die Bauträger volle Auftragsbücher gesichert. Im Zuge der Rekommodifizierung des Wohnungsbestandes sowie der Errichtung von Wohnungen für eine von einer sich polarisierenden Einkommensverteilung profitierenden oberen Mittelschicht (Stichwort: Gentrifizierung) haben sich jedoch neue Geschäftsfelder aufgetan. Die Banken sind zunehmend weniger auf die traditionelle Wahnbauförderung angewiesen, sondern wittern im Bereich der frei finanzierten Immobilien neue Möglichkeiten. Ein Abbau der traditionellen Wohnbauförderung gibt diesen neuen Tätigkeitsfeldern massiven Auftrieb, womit Gewinne – aus steigenden Renten – wieder fließen. Auch Baufirmen sind von diesem Rückgang zunächst nicht unmittelbar negativ betroffen, da die Wohnbauförderungsmittel ja für Errichtung von Infrastruktur verwendet werden können. Stehen weniger Fördermittel für den Wohnbau zur Verfügung, werden auch weniger Wohnungen errichtet. Dies führt mittelfristig zu Wohnungsknappheit und höheren Preisen bei bestehenden Immobilien. Auch wird die frei finanzierte Immobilienerrichtung vergleichsweise konkurrenzfähiger. Darüber hinaus sind diese Entwicklungen im generellen Interesse der ImmobilienbesitzerInnen. Noch ist Wien anders. Dies wird sich jedoch, wenn die Deregulierungsmaßnahmen beibehalten bzw. fortgesetzt werden, ändern. Wiewohl nunmehr Immobilieninteressen immer stärker werden, die an Deregulierung und liberaler Wohnungspolitik verdienen, ist es dennoch eine Frage der politischen Durchsetzung weiterer Liberalisierungsmaßnahmen im Wohnungsbereich – insbesondere im Mietrecht. Erfahrungen in deutschen Städten, wo diese Liberalisierungsprozesse schon früher und radikaler durchgeführt wurden, führen drastisch vor Augen, dass eine liberal konzipierte Stadt- und Wohnungspolitik – charakterisiert durch freie Mietfestlegung ergänzt um sparsame Subjektförderungen – zu einem Wiederaufleben der Wohnungsnot und zu neuer und vertiefter sozialräumlicher Polarisierung führt.
Johannes Jäger