Erik Meinharter


Fahrradtaxi und Metro-Bus in Havanna, Cuba | Foto © Philippe Antoine
Fahrradtaxi und Metro-Bus in Havanna, Cuba | Foto © Philippe Antoine

Mobilität und Stadt sind untrennbar verbunden

Stadtgründung fußt auf der Möglichkeit des Transports von produzierten Gütern aus dem Umland in die primärproduktionslose Stadt. Die Stadtentwicklung reagiert als Netzwerk von Bewegungsräumen und den dazwischenliegenden „statischen“ Elementen der Parzellen auf die Bewegungen von Menschen und Gütern. Stadt ist auf diese Bewegungen angewiesen und verändern sich deren Formen, verändert sich auch die Stadt. Aus der räumlichen Anordnung von unterschiedlichen Funktionen resultiert ein Transport entlang dieses Netzwerks. Lageveränderungen und Verbindungsveränderungen aufgrund politischer, ökonomischer, gesellschaftlicher und technischer Neuordnungen, die Auswirkungen auf die Mobilität der Gesellschaft haben, zeigen sich, wenn auch aufgrund der Stabilität des städtischen Netzwerks sehr langsam, in der Stadtstruktur. Ändert sich die Mobilität, ändert sich auch die Stadt.

Stadtplanerische Eingriffe, wie zum Beispiel eine forcierte Stadtentwicklung ent-lang radialer Achsen, ziehen erst Jahre später Modifikationen des Mobilitätsverhaltens und weitere Entwicklungen entlang dieser Achsen nach sich. Auch ver-änderte Regulationsmechanismen oder ökonomische Wandlungen beeinflussen die Mobilität. Diese Entwicklungen sind voneinander abhängig. Die Auswirkungen der Pendlerpauschale in Österreich oder der km-Pauschale in Deutschland um 1955 (vgl. Kühne) auf die Wahl des Verkehrsmittels bei notwendiger Mobilität sind sicherlich als sehr stark das Mobilitätsverhalten beeinflussende Faktoren einzuschätzen. Dadurch können Versuche, wie z.B. mittels Aufklärungsprogrammen auf eine neue „nachhaltige Mobilitätskultur“ hinzuwirken nur kleine Teilerfolge erzielen.

Missverständnis Automobilität

Mobilität wird zumeist als Automobilität missverstanden. Nicht nur auf der Basis dieses Missverständnisses werden soziale Komponenten der Mobilität wie unterschiedliche Verfügbarkeiten, Tagesabläufe oder Anforderungen nicht mobiler Gruppen in den Betrachtungen negiert. Die räumliche Dominanz des motorisierten Individualverkehrs, seine Eroberung der Straße durch die Durchsetzung einer „Dromokratie“ (vgl. Virilio) blendet andere Formen der Mobilität aus.

Das motorisierte Individualfahrzeug hat den Straßenraum entdemokratisiert und die Verfügbarkeit des städtischen Raumes gemäß seinen technischen Anforderungen differenziert und doch ist diese Entwicklung gleichzeitig mit einer Mobilitätssteigerung zuvor immobiler Gruppen verbunden. In der gesellschaftlichen Entwicklung hat das Automobil selbst keinen Individualisierungsschub ausgelöst. Es ist jedoch ein probates Mittel, dieser Tendenz Vorschub zu leisten, als soziale Praxis des individualisierten Verkehrs die gesellschaftliche Differenzierung zu unterstützen. Dies schlägt sich auch räumlich in einer Verfügbarkeit von zentrumsfernen Wohnorten nieder.

Das Automobil wird mit allem Optimismus eines intermodalen Verkehrsansatzes auch nur soweit tragbar sein, wie seine Infrastruk-tur eine Ausweitung und Verdichtung der Verkehrsmenge verkraftet. In einer Studie zur Mobilität 2025 im Auftrag des deutschen Automobilherstellers BMW wurde bereits vom Mythos des „individuell verfügbaren Fortbewegungsmittels“ Automobil abgegangen. Bei sinkenden Haus-halts-einkommen und steigenden Treibstoffpreisen wird dies auch nicht mehr leistbar sein.[1]

Der Mythos der Befreiung der Gesellschaft durch ein motorisiertes Individualverkehrsmittel ist schon aufgrund der Geschichte der Verbreitung des Automobils nicht halt-bar. Dementsprechend wird sich die Stadtstruktur wie auch die gesellschaftliche Mobilität verändern. Dass diese Entwicklungen jedoch auch in einem historisch-kritischen Zusammenhang gesehen werden können, beschreibt Sándor Békési eindrucksvoll in seinem Beitrag.

Orte der Mobilität in der Stadt

Auch die scheinbar statischen Orte der hohen Beweglichkeit sind für die soziale Struktur der Stadt von Bedeutung. Bahnhöfe, die bei ihrer Entstehung in ihrem Umfeld für Aufwertungen und städtische Verdichtungsmaßnahmen sorgen, sind als Gebäude im Stadtraum Transiträume und daher Zufluchtsorte ebenso wie Orte der Repräsentation. Die hohe Frequenz des Kommens und Gehens bietet die Möglichkeit, in überdachten Räumen nicht aufzufallen und gleichermaßen auffallend zu sein. Manfred Russo beschreibt in seinem Beitrag den Bahnhof als einen schon immer hoch verdichteten sozialen Ort.

Die Straße als Raum und Initial städtischer Entwicklung hat, wie an den radialen Entwicklungsachsen zu sehen ist, ebenfalls eine neue Zuschreibung bekommen. Wenn J. B. Jackson schreibt: „Roads no longer lead to places, they are places“, dann ist ein Schritt über die Mobilisierung des Raumes wieder retour zu dessen Fixierung geschehen. Stefan Bendiks von Artgineering be-trachtet in seinem Text so einen Raum, der nach einer rasanten Entwicklung als Verkehrsachse einen Urbanisierungsschub erfahren hat und dann durch eine neue Autobahn aus der kollektiven Erfahrung ausgeschieden ist. Was geschieht mit den Räumen der Bewegung, wenn sich diese von dort zurückzieht?[2]

Stadt formt Mobilität formt Stadt

Das Verhältnis von Stadt und Mobilität ist dialektisch. Mobilität von Menschen und Gütern verformt die Stadt im gleichen Maße wie die bestehende Stadtstruktur Formen der Mobilität ermöglicht oder ausschließt. Die „Stadt der kurzen Wege“ muss nicht eine Stadt mit weniger Verkehr bedeuten. Der Mythos vom im virtuellen Netzwerk verbundenen Heimarbeiter, der durch seine neue „freie“ Erwerbsarbeit (die nebenbei Nebenkosten des Arbeitgebers spart) auch noch für den Abbau von CO2, Feinstaub und sonstigen Umweltbelastungen sowie für die Befreiung verstopfter Straßen sorgt, sollte aufgelöst werden.

Das Verkehrsaufkommen, welches in der Mehrzahl vom Freizeitverkehr mitdominiert wird (vgl. Badrow), ist ein ge-sellschaftliches Phänomen, das sich nicht durch Schritte in Richtung der alten Zunfthäuser, die Arbeiten und Wohnen im Verband ermöglichten, stoppen lässt. Aus der Freiheit zur Mobilität ist längst ein Zwang erwachsen. Eine Dienstleistungsgesellschaft mit gestiegener Anforderung an Waren und Gütertransport und dem Transport von DienstleisterInnen zwischen verschiedenen Orten führt zu einer gene-rellen Mobilisierung des Individuums. Richard Sennet schreibt in seinem Buch Der flexible Mensch, dass nicht nur die äußere, sondern auch die geforderte innere Flexibilität des modernen Menschen Auswirkungen auf den Raum wie auch auf die Gesellschaftsstruktur hat. „Die moderne Kultur des Risikos weist die Eigenheit auf, schon das bloße Versäumen des Wechsels als Zeichen des Misserfolgs zu bewerten, Stabilität erscheint fast als Lähmung. Das Ziel ist weniger wichtig als der Akt des Aufbruchs. Gewaltige soziale und ökonomische Kräfte haben an dieser Insistenz auf ständiger Veränderung gearbeitet: die Entstrukturierung von Institutionen, das System der flexiblen Produktion – auch die handfesten Immobilien scheinen in Fluss geraten zu sein. Da will niemand zurückbleiben. Wer sich nicht bewegt, ist draußen.“(Sennet, S. 115). Im Beitrag von Anja Simma wird deutlich, dass unterschiedliche Alltagsstrukturen verschiedene Verfügbarkeiten von Mobilität erfordern und sich dadurch gesellschaftliche Differenzierungen oder Unausgewogenheiten über Bewegungsradien und verfügbare Handlungsspielräume der StadtbewohnerInnen ausdrücken. Diese Faktoren scheinen stärker zu wirken als die gemeinhin als bedeutend angenommenen von Raum und Mobilität.

Tram in Kaliningrad | Foto © Vitaly Volkov
Tram in Kaliningrad | Foto © Vitaly Volkov

Stadtrand und Zwischenstadt

Der Stadtrand hat sich als Form der autogerechten Stadtentwicklung in die ländlichen Bereiche ausgeweitet. Mobilität und Verkehr sind die treibenden Kräfte der Veränderung einer Stadt. Schon mit der industriellen Revolution und dem zunehmenden Waren- und Personenverkehr hat sich die Konfiguration der Stadt massiv verändert. Distanzen haben sich relativiert, feste räumliche Bezüge aufgelöst. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vor der Entstehung der modernen Massenmobilität, wurde die verändernde Kraft des (motorisierten) Verkehrs für die Städte thematisiert. Mit der auf dem 4. CIAM-Kongress 1933 (Thema „funktionale Stadt“) beschlossenen Charta von Athen war der mobilitätsgerechte – damals automobilitätsgerechte – Städtebau durch die Forderung einer Differenzierung der Straßen nach ihrer Funktion als eine zentrale Aufgabe der Stadtentwicklung entstanden. Diese Mobilisierung durchzieht dann die städtischen und städtebaulichen Strategien des 20. Jahrhunderts.

Heute ist offensichtlich, dass jede neue Maßnahme in der Stadt verschiedenste Formen von Verkehr nach sich zieht. Die unterschiedlichsten Verkehrsmittel (Automobil, Eisenbahn etc.) haben den Städtebau und die Stadt so maßgeblich verändert wie z. B. der Aufzug die Architektur. Die Bezeichnungen städtebaulicher Strategien binden sich an Mobilität, wie die Begriffe und Konzepte der „Bandstadt“[3] (Soria y Mata 1882) oder „Zwischenstadt“ (Sieverts 1999) oder das Schlagwort der idealisierten „Stadt der kurzen Wege“ zeigen, und dokumentieren damit, wie untrennbar Stadt und Mobilität ineinander verwoben sind.

Die oben beschriebene Automobilisierung der Gesellschaft produzierte einhergehend mit einer Tendenz zur Individualisierung einen breiten, netzartigen Rand der Stadt. Der Urban Fringe ist in seiner patchworkartigen Netzstruktur die ideale Umsetzung der Stadt auf der Basis eines motorisierten Individualverkehrs. Eine Nivellierung der Zentren und eine Überbetonung der linearen Entwicklung entlang netzartig verlaufender Infrastrukturen führt zu einer Vermischung von Stadt und Land, die schlussendlich ihre Differenz auflöst. Diese Stadtlandschaft oder Metropole ist der Schlusspunkt der Auflösung des Stadtrandes.

Bewegung schafft Stadtbetrachtung und Stadterfahrung. Die Form der Bewegung kann entscheidend dafür sein, wie Stadt beschrieben, erfahren und betrachtet wird. Ob es die Initialerfahrung des U-Bahn-fahrenden späteren Stadtforschers ist, wie der Beitrag von Christoph Gollner zeigt, oder das Gehen am Stadtrand als künstlerische (Boris Sieverts) oder wissenschaftliche (Lucius Burckhardt) Praxis. Die Form der Bewegung kann aus diesen Zonen zu Erkenntnissen führen, die ein tieferes Verständnis von Stadt und Mobilität fördern und Strategien basierend auf alternativen Mobilitätsdefinitionen unterstützen.


  1. Hier sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, dass diese Tendenz laut der Studie auch noch von einer Privatisierung des öffentlichen Personennahverkehrs begleitet werden soll. ↩︎

  2. Manche Stätten der Bewegung werden zu Gedenkstätten der ideologischen Vergangenheit einer gewalttätigen „Versöhnung von Natur und Technik“, wie die „Strecke 46“, eine nie fertig gestellte Autobahnstrecke aus nationalsozialistischer Zeit zwischen Bad Hersfeld und Würzburg. ↩︎

  3. Bezeichnenderweise war Arturo Soria y Mata, bevor er mit seinem Konzept einer „Ciudad lineal“ eine an einem Strang öffentlichen Verkehrs orientierte Stadtentwicklung propagierte, für die Planung der Straßenbahn in Madrid zuständig. ↩︎


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Literaturliste

Alexander Badrow, Verkehrsentwicklung deutscher Städte im Spiegel repräsentativer Verkehrsbefragungen unter besonderer Berücksichtigung des Freizeitverkehrs, Dissertation TU Dresden 2000.
Lucius Burckhardt, Ist Landschaft schön? – Die Spaziergangswissenschaft. Berlin: Martin Schmitz Verlag, 2006.
IFMO – Institut für Mobilitätsforschung – Eine Forschungseinrichtung der BMW Group, Zukunft der Mobilität – Szenarien für das Jahr 2025, Erste Fortschreibung, München: BWM AG Verlag, 2005.
J. B. Jackson, A sense of Place ... A sense of Time. New Haven: Yale University Press, 1994.
Thomas Kühne, Cornelia Rauh-Kühne (Hg.), Raum und Geschichte. Regionale Traditionen und föderative Ordnungen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Leinfelden: DRW-Verlag, 2001.
Stephan Rammler, Mobilität in der Moderne, Verkehrssoziologie – Geschichte und Theorie, in: WZB-Mitteilungen 94, 2001, S. 14-16.
Richard Sennet, Der flexible Mensch. Berlin: Berlin Verlag, 1998.
Boris Sieverts, Wie man Städte bereisen sollte, Ausstellungstext auf www.neueraeume.de.
Thomas Sieverts, Zwischenstadt, zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land. Braunschweig:Vieweg Verlag, Bauwelt Fundamente 118, 1997, 3. Auflage 1999.
Paul Virilio, Der negative Horizont. Bewegung – Geschwindigkeit – Beschleunigung. München: Hanser (Edition Akzente), 1989.