Erik Meinharter


4816 ist Wien. Die Stadt hat im Global Positioning System die Lage 48° nördlich des Äquators, und 16° östlich von Greenwich, daher beginnen alle GPS-Koordinaten in Wien mit N48° E16°.

Das Projekt >>4816 von Evamaria Trischak in Kooperation mit Nina Achathaller (Konzept), Oswald Berthold und sansculotte (Datenbank) vermisst die Stadt neu. Es wendet GPS-Minutenschnittpunkte[1] – also Punkte, die sich als vierstelliger Code lesen lassen – als Raster auf die Stadt an, um mit Hilfe freiwilliger TeilnehmerInnen eine neue Form der Stadtbeschreibung zu vollziehen. Alle DokumentarInnen sind aufgefordert diese Orte aufzusuchen und mittels Fotos in die vier Haupthimmelsrichtungen und einem kurzen Kommentar festzuhalten. Diese Dokumentationen werden dann in eine Datenbank übernommen und online abrufbar zur Verfügung gestellt. Der fortlaufende Prozess der Kartierung wird dadurch auf der Website direkt ablesbar.

Im gesamten Stadtgebiet gibt es 185 dieser Kreuzungspunkte. Auf Grund der Gleichwertigkeit aller Punkte findet ein „Aufheben der Differenz von Peripherie und Zentrum“* statt. Die teilnehmenden Personen erweitern gleichzeitig mittels ihrer „Erkundungsfahrten“* zu den Minutenschnittpunkten ihre Sichtweisen auf die Stadt. Diese Orte können sich, aufgrund der Rückprojektion eines mathe-matischen Rasters in den Raum, auch als schwer zugänglich erweisen.

Der methodische Ansatz hat einerseits Ähnlichkeiten mit einer naturwissenschaftlichen Untersuchung, die beispielsweise um Pflanzengesellschaften zu beschreiben die statistische Repräsentativität von zufälligen Punktverteilungen auf das zu untersuchende Areal anwendet[2], ihr fehlt jedoch jeglicher Objektivierungsanspruch hinsichtlich einer statistischen Repräsen-tativität. Anders als bei den künstlerischen Konzepten des Figurenfahrens der Situa-tionistischen Internationale wird keine Figur in die Stadt eingeschrieben, sondern die Stichprobe als singuläre Repräsentation der Stadt aufgefasst.[3]

Über die Dokumentation der Aufnahmen wird deutlich, wie die Stadtform als Konstruktion wahrgenommen wird, abhängig davon unter welchem System man sie betrachtet. Das Projekt >>4816 streicht damit sowohl die Abhängigkeit der Stadtbeschreibung von ihren ge-wäh-lten Mitteln hervor, wie es auch die TeilnehmerInnen auf Reisen zu unbekannten Punkten der Stadt schickt, und generiert aufgrund der Möglichkeiten neuer Stadterfahrungen neue individuelle Stadtbeschreibungen. Anders als bei einer spielerischen Form des „Geocoaching“[4] findet die Person keinen Gegenstand, sondern einen unbekannten Ort der Stadt als seinen „Schatz“. Diese dokumentierten Reisen finden sich im Forum der TeilnehmerInnen dann wieder. Dort werden beim Aufsuchen der Punkte erlebte Erfahrungen ausgetauscht. Schwierigkeiten und Problempunkte, wie aber auch konkrete Erlebnisse werden dokumentiert, ein „Schatz“ an Erzählungen zur Stadt versammelt. Die Gemeinschaft derer, die diese spezifischen Orte ansteuern, verstärkt sich im Online-Forum. Die Gruppe der >>4816-DokumentaristInnen bildet wie die der rasterförmige Stadtbeschreibung über die Vernetzung der Einzelpersonen im Online-Forum einen virtuellen „öffentlichen“ Raum.

Damit wird mit dem Projekt nicht nur die Abstraktion eines scheinbar exakten, mathematischen netzförmigen Prinzips von Knotenpunkten auf die Stadt angewandt, sondern auch auf die räumlich fragmentierte Gemeinschaft der Punktsuchenden selbst. Im Netzwerk der Erfahrungen wird dann gemeinsam die Hoffnung ausgesprochen, dass ein baldiges Zufrieren des „Schwanensees“, doch noch die Erreichbarkeit eines Punktes ermöglicht. Um so die „Stichprobe Stadt“ zu vervollständigen.

<http://4816.nsew.at>

Projekt URL: http://4816.nsew.at

Alle mit * gekennzeichneten Zitate sind der Website entnommen.

Fußnoten


  1. Exakte Schnittpunkte sind in der Vermessungstechnik und damit auch in der Anwendung eines Global Positioning Systems (GPS) nur Annäherungen. Dabei ist anzumerken, dass das Konzept sich einer Stadt mittels einer Maschine der Approximations-wissenschaft anzunähern durchaus poetische Kraft besitzt. ↩︎

  2. Zum Beispiel wird bei der Vegetations-aufnahme nach Braun-Blanquet der Ansatz verfolgt, über eine möglichst repräsentative Verteilung der Stichproben (Aufnahmefelder) Vegetationsgemeinschaften in räumlicher Verteilung in Kategorien einteilen zu können. ↩︎

  3. Das Figurenfahren mit Hilfe von GPS findet sich zum Beispiel beim auf der Website dieses Projektes verlinkten Global Positioning System Drawing Project. ↩︎

  4. Neben dem Zweig des Geocoaching, bei dem sich eine Gemeinschaft der Schatzsuchenden in spielerischer Form über das Werkzeug GPS versammelt (z.B. www.geocoaching.de, existiert auch ein aufsteigender Geschäftszweig, der digitale Informationen von Routen im GPS-Format anbietet, die dann als Rad-, Wander- oder Kulturrouten fungieren können (z.B. www.gps-tour.info, www.kompass.at, www.geo-coaching.net). ↩︎


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