Sympoiesis Observatory
Kunstinsert von Nikolaus GanstererSeit die dérive-Kunstinserts stärker an die Schwerpunkte der jeweiligen Ausgaben gebunden sind, warten wir manchmal schon darauf, wann endlich wieder ein Sampler erscheint, um Künstler:innen vorzustellen zu dürfen, die wir schon längst ganz oben auf unserer Liste haben, aber es thematisch noch in kein dérive-Heft geschafft haben.
Einer von diesen ist der in Wien lebende Künstler Nikolaus Gansterer, der sich für verkörperte Wahrnehmungsprozesse interessiert. Er entwirft, wie er es nennt, mehrdimensionale Kartografien, die er ausgehend vom dreidimensionalen Raum entlang zeitlicher, psychischer, politischer und spekulativer Achsen erweitert. Sein Fokus liegt dabei auf jenen mehr-als-menschlichen Wirkkräften (agencies), wie Wind, Licht, Farben, Geruch, Bewegung, aber auch Menschen, und der Art und Weise, wie ihre wechselseitig miteinander verschränkten flüchtigen prozessualen Präsenzen zur kontingenten Emergenz führen. Das Miteinbeziehen der eigenen sinnlichen Leiblichkeit bleibt für Gansterer immer Grundbedingung seiner Arbeit.
Im Rahmen der 14. Sharjah Kunstbiennale (2019) beobachtete und verzeichnete Gansterer über den Zeitraum von fünf Wochen die extremen Wechsel der Atmosphären und Stimmungen in einer leerstehenden Eisfabrik in der Wüste in den Vereinigten Arabischen Emiraten. An diesem entlegenen, fast dystopischen Ort in Khor Kalba schuf der Künstler Sympoiesis Observatory, eine immersive Installation aus großformatigen Mobiles, diagrammatischen Bodenzeichnungen, performativen Rauminterventionen und einer Klang- und Videoinstallation, die seine Beobachtungen reflektierten und dadurch einen einzigartigen Wahrnehmungsort für die Besucher:innen schufen.
Gansterer geht es in seinen transmedialen Arbeiten um den Begriff der Ko-Emergenz sowie darum, das »komplexe Verhältnis zwischen Organismen und ihrer Mit-Welt in das künstlerische Schaffen situativ miteinzubeziehen«. Ein zentrales Element seines sympoietischen Beobachtungsraums waren zwei Heliostaten, d. h. automatische Spiegelapparate, die sich mit der Erddrehung mitbewegen und so eine konstante Sonneneinstrahlung auf einen Fokuspunkt ermöglichen. Gansterer verwendete die Heliostaten in seiner Installation, um das vom Dach einfallende Sonnenlicht auf hundert gebogene Spiegelfragmente umzulenken, sodass es den Innenraum in ein ›expanded cinema‹ transformierte.
Der Künstler eröffnete seine immersive Installation mit einer performativen Aktivierung, die mit den vielen Mikroprozessen, die durch Licht, Schatten, Wind, Temperatur, Materialien, Insekten und Vögel registriert wurden, in Resonanz trat. Die Installation war den extremen Bedingungen vor Ort ausgesetzt und hat sich dadurch über drei Monate permanent weiterverändert, ja teilweise wieder aufgelöst.
Nikolaus Gansterer studierte zuerst Anthropologie, bevor er an der Universität für Angewandte Kunst Transmediale Kunst als Studienfach wählte. Nach seinem Studienabschluss in Wien folgten zwei Jahre an der Jan van Eyck Academy in Maastricht. Aktuell leitet er das PEEK Projekt Contingent Agencies (2019–2024) zur experimentellen Aufzeichnung von Atmosphären, Situationen und Umwelten. Gemeinsam mit dem Philosophen Alex Arteaga wird er im Herbst 2024 eine umfangreiche Publikation bei de Gruyter darüber veröffentlichen.
Barbara Holub / Paul Rajakovics
Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.
Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.
Nikolaus Gansterer studierte zuerst Anthropologie, bevor er an der Universität für Angewandte Kunst Transmediale Kunst als Studienfach wählte. Nach seinem Studienabschluss in Wien folgten zwei Jahre an der Jan van Eyck Academy in Maastricht. Aktuell leitet er das PEEK Projekt Contingent Agencies (2019–2024) zur experimentellen Aufzeichnung von Atmosphären, Situationen und Umwelten.