Susanne Karr


Nicht selten erwischen wir uns selbst beim Hineintappen ins Stereotyp: Typisch italienisch! Typisch Künstler! Oder? Oft scheinen diese Klischees gar nicht so störend, wenn sie positiv konnotiert sind. Was soll daran problematisch sein? Im Jüdischen Museum Wien sind die AusstellungsmacherInnen Thorsten Beck, Miriam Goldmann und Felicitas Heimann-Jelinek dieser Fragestellung nachgegangen und zu dem Schluss gelangt, dass Klischees als Orientierungshilfen dienen können – ohne sie wäre es erst mal kaum möglich, sich zurechtzufinden. So wird über Ähnlichkeiten und Assoziationen ein geeignetes Muster erstellt, das Ordnung erlaubt. Was aber, wenn die Assoziationen auf reiner Willkür oder böser Absicht beruhen? Leider gibt es genügend Beispiele, wie Vorurteile zu Handlangern übler Strategien wurden und werden. Die Eindeutigkeit und das Zuordnen – wie absurd und unhaltbar auch immer – scheint ein wohliges Sicherheitsgefühl zu vermitteln. Mehr noch, das Vorurteil enthebt der Reflexion, der näheren Betrachtung und spielt so der natürlichen Trägheit in die Hände. Hinterfragen ist schließlich anstrengend.

Das hervorragende Intro der von Martin Kohlbauer gestalteten Ausstellung zeigt Werbebilder, wie wir sie von alten und neuen Plakaten kennen, und lässt alltägliche Vorurteile mal extrem, mal milde erscheinen: Sei es das Lavazza-Katzenmädchen, das Sexyness durch Kaffeegenuss suggerieren soll, oder der Pfeife rauchende „Indianerhäuptling“. Steigerung: Der dunkelhäutige Bloßfüßige als Beispiel für den Kulturlosen, der nichts von Schuhcreme hält. Noch ärger wird es in der Seifenwerbung, auf der ein ebenfalls dunkelhäutiger Mann seine Hoffnung formuliert, durch die Seife weißer zu werden, und eine seiner Hände unter dem Schaum ist tatsächlich bereits etwas heller...

Um die Allgegenwart und Aktualität von Vorurteilen zu illustrieren, werden in der Ausstellung nicht nur Stereotype des „typisch Jüdischen“ gezeigt, wie etwa im grässlichen Dokument eines Schulbuches namens Der Giftpilz aus dem einschlägigen Hause Der Stürmer, in dem den Kindern dargelegt wird, wie Juden zu erkennen seien: in einem pseudo-objektiven Ton von so unverhohlener Missgunst, dass man sich wieder einmal fragt, wie dehnbar der Begriff Unterricht sein kann. Ein Paradebeispiel für die psychologische Banalattitüde, andere herabsetzen zu müssen, weil man sonst selbst gar nichts ist. Diese Tendenz findet sich freilich immer wieder, etwa in aktuellen antisemitischen oder anti-islamischen Manifestationen, in denen Klischees und irrationale Verallgemeinerungen verwendet werden, ebenso bei rassistisch motivierten polizeilichen Übergriffen, egal ob sie in Frankreich, Amerika oder Österreich stattfinden. Stets wird den Betroffenen von den Ausführenden eine gewisse Schuld unterstellt, die oftmals auch nur in einem „Eben-so-sein“ behauptet wird: etwa im Topos der „unterwürfigen asiatischen Frau“ oder der Abwertung ganzer Kontinente „aufgrund mangelnden Ehrgeizes“ als „Drittwelt“. So wurde und wird jeglichem imperialistischen Gehabe Logik und, mehr noch, Notwendigkeit angedichtet, immer aus einer vermeintlich überlegenen Position heraus: aus der Unfähigkeit, Unterschiedliches nebeneinander gelten zu lassen, ohne Hierarchie. Eurozentrismus mag hier als Schlagwort für dergleichen Phänomene gelten – deren Aufarbeitung noch lange nicht abgeschlossen ist.

Viel Filmmaterial wird in der Ausstellung gezeigt, zur Veranschaulichung optimal. Außerdem gibt es einige Kunstwerke zu sehen, unter anderen einen Jewish Tit Print – ein hervorragendes Beispiel für Annie Sprinkles Humor, in dem sie elegant das Klischee der jüdischen Femme fatale konterkariert. Die exotisch-gefährlich-erotische Tänzerin Josephine Baker wird gezeigt, Protagonistin des gleichzeitig begehrten wie gefürchteten „Animalischen“ – sexy and dangerous, heißt es auf einer Fotografie, die einen anderen „Wilden“ zeigt. Ein weiteres Exponat zum Thema stellt in geradezu schauriger Offenheit die vermeintliche Überlegenheit der „Kolonialherren“ dar: Das Foto aus Ostafrika zeigt zwei europäische Herren in hellen Anzügen mit erlegtem Löwen, um sie herum viele traditionell, also leicht bekleidete afrikanische Frauen. Hier also der siegreiche europäische Mann, da die erlegte Bestie, da das afrikanische Weib in Vielzahl.

An dieser Stelle muss für einen Querverweis, einen Ausstellungstipp Platz sein: Georges Adéagbo, Künstler aus Benin, zeigt im Wiener MAK noch bis 13. September seine Interventionen zum Thema Kolonisierung/Kolonisierte: Selbstverständlich geht es da um den Blick, aus wechselnder Perspektive. Das klassifizierte „Objekt“ bewegt sich keineswegs immer freiwillig in der ihm zugeschriebenen Kategorie, nämlich als Beobachtungsobjekt, im Gegenteil. Adéagbo setzt eine Vielzahl von Instrumenten für seine Analysen ein, um das Verhalten der Kolonisierenden in seiner Naivität und Rohheit vorzuführen, also genau in jenen Verhaltenskategorien, die ja den Kolonisierten zugeschrieben wurden. In einer ebenso brillanten wie logischen Wendung stellt er Habsburgerporträts der Deutung als Stammeskunst zur Verfügung.

Zurück im Jüdischen Museum wird man mit den Dolls of the World, der universalen Barbiepuppe in unterschiedlichen Hauttönen und entsprechend regionaler Gewandung, etwa der Kenya Barbie, konfrontiert.

In dieser abwechslungsreich gestalteten Schau werden authentische Objekte wie Bücher, Fotos und Filme und Trivialkunst wie etwa die Sirupkanne in Form der guten alten Aunt Jemima mit ironischen Kommentaren wie einer plastischen Nasensammlung zusammengespielt – Lachen erlaubt, Dummheit verboten.

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Ausstellung
typisch!
Klischees von Juden und Anderen
Jüdisches Museum Wien, Palais Eskeles Dorotheergasse 11, 1010 Wien

  1. April bis 11. Oktober 2009

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