Iris Meder


Ausdruck und Gebrauch – oder, in der Diktion der klassischen Moderne: Form und Funktion. Das war in den letzten Jahrzehnten doch eher ein Thema für Kunsthistori-kerInnen als für ArchitektInnen; den Dogmatismus des Neuen Bauens hatte man lange hinter sich gelassen und das Thema Funktionalismus dabei gleich mit beerdigt. Anders in der DDR. Bis zum Ende des Staates erschien dort die Zeitschrift »Form und Zweck«, und besonders in den achtziger Jahren wurden differenzierte Debatten über das internationale Erbe der Moderne und Prämissen funktionaler Gebrauchsgütergestaltung geführt.
Das Dresdner Periodikum »Ausdruck und Gebrauch« führt nun diese Tradition weiter und nimmt sich (wenn auch keiner der AutorInnen der ersten Nummer in der DDR ausgebildet wurde) dieser Grundfragen der Moderne und ihrer Relevanz für das Planen, Bauen und – vor allem – Wohnen der Gegenwart an. In der Zusammensetzung seiner Beiträge mit historischen und aktuellen, theoretischen und aus der unmittelbaren Praxis entnommenen Themen präsentiert es sich als eine Art deutscher »UmBau«, auch im wissenschaftlichen Anspruch, auch in der Qualität der Texte – und es tut gut, das einmal sagen zu können. Angestrebt wird laut Herausgeber Achim Hahn eine Verstärkung des Dialogs von Theorie und Praxis, will heißen von Wissenschaft und planenden ArchitektInnen. Die Architekturauffassung des Hefts wurzelt klar in den Grundfesten der Moderne, nähert sich ihren Fragestellungen jedoch undogmatisch und in erfrischender Unvoreingenommenheit.
Die Beiträge bleiben nach dem Einführungs-Essay Achim Hahns zunächst nah beim Thema: Eduard Führ definiert ausführlich den Unterschied zwischen Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit, bevor er unter dem etwas dämlichen Titel »,Frankfurter Küche’ und Spaghetti carbonara« anhand der Zubereitung ebenjener (die werden übrigens nicht mit Sahne, sondern nur mit Speck und Eiern gemacht, Herr Führ!) Grete Schütte-Lihotzkys Kleinküche exemplarisch auf ihre Nützlichkeitsaspekte abklopft und dabei einmal mehr klar macht, wie komplex die Bezüge von Tätigkeiten und Vorrichtungen sich gestalten. Mit der vom Funktionalismus postulierten klassisch-eindimensionalen Kausalbeziehung von Form und Gebrauch ist da nicht viel anzufangen: »Die Aufgabe des Gebrauchs der Architektur ist es, eine eigene Narration zu entwerfen, sein eigenes Spiel zu machen.«
Henrik Hilbig thematisiert anhand von Hans Poelzig und seinen langjährigen Planungen eines Reichsehrenmals in Weimarer Republik und Nationalsozialismus die schwierigen Verstrickungen von Architektur und politischen Systemen, ohne auf Gemeinplätze zurückzugreifen. Thomas Will geht der Frage nach der Umnutzung historischer Architektur und ihren Mechanismen nach – auch hier geht es, im umgekehrten Kontext, wieder um das Thema Form und Funktion, nämlich um das Anpassen neuer Funktionen an neu interpretierte gegebene architektonische Formen und vor allem darum, worin der Reiz dieser semantischen Neuinterpretation besteht und welcher Schlüsse sich daraus für die Theorie architektonischer Nutzung ziehen lassen: »So wie beobachtet wurde, dass viele Dinge erst durch die Reparatur ihren optimalen Zustand erreichen, so lässt sich argumentieren, dass manche Gebäude erst durch einen Nutzungswandel zu ihrer wahren Bestimmung gelangen. Wo sollte auch festgelegt sein, dass die erste Nutzung, die ein bestimmter Bau erfährt, bereits die angemessenste ist?«
Die alte Frage nach (reparabler) Kiste oder (mit in ihrer Funktion festgelegten Spezialfächern versehenem) Koffer, die Heinrich Tessenow und Walter Gropius in den Zwanzigern diskutierten, ist immer noch virulent, man sieht es. Wie sagte Mies van der Rohe einst zu Hugo Häring: »Mach doch die Räume groß, Hugo, dann kannste alles drin machen.« Der LeserInnenkreis eines solchen anspruchsvollen halbjährlichen Periodikums wird und muss begrenzt bleiben. Möge es gedeihen.

Ausdruck und Gebrauch
Dresdner wissenschafltiche Halbjahreshefte für Architektur Wohnen Umwelt
1. Heft, Dresden 2002
(w.e.b. Universitätsverlag und Buchhandel Eckhard Richter)
166 S., EUR 14, 90


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