(Un-)Sichtbare Macht- und Herrschaftsverhältnisse
»Gastarbajteri. 40 Jahre Arbeitsmigration«, Ausstellung im Wien MuseumGastarbajteri. 40 Jahre Arbeitsmigration
Eine Ausstellung der Initiative Minderheiten im Wien Museum am Karlsplatz und der Hauptbücherei am Urban-Loritz-Platz
22.1.2004 - 11.4.2004
Gastarbajteri. 40 Jahre Arbeitsmigration wurde von der Initiative Minderheiten konzipiert und findet an drei Orten statt: im Wien Museum am Karlsplatz, wo sich der Hauptteil der Ausstellung befindet, in der Hauptbücherei der Büchereien Wien am Urban-Loritz-Platz, wo der Fokus auf der Rolle von Medien und Kommunikationsmitteln zur Aufrechterhaltung von Kontakten in die Herkunftsländer liegt, und im Wiener Metro-Kino, wo die Filmreihe des Filmarchiv Austria zur Ausstellung gezeigt wird.
Der Hauptteil der Ausstellung im Wien Museum umfasst zwölf so genannte Stationen, die jeweils einen bestimmten Aspekt der Arbeitsmigration anhand eines Ortes darstellen und analysieren. Die Stationen wurden von ein bis zwei WissenschaftlerInnen des Rechercheteams zusammengestellt, das drei Jahre lang an der Konzeption der Ausstellung gearbeitet hat.
Ausgangspunkt der WissenschaftlerInnen, in der Mehrzahl MigrantInnen, war es, das Thema der Arbeitsmigration aus der Sicht der MigrantInnen darzustellen und die gängigen rassistischen Klischees der Mehrheitsgesellschaft mit Gegenbildern und -erzählungen zu demontieren. Im Mittelpunkt der Stationen stehen demnach keine Einzelschicksale. MigrantInnen werden nicht als Problemfälle beschrieben und zu passiven Objekten gemacht. Vielmehr werden die Strukturen der rassistischen Diskriminierung und Ausbeutung ins Zentrum gerückt, mit denen (Arbeits-)MigrantInnen in Österreich konfrontiert waren oder sind. Sie werden anhand offizieller Papiere, biografischer Erzählungen, Bilder und Gegenstände dokumentiert. Die Dokumente und Erzählungen sind eingebettet in einen thematischen Gesamtkontext, der auf subtile Weise immer präsent bleibt und die BetrachterInnen zur Reflexion einlädt. Sie können nicht einfach konsumieren, sie werden aufgefordert, komplexe Zusammenhänge selbst nachzuvollziehen oder sogar erst herzustellen.
Die erste Station, recherchiert von Dilman Muradoglu und Gamze Ongan, widmet sich dem Thema der Anwerbung. Im Mittelpunkt steht der Ort Narmanlı Han in Istanbul, an dem 1964 das Büro der österreichischen Anwerbekommission in der Türkei eröffnet wurde. Deutlicher kann nicht gezeigt werden, dass Migration keine individuelle Entscheidung der ArbeitsmigrantInnen war und ist, sondern durch Anwerbepolitiken erst motiviert wurde. Das umfassendste Dokument dieser Station ist der Bericht eines Betriebsarztes der Vöslauer Kammgarn- Fabrik über die Anwerbeuntersuchungen in Banja Luka 1969. Der Bericht zeigt die zweifelhaften Methoden der Gesundheitskontrollen und Untersuchungen der ArbeitsmigrantInnen durch österreichische Ärzte. Allein das im Bericht verwendete Vokabular – wie etwa »Selektion«, »Vorselektion« oder »Auslese« – rückt die österreichische Anwerbepolitik der sechziger und siebziger Jahre in den Kontext der Zwangsarbeit im nationalsozialistischen Österreich.
Durch die Ausstellung im Wien Museum zieht sich auch eine Zeitachse, die auf zwei langen Tischen Informationen zur Chronologie der Gesetze, Ereignisse und Statistiken bezüglich der Migration nach Österreich 1925–2004 versammelt. Auch hier wird auf die Aufmerksamkeit der BetrachterInnen gesetzt: »1938, nach dem so genannten ‚Anschluss‘, wird das deutsche Eherecht eingeführt, das einen Paragrafen gegen ‚Scheinehen‘ enthält, der in Österreich bis heute gilt.« Dem Aspekt der Vergangenheit in der Gegenwart begegnen wir dann in der Station Übersiedlung der Fremdenpolizei 2002, recherchiert von Renée Winter, wieder. Ein Dokument zur Eheschließung aus dem Jahr 1938 hängt neben aktuellen Bescheiden, die mit dem »Grad der Überfremdung« argumentieren oder danach fragen, ob der/die AntragstellerIn weiß, dass »man durch die Heirat eines österreichischen Staatsbürgers einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt erlangt« (interner Fragebogen für Amtshandlungen von BeamtInnen der MA 62 von 1996). Und wir begegnen diesem Aspekt in der künstlerischen Arbeit von Anna Kowalska in der Hauptbücherei der Büchereien Wien am Urban-Loritz-Platz. In einer Tisch-Vitrine zeigt sie eine Postkartenserie des Filmsets »Der Klavierspieler« von Roman Polanski, das von Izabella Kowalska in Warschau fotografiert wurde. Im unheimlichen Nebeneinander von gestern und heute verdichten sich Bedeutungen und Aussagen zur Frage: Wer schaut aus welcher Position auf diese Bilder, auf diese Geschichte? Wessen Geschichte? Wessen Bilder? Das Thema der Bild- und Begriffspolitiken hätte meines Erachtens eine eigene Station verlangt. Denn es kollidiert mit dem zentralen Ort (Fremdenpolizei Wien) und den anderen Materialien der Station wie z. B. den Zeitungsausschnitten über den Tod von Marcus Omofuma. Verwirrt frage ich mich: Worum geht es hier? Um Regulierung und Kontrolle seitens der Polizei? Oder um rassistische Strukturen in Medien und Öffentlichkeiten? Oder um die Selbstorganisation und die Proteste der schwarzen Community nach Marcus Omofumas gewaltsamen Tod?
Was bleibt nun in der Ausstellung unsichtbar und fällt gerade dadurch als ein Effekt des Dominanzkontextes Wien Museum auf? Als erstes würde ich hier die Abwesenheit feministischer und lesbischer Migrantinnengruppen und Themen nennen. Die Station Frauenarbeitsmigration, recherchiert von Vida Bakondy, beleuchtet zwar sehr genau die Arbeitsbedingungen von Frauen in der Fischfabrik C. Warhanek. Doch verwundert die Beschränkung auf die Arbeit in der Fabrik angesichts der wachsenden Zahl von Migrantinnen, die als Hausangestellte, im Reinigungssektor oder in der Sexarbeit tätig sind. Zur Verknüpfung von Rassismus und Sexismus vermisse ich hier die langjährige Arbeit der Gruppen LEFÖ – Lateinamerikanische emigrierte Frauen in Österreich und MAIZ – Autonomes Zentrum von und für Migrantinnen in Linz, die sich mit dem Thema des Frauenhandels und der Frauenarbeitsmigration beschäftigen. In der Station Selbstorganisation und Widerstand, recherchiert von Ljubomir Bratic, und in der Zeitachse wird die Gründung feministischer Migrantinnengruppen wie MAIZ zwar verzeichnet, doch kommen ihre Themen in der Ausstellung nicht vor. Und was wird umgekehrt allzu sichtbar und entlarvt sich dadurch als Regieanweisung des Dominanzkontextes? Neben Ausstellungsplakat und Katalogcover wahrscheinlich die Stationen Migration und Gastronomie, recherchiert von Sylvia Mattl, und Gastarbeiterroute 1972, recherchiert von Peter Payer. Während zweitere an ORF-Berichte erinnert, widerspricht erstere dezidiert der Ausstellungskonzeption der WissenschaftlerInnen, indem sie eine platte Kulturalisierung und Exotisierung der MigrantInnen am Wiener Naschmarkt vorantreibt und als Tüpfelchen auf dem i noch ein »multikulturelles« Café mit traditionell gekleideten Kellnern in die Station integriert.
Bleibt die Frage nach (U-)Topien egalitärer Zusammenarbeit: Wie sieht sie aus? Welche Strukturen braucht es dazu? Ich kann diese Frage hier nicht beantworten, schlage MehrheitsösterreicherInnen in guten Positionen aber vor, ihre Jobs an MigrantInnen abzugeben, statt sich mit deren Arbeit zu schmücken oder in ihre Konzepte zu pfuschen. Der Streit darüber wäre doch ein Anfang, oder? Rúbia Salgado, Autorin und Mitbegründerin von MAIZ: »Es geht hier wirklich nicht um Harmonie. Wir sind nicht da, um harmonische Treffen zwischen Migrantinnen und Mehrheitsösterreicherinnen zu veranstalten. Es geht um Konfrontation. Aber um lustvolle.«
(Redaktionell gekürzt; eine längere Version dieses Textes erschien in Kulturrisse 1/04.)
Gastarbajteri. 40 Jahre Arbeitsmigration
Eine Ausstellung der Initiative Minderheiten im Wien Museum am Karlsplatz und der Hauptbücherei am Urban-Loritz-Platz
22.1.2004 - 11.4.2004
Jo Schmeiser