Ungewisse Zukunft eines Stadtteils
Das Stuwerviertel im AufwertungssogChristoph Laimer im Gespraech mit Erwin Fleger und Hannes Guschelbauer.
Die Wiener Gebietsbetreuungen sind Informations- und Beratungseinrichtungen, die von privaten AuftragnehmerInnen im Auftrag der Stadt Wien geführt werden. Die auf Stadterneuerung spezialisierten Gebietsbetreuungen tragen laut Selbstdefinition „zur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität bei, wobei die einzelnen Serviceleistungen auf die Erfordernisse in den Bezirken und Grätzeln abgestimmt wird. Eine Sonderform stellt die Mobile Gebietsbetreuung als Spezialist für die Betreuung von Problemhäusern im gesamten Stadtgebiet dar.“ (http://www.gebietsbetreuung.wien.at) Das Stuwerviertel ist seit 2007 Schwerpunktgebiet der Gebietsbetreuung Stadterneuerung. Über die derzeitige und die künftige Situation des Stuwerviertels unter besonderer Berücksichtigung der Aufwertungstendenzen und des Ablaufs und der Auswirkungen von Haussanierungen sprach Christoph Laimer mit den Gebietsbetreuungsmitarbeitern Hannes Guschelbauer und Erwin Fleger.
Christoph Laimerdérive: Was sind die Besonderheiten des Stuwerviertels? Welche Atmosphäre herrscht hier?
Guschelbauer: Bei einer Befragung, die wir letzten Herbst auf der Straße durchgeführt haben, um herauszufinden, was den BewohnerInnen gefällt, wie sie sich im Viertel fühlen, was sie verbessern würden, hat mich überrascht, dass es viele gegeben hat, die gesagt haben, dass sie hier seit vielen Jahren leben, teilweise hier aufgewachsen sind und es ganz toll finden, hier zu leben. Andere, wenige wiederum sagen, dass sie eigentlich nur weg wollen. Die Aussagen fokussieren sich auf entgegengesetzte Extreme. Die Leute, die mit dem Leben im Viertel sehr zufrieden sind, haben natürlich auch Verbesserungsvorschläge, aber es gibt eine sehr starke Beziehung zum Ort, was auch Leute spüren, die hier herziehen. Die Kommunikationsstruktur ist eher dörflich und unterscheidet sich von anderen Vierteln in Wien.
Fleger: Das Stuwerviertel ist im Vergleich zu anderen Vierteln im zweiten Bezirk sehr eindeutig von der Umgebung abgegrenzt, der Austausch mit der Umgebung deswegen nicht so leicht.
Guschelbauer: Ich erzähle gerne die Geschichte von dem Haus in der Stuwerstraße, das wir saniert haben. Das Erdgeschoßlokal, das davor als Lager genutzt worden war, ist sozusagen übriggeblieben. Der Eigentümer wollte Garagen einbauen, was uns natürlich nicht recht war. Er hat es dann trotzdem getan, aber einen Teil der Fläche nutzt jetzt eine Künstlerin als Atelier. Sie erzählt, dass sie hier in den ersten sechs Wochen, in denen sie das Lokal adaptiert hat, mehr Kontakte zur Bevölkerung hatte als während der ganzen drei oder fünf Jahre, die sie in der Novaragasse (Anm. Redaktion: liegt auch im zweiten Bezirk) ansässig war. Die Leute interessieren sich hier einfach dafür, was passiert, und erkundigen sich danach.
Fleger: In letzter Zeit haben sich relativ viele Ateliers angesiedelt, was, wenn es nach den üblichen Regeln geht, als Vorbote der Entwicklung zur Aufwertung gesehen werden könnte.
dérive: Wie sieht es mit der BewohnerInnenstruktur im Stuwerviertel aus? Welche Auswirkungen prognostizieren Sie, wenn Sie an all die neuen Projekte denken, die viele neue Arbeitsplätze, Wohnungen und StudentInnen ins oder in die Nähe des Stuwerviertels bringen werden?
Guschelbauer: Es ist nicht unerheblich, dass es im Viertel einige größere Gemeindebauten gibt, die eine andere BewohnerInnenstruktur haben. Eine ziemliche Veränderung war der Umbau der ehemaligen Molkerei zu einem Studentenheim und zu Wohnungen. Da gibt es jetzt schon ein ganz anderes Publikum, viele jüngere Leute, Familien. Das hat schon eine Veränderung der Struktur gebracht, die im Viertel spürbar ist. Es gibt einen frischen Wind, eine stärkere Durchmischung. Für strukturschwache Viertel hat eine Aufwertung immer zwei Seiten: Einerseits erhöht sich der Druck auf die Bewohner und Bewohnerinnen, der Verwertungsdruck steigt. Anderseits hat es positive Folgen für das Wohnen im Viertel. Hier einen verträglichen Mittelweg zu finden und zu verhindern, dass die Situation entgleist, ist auch unsere Aufgabenstellung. Es ist schwer einzuschätzen, wie sich all die Projekte, die derzeit und in den kommenden Jahren rund um das Viertel durchgeführt werden, auf das Stuwerviertel auswirken werden. Ich weiß nicht, ob Studierende eher hierher ziehen werden, wenn es die neue Wirtschaftsuniversität gibt. Durch die U2 wird die Universität auch von anderen Vierteln sehr gut erreichbar sein.
Die Erfahrungen mit den Neubauten an der Lassallestraße (Anm. Redaktion: Die Bebauung fand von 1989 bis 2003 statt) haben gezeigt, dass es wenige Anknüpfungspunkte zum Stuwerviertel gibt. Wobei die Lassallestraße ein spezieller Fall ist, weil sie eine große Barriere darstellt. Wir versuchen jedoch sehr wohl gerade jetzt, wo viele neue Leute dorthin ziehen (Anm. Redaktion: Am ehemaligen Nordbahnhofgelände, das hinter der Lassallestraße liegt, wurden und werden derzeit viele neue Wohnungen gebaut), Verbindungen zu schaffen und präsenter zu sein, um z. B. den Vorgartenmarkt zu beleben. Kulturelle Veranstaltungen können beispielsweise über die Grenzen des Viertels ausstrahlen und Publikum anziehen.
Bei neuen Arbeitsplätzen habe ich die Erfahrung gemacht, dass es sehr schwierig ist, einen Benefit fürs Viertel zu ziehen. Leichter ist es bei BewohnerInnen, so sie im Viertel einkaufen und dadurch die lokale Wirtschaft profitiert. Das Stuwerviertel tut sich da aber nicht leicht, weil mit U1 und U2 Donaucity, Messecenter und Innenstadt sehr leicht erreichbar sind.
Haussanierungen
dérive: Wie umfangreich waren in den letzten Jahren bzw. sind derzeit Haussanierungen im Stuwerviertel?
Fleger: Man muss, wenn man von Sanierung spricht, zwei Typen unterscheiden. Das eine sind die geförderten Sanierungen, im Besonderen die Sockelsanierungen und in steigender Anzahl die thermischen Sanierungen – hier gibt es jetzt höhere Förderungen. Das andere sind aus Mietzinsreserven, erwarteten Mietsteigerungen und Ähnlichem rein privat finanzierte Sanierungen. Die Unterscheidung ist wichtig, weil auch die Auswirkungen unterschiedlich sind. Sockelsanierungen kommen im Stuwerviertel selten vor. Das sind sehr umfassende Sanierungen, denen in den letzten fünf Jahren vielleicht sechs, sieben, acht Häuser unterzogen wurden.
Guschelbauer: Es hat strukturelle Gründe, warum das so ist. Das Stuwerviertel ist extrem dicht bebaut. Die Vorder- und Hintertrakte, die so genannten H-Trakte, die weite Teile der Blockstruktur kennzeichnen, können in dieser Form im Rahmen einer Sockelsanierung nicht saniert werden. Die Stadt Wien schaut bei der Vergabe von Fördermitteln darauf, dass auf die Vorgaben des Flächenwidmungsplans geachtet wird. Deswegen gibt es für die privaten HausbesitzerInnen bei Hintertrakten eine Förderung nur, wenn Teilabrisse oder ähnliche Maßnahmen durchgeführt werden. Wir kämpfen seit Jahren dafür, im Stuwerviertel Sanierungsimpulse zu setzen, aber die Möglichkeiten sind sehr eingeschränkt.
Roman SeidlFleger: Die so genannte WWFSG-Kommission, in die u. a. VertreterInnen der Baubehörde, der Stadtbaudirektion, Flächenwidmung entsendet werden, begutachtet am Beginn eines Verfahrens die Situation. Es wird zwar nicht verlangt, dass der Flächenwidmungsplan bis ins letzte Detail eingehalten wird, wie das bei einem Neubau der Fall ist, aber die Vorgaben sollen annäherungsweise erreicht werden. In der Regel schauen die Auflagen so aus, dass wenn sie im Hintertrakt z. B. vier Geschoße haben, zumindest das letzte Geschoß abgetragen wird, um im Blockinneren wenigstens eine gewisse Verbesserung der Belichtung zu erreichen. Manchmal wird der Verlust der Fläche durch die Möglichkeit, straßenseitig den Dachboden auzubauen, kompensiert. Bei Mietwohnungen funktioniert so ein Vorhaben oft ganz gut, weil man sich mit Ersatzwohnungsangeboten helfen kann. Wenn Wohnungseigentum besteht, ist die Situation zementiert. Es gab z. B. ein Haus, in dem der Besitzer des obersten Stockwerks des Hintertrakts in Eigeninitiative sehr viel Geld in die Sanierung seiner Wohnung gesteckt hat. Das Haus war insgesamt aber in einem sehr schlechten Zustand und wäre ein Paradebeispiel für ein Sockelsanierung gewesen. Dafür hätte die erwähnte Wohnung jedoch abgerissen werden müssen.
dérive: Wie sieht es bei den Wohnhäusern mit den Besitzverhältnissen aus?
Fleger: Es gibt seit Mitte der 1980er-Jahre und verstärkt seit den frühen 1990er-Jahren sehr viel neu begründetes Wohnungseigentum in ehemaligen Mietshäusern. Die vermutete Strategie dahinter ist, dass die vormaligen Hausbesitzer, ich nenne sie Verwerter, alle Belastungen wie Erhaltungspflichten auf die Wohnungskäufer abwälzen und das Restkapital durch den Abverkauf liquide machen. Das ist eine verbreitete Vorgehensweise.
dérive: Welche Möglichkeiten bzw. Aufgaben hat die Gebietsbetreuung bei Sanierungsmaßnahmen?
Christoph LaimerFleger: Da muss man wieder zwischen geförderten und nicht geförderten Sanierungen unterscheiden. Bei geförderten Sanierungen bieten wir Betreuung für alle an, d. h. sowohl für Eigentümer, die sanieren wollen, als auch für die betroffenen Mieter und Mieterinnen.
Guschelbauer: Im Rahmen dieses Aushandlungsprozesses mischen wir uns auch insoferne ein wenig ein, als wir beraten, welches Sanierungskonzept geeignet wäre.
dérive: Haben Sie auch rechtliche Möglichkeiten, einzugreifen, oder üben Sie reine Beratungstätigkeit aus?
Fleger: Wir haben keinerlei Sanktionsmöglichkeiten. In manchen Fällen können wir bei geförderten Sanierungen Druckmittel einsetzen. Ein Beispiel: Es gab ein Haus, in dem die Besitzerin versucht hat, die wenigen Altmieter, die es noch gab – ich glaube, es waren nur mehr drei – los zu werden. Da haben wir den Wohnfonds (Anm. Redaktion: die Vergabestelle der Fördermittel) eingeschaltet und gemeinsam eine Hausversammlung einberufen. Der Wohnfonds ist die einzige Stelle, die gewisse Bedingungen stellen kann.
Guschelbauer: Unser Druckmittel ist, die Mieter und Mieterinnen zu informieren, damit sie ihre Rechte, die nicht die schlechtesten sind, ergreifen und wahrnehmen. Sie müssen aber bereit sein, die notwendigen Schritte zu unternehmen.
dérive: Wie geht die Information der MieterInnen konkret vor sich? Suchen Sie sie auf, schicken Sie ihnen Informationen zu?
Fleger: Es gibt je nach Anlassfall unterschiedliche Vorgehensweisen. Wir bieten Einzelberatungen an, wenn Leute zu uns kommen. Wenn wir von einer bevorstehenden Sanierung in Kenntnis gesetzt werden und schon gehört haben, dass es Probleme gibt, gehen wir ins Haus und berufen Hausversammlungen ein, zu denen alle eingeladen werden.
dérive: Nehmen die MieterInnen diese Angebote an? Gibt es sprachliche Schwierigkeiten?
Fleger: Sprachschwierigkeiten gibt es, sie sind aber keine Hürde. Wichtig ist, dass die Mieter unsere Beratung wollen, und das passiert, sobald Probleme auftauchen: Wenn Unklarheit darüber herrscht, wie hoch die Miete nach der Sanierung sein wird, wenn es Beeinträchtigungen durch den Umbau gibt etc. Für uns ist die Schwierigkeit, dass nur sehr wenige Bewohner vorausschauend agieren; meist werden sie erst aktiv, wenn etwas Konkretes dräut.
Verdrängung
dérive: Trotz der guten rechtlichen Absicherung kommt es ja trotzdem vor, dass Menschen vor, während oder nach der Sanierung ihre Wohnungen aufgeben. Warum passiert das? Sind dafür (illegale) Methoden der HausbesitzerInnen, die die Wohnatmosphäre dermaßen verschlechtern, dass die Bewohner „freiwillig“ ausziehen, verantwortlich? Mangelt es manchmal doch an Information, und die Leute können sich dann die Mieten nicht mehr leisten?
Guschelbauer: Grundsätzlich gibt es natürlich das gesamte Spektrum. Bei den geförderten Sanierungen ist strukturell allerdings kein riesengroßer Druck da, die BewohnerInnen aus dem Haus zu komplementieren.
Fleger: Das hängt von den Hausbesitzern ab. Ich habe ja vorher schon ein Beispiel erwähnt, bei dem die Hausbesitzerin es sehr wohl darauf angelegt hat, das Haus leer zu bekommen. Es gibt aber viele Eigentümer und hier vor allem diejenigen, die professionell mit geförderter Sanierung arbeiten, die keinerlei Druck ausüben. Sie informieren über ihr Vorhaben und laden auch uns zu Hausversammlungen ein, bei denen dann z. B. vorab überschlagsmäßig berechnet wird, wie sich die Sanierung auf die Mietzinshöhe auswirken wird. Ich kenne eher die Fälle, bei denen Mieter im Zuge der Durchführung der Sanierung aufgegeben haben. Guschelbauer: Es gibt ein sehr breites Spektrum an Mietern und Mieterinnen. Manche springen im Laufe der Sanierung auf den Zug auf, weil sie feststellen, dass sie durch eine Wohnungsverbesserung durchaus profitieren können. Andererseits gibt es dann diejenigen, die die Wohnungen vielleicht ohnehin nicht so intensiv nutzen oder andere Möglichkeiten und Perspektiven haben, wobei die Sanierung der Auslöser ist, die Wohnung aufzugeben. Es gibt insgesamt sicher kein Muster, nach dem diese Fälle ablaufen. Was man sicher sagen kann, ist, dass bei privaten Sanierungen der Druck, die BewohnerInnen los zu werden, sicher viel höher ist, weil das Verwertungsinteresse größer ist. Bei den Sockelsanierungen sind die HausbesitzerInnen aber ohnehin für die nächsten 15 Jahre an die Mietzinseinnahmen gebunden – deswegen ist kein großer Druck da.
dérive: Wie ist das Verhältnis zwischen geförderten und nicht geförderten Sanierungen?
Fleger: Die geförderten machen sicher nur einen Bruchteil aus.
Guschelbauer: Nicht geförderte Sanierungen bestehen allerdings oft nur aus Einzelmaßnahmen wie z. B. einer Sanierung der Fassade. Sie sind in der Regel weit weniger umfassend als die geförderten. Ausnahmen sind die Spekulationsobjekte, bei denen primär die Absicht besteht, das Haus leer zu bekommen, um es gewinnbringend zu verwerten; hier wird in Einzelfällen umfassender saniert, oft sind die Maßnahmen aber auch nur kosmetischer Art. Wir haben im Moment ein Objekt, das fast bestandsfrei ist.
dérive: Haben Sie die Möglichkeit, in solchen Fällen einzuschreiten?
Fleger: Derartige Fälle waren eigentlich der Grund für den Beginn unserer Tätigkeit als Gebietsbetreuung im Jahr 1991. Unsere Aufgabe war es, Maßnahmen gegen Verdrängung zu setzen und Absiedlung zu verhindern. Ein Problem sind die weitreichenden Möglichkeiten der Befristung von Mietverträgen seit 1994. Hauseigentümer, die sich sämtliche Verwertungsoptionen offen halten wollen, vergeben ja nur mehr befristete Mietverträge. Das ermöglicht Ihnen jederzeit genau zu wissen, wann welche Objekte leer sein könnten und damit für eine andere Verwertung disponibel sind, sei es Hausverkauf oder Begründung von Wohnungseigentum. Es passiert schon relativ oft, dass ein Verwerter ein Haus neu kauft und sich dann einmal ansieht, wie er die Altmieter mit unbefristeten Mietverträgen los werden kann. Hier ist die Differenz zwischen der Miete, die gesetzlich zulässig ist und im Moment gezahlt wird, und der Miete, die bei Neuvermietung erzielt werden könnte, natürlich besonders hoch.
Heute ist es aber nicht mehr so wie Mitte/Ende der 1980er bzw. zu Beginn der 1990er-Jahre, als es sehr spektakuläre und brutale Absiedlungsfälle gegeben hat. Da wurden Leitungen gekappt, es gab Buttersäure-Attentate, Wohnungstüren wurden eingetreten, Schlösser verklebt etc. Solche Vorfälle habe ich in den letzten Jahren nicht mehr beobachtet. Einen psychischen Druck gibt es allerdings sehr wohl. Leute, die sich nicht auskennen, werden zur Abgabe von Mietverzichtserklärungen oder Einverständniserklärungen zu einer Mietzinserhöhung bewegt und Ähnliches. Da wir ja nicht präventiv alle Wohnungen aufsuchen können, ist es wichtig für uns, dass die Leute in solchen Fällen zu uns kommen. Ich kann solche Mieter dann über ihre Rechte aufklären und ihnen sagen, dass sie nicht gezwungen sind, solche Erklärungen zu unterschreiben und dass der Vermieter sie nur bluffen will.
Guschelbauer: Wenn wir uns in solche Prozesse einklinken, merken die Verwalter und Eigentümer sehr schnell, dass sie mit diesen Methoden nicht durchkommen. Es reicht oft schon, dort aufzutreten, Briefe zu schreiben und die Bewohner und Bewohnerinnen zu informieren. Wir haben offiziell allerdings keine Parteienstellung.
Fleger: Wenn Verfahren notwendig sind, leiten wir die Leute natürlich an entsprechende Stellen weiter: Mieterorganisationen, Anwälte etc.
dérive: Welche Rolle spielt die Mietzinsbildung für die Verdrängung?
Fleger: Wir haben „an sich“ ein System von Mietzinsobergrenzen – deswegen könnte sich der Verdrängungsprozess nur innerhalb dieses Systems abspielen. Wenn eine Wohnung frei wird, in der es bisher kein Bad und keine Zentralheizung gegeben hat, wird die eingebaut, und die Wohnung kann als Kategorie-A- statt als Kategorie-C-Wohnung vermietet werden. Aber es ist nicht so wie in anderen Städten, in denen es eine freie Mietzinsbildung gibt, dass im Rahmen von Aufwertungsprozessen die Mieten explodieren und damit bestimmte Schichten völlig verdrängt werden.
Das Problem ist, wie immer, wenn es um Rechte geht, dass die Menschen davon Gebrauch machen müssen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Leute oft jahrelang nicht darum kümmern, in Erfahrung zu bringen, ob ihr Mietzins gerechtfertigt ist, und sich erst, wenn sie z. B. in finanzielle Schwierigkeiten geraten, darüber informieren. Wenn sie dann schon länger als drei Jahre in der Wohnung wohnen, haben sie rechtlich keine Einspruchsmöglichkeit mehr. Der Mietzins ist nach Ablauf dieser Frist rechtswirksam. Oft sind die Menschen auch konfliktscheu, was sie daran hindert, für ihre Rechte einzutreten. Bei befristeten Mietverträgen kommt es kaum vor, dass die Mieter die Miethöhe überprüfen lassen. Hier haben sie allerdings bis zu sechs Monate nach ihrem Auszug die Möglichkeit, dagegen rechtlich vorzugehen.
Das System der Richtwertobergrenzen ist relativ schwer nachvollziehbar. Es gibt dazu Richtlinien, aber einzelne Aspekte werden von Sachverständigen doch immer wieder unterschiedlich bewertet. Innerhalb eines gewissen Spektrums kann man schon einschätzen, ob eine Miete überhöht ist. Insofern müsste eigentlich, wenn das System der Mietzinsobergrenzen beibehalten wird, die Verdrängung durch Nicht-mehr-leisten-können eingedämmt werden. Insbesondere deswegen, weil es ja auch die Mietbeihilfe gibt, die – abhängig von der Familiengröße und dem Einkommen – bis zum Richtwert gehen kann. Zuschläge werden nicht gefördert. Bei geförderten Sanierungen gibt es eigentlich keine durch die Sanierungskosten verursachte Verdrängung. Diejenigen, die nicht wollen, dass ihre Wohnung saniert wird, lassen sie einfach unsaniert. Bei den hausseitigen Sanierungen erhöht sich der Hauptmietzins im Durchschnitt um ca. 2,50 bis 4,00 Euro/m²; die tatsächliche Höhe ist von der jeweiligen Wohnungskategorie abhängig.
dérive: Die rechtliche Möglichkeit, sich gegen eine Sanierung der eigenen Wohnung zu wehren, kann in der Praxis auch tatsächlich durchgesetzt werden?
Guschelbauer: Ja, durchaus. Manche MieterInnen lassen die Wohnung gar nicht sanieren, andere z. B. nur teilsanieren.
Prostitution
dérive: Wenn es ums Stuwerviertel geht, kommt man nicht darum herum, auch über die Prostitution zu sprechen. Wie sehen Sie die Lage im Moment, wie für die Zukunft?
Guschelbauer: Am meisten stört die Menschen nicht die Prostitution selbst, sondern das erhöhte Verkehrsaufkommen durch die Freier. Ich habe den Eindruck, dass der Freierverkehr in den letzten Monaten stark zurückgegangen ist. Womit das zu tun hat, kann ich nicht genau sagen, möglicherweise ist die Baustelle auf der Ausstellungsstraße die Ursache. Es gibt auch Verkehrsmaßnahmen, die in den letzten Jahren umgesetzt worden sind und die, wie wir aus Verkehrszählungen wissen, dazu geführt haben, dass einzelne Straßen davon sehr profitiert haben. Insgesamt hat sich der Verkehr gleichmäßiger auf das Viertel verteilt. Klar ist dennoch, dass ich mit Verkehrsmaßnahmen den Freierverkehr nicht verhindern kann, es kann aber Verbesserungen geben. Es gibt tatsächlich Freier, die, wie wir bei den Zählungen festgestellt haben, oft stundenlang durchs Viertel fahren. Die kann ich durch Verkehrsmaßnahmen dazu bringen, dass sie immer wieder aus dem Viertel hinausgeführt werden und nicht durchgehend innerhalb des Viertels kreisen.
Solche Maßnahmen führen oft auch zu Verdrängungseffekten, die Prostituierten stehen dann an anderen Orten. Die Szene ist sehr flexibel und schwer zugänglich. Aus Gesprächen mit der Polizei wissen wir auch, dass, gerade im Fall der Beschaffungsprostitution, Drogensüchtige oft nur auftauchen, wenn sie dringend Geld brauchen. Wenn sie genug verdient haben, verschwinden sie wieder. Solange sie hier Geld verdienen können, kommen sie, wenn nicht, dann nicht. Ob die momentan ruhige Situation darauf schließen lässt, dass die Prostitution wirklich zurückgeht, kann ich nicht sagen. Es hat keine für uns ersichtliche Maßnahme gegeben, die uns vermuten hätte lassen, sie sei für den Rückgang verantwortlich. Die Verwaltung versucht natürlich, dort, wo es möglich ist, einzugreifen. Es ist aber gar nicht so leicht, weil es für die BetreiberInnen einschlägiger Lokale viele Möglichkeiten gibt, Verfahren hinauszuzögern.
dérive: Ist es für Sie ein Ziel, die Prostitution los zu werden, oder geht es Ihnen vor allem darum, die Begleiterscheinungen wie höheres Verkehrsaufkommen zu verhindern?
Fleger: Es gibt auch andere Probleme im Zusammenhang mit Prostitution. Mütter und ihre Töchter werden von Freiern angesprochen, was sicher sehr unangenehm ist.
Guschelbauer: Aber auch das wird unterschiedlich wahrgenommen. Manche Frauen finden das zwar nicht okay, aber sie haben keine Probleme, sich dagegen zu wehren. Andere sind dadurch sehr eingeschüchtert und können viel schwerer mit solchen Situationen umgehen. Manche BewohnerInnen sind auch sicher deswegen aus dem Stuwerviertel weggezogen. Die wollten diese Umstände sich selbst und ihren Kindern nicht länger zumuten. Ich will nichts schönreden, aber manche Leute haben sich mit der Situation arrangiert und sagen sich, dass die Prostitution eben zum Stuwerviertel gehört.
Fleger: Es gibt hier in der Nähe ein Haus mit einschlägigen Apartments. Die Bewohner und Bewohnerinnen des Hauses beschweren sich sehr über den Lärm und die Verschmutzung durch die Freier; es wird z. B. ins Haus uriniert. Es sind die negativen Begleitumstände, die die Menschen stören.
dérive: Welche Veränderungen erwarten Sie in Sachen Prostitution für die Zukunft?
Fleger: Es kann sein, dass sich mit dem Bau der Wirtschaftsuniversität die Lokalsituation im Viertel ändert, und das kann schon einen Einfluss auf die Prostitution haben. Wenn sie hier verschwindet, wird sie aber woanders wieder auftauchen.
Guschelbauer: Jetzt spielt sich ja ein großer Teil der Prostitution in der Südportalstraße ab. Wenn die Uni dort hin kommt, wird sich die Szene vielleicht woanders hin bewegen. Aber die Lokalszene ist auch jetzt gemischt und keineswegs nur von Prostitution geprägt.
Zukunft
dérive: Wenn Sie sich vor Augen halten, was derzeit im und um das Stuwerviertel herum passiert, wie wünschen Sie sich, dass es in fünf bis zehn Jahren hier aussieht?
Guschelbauer: Es wird auf jeden Fall lebendiger werden. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie das Leben der neuen BewohnerInnen, die jetzt in die Wohnungen der Neubaugebiete ziehen, aussehen wird. Werden sie nur hier wohnen und zum Arbeiten und zur Freizeitgestaltung das Viertel verlassen? Das würde den Charakter sicher verändern, weil die bisherige Struktur doch so aussieht, dass viele Leute es sich gar nicht leisten können, woanders hinzufahren, um ihre Freizeit dort zu verbringen, und zu einem hohen Prozentsatz z. B. den benachbarten Prater nutzen. Ob die Identifikation mit dem Viertel bei den neuen BewohnerInnen ebenso hoch sein wird, weiß ich nicht. Es wird sicher eine Herausforderung sein, die Leute hier zu verankern und heimisch zu machen, um damit die Atmosphäre aufrecht zu erhalten, die es jetzt gibt.
Fleger: Ich könnte mir schon vorstellen, dass sich die Bewohnerstruktur durch Neuvermietungen und Zuzug schleichend etwas verändert. Ich sehe hier auch die zuvor schon angesprochene Ambivalenz. Einerseits sind Erneuerungen notwendig, weil es ja nicht sein kann, dass, nur weil eine relativ heruntergekommene Gegend eine soziale Nischenfunktion hat, sie so erhalten werden muss. Ich kenne Häuser, bei denen das Wasser durchs Dach in die Wohnung rinnt, sich dadurch Schimmel bildet, Elektroleitungen kaputt sind usw. Das ist kein Zustand, den man damit rechtfertigen kann, dass die Miete niedrig ist. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass bei Aufwertungstendenzen primär Leute zuziehen, die in der sozialen Hierarchie ein wenig weiter oben stehen. Also keine MigrantInnen oder Arbeitslose. Damit ist zu rechnen.
dérive: Verliert das Stuwerviertel dadurch seine Funktion als soziales Auffangbecken?
Fleger: Ich bin mir gar nicht so sicher, inwieweit das Stuwerviertel diese Funktion bisher überhaupt erfüllt hat. Im Volkertviertel – ich hatte früher auch dort zu tun – hatte ich wesentlich deutlicher den Eindruck, dass es diese Rolle erfüllt. Hier scheint es mir viel eher, dass die Durchmischung besser ist. Ausnahmen gibt es natürlich auch hier.
Guschelbauer: Als wir 1991 begonnen haben, war das Stuwerviertel das russische Handelsviertel – Stichwort Mexikoplatz. Im Nachhinein stelle ich fest, dass das Stuwerviertel auch ein Mythenviertel ist. Es hat damals schon nicht gestimmt, dass hauptsächlich Russen hier wohnen. Das Stuwerviertel ist ziemlich durchmischt. Es wohnen viele ZuwanderInnen hier, aber es geht nicht ganz stark in eine bestimmte Richtung.
Kinderfreibad, Max-Winter-Park, Gebietsbetreuung
dérive: Zum Abschluss noch eine Frage zur Rolle der Gebietsbetreuung. Das Kinderfreibad, das früher an dieser Stelle war, gibt es nicht mehr, und Ihr Lokal befindet sich in den Räumlichkeiten des ehemaligen Bades. Wie geht es Ihnen damit?
Fleger: Wir sind nicht schuld, dass wir hier sind. Es ist nicht so, dass wir veranlasst haben, dass das Bad geschlossen wird. Das Problem war, dass das Bad aus sanitären Gründen komplett erneuert hätte werden müssen. Die Kosten hätten laut Bezirksvorsteher rund eine Million Euro betragen und wären zur Gänze vom Bezirk zu tragen gewesen.
Guschelbauer: Es gab einen Rechnungshofbericht, der besagt hat, dass das Bad entweder geschlossen bleiben oder generalsaniert werden muss. Die Dramatik der Situation ist damals nicht wirklich publik geworden. In der Bezirksvorstehung wurde die Lage diskutiert, und der Bezirksvorsteher ist eines Tages an uns herangetreten und hat uns gefragt, ob wir an dem Lokal Interesse hätten. Er hat gewusst, dass wir ein Lokal suchen, weil das Stuwerviertel mit der neuen Auftragsperiode zum neuen Schwerpunktgebiet geworden ist. Wir haben positiv reagiert, weil das Lokal mitten im Viertel und mitten auf dem Platz ist, und wir wissen aus Erfahrung, wie wichtig es ist, eine zentrale Lage zu haben. In einem Gassenlokal ohne Umfeld wäre es für uns viel schwieriger. Wir haben dann ein Konzept erstellt, wie wir uns das vorstellen könnten. Es war uns z. B. auch wichtig, dass es für den Park WC-Anlagen gibt, die immer schwierig unterzubringen sind. Hier konnten wir sie einbauen. Dem Bezirksvorsteher war klar, dass dem Viertel durch die Schließung des Kinderfreibades Infrastruktur weggenommen wurde. Entscheidendes Argument war aber, dass das Bad im letzten Betriebsjahr nur ca. 42-44 Tage geöffnet hatte und den Rest des Jahres die Fläche gesperrt und damit unbenutzbar war. Der Park war ständig überfüllt und der Ballspielkäfig war für viele Kinder völlig ungeeignet. Durch die Schließung des Bades konnte der Park um ca. 12 bis 15 Prozent vergrößert werden, was Veränderungen und Adaptionen erlaubte. Es war möglich mehr Ballspielfläche, die schon lange nötig war, unterzubringen und einen Wasserspielplatz zu errichten. Diese neue Infrastruktur hat eine andere Qualität und kann den Großteil des Jahres genutzt werden. Außerdem ist durch den im Gebäude der Gebietsbetreuung integrierten Veranstaltungsraum eine weitere neue Infrastruktur dazu gekommen.
Roman SeidlWir waren, als das Bad noch stand, hier, weil wir darüber informieren wollten, welche Veränderungen bevor stehen. Bei den Leuten gab es viel Wehmut: Manche haben uns erzählt, dass sie hier schwimmen gelernt haben, und uns gesagt, es sei schade um das Bad. Manche zeigten Verständnis für die Veränderungen, manche haben sie begrüßt, und einige konnten sich damit absolut nicht anfreunden. Ich habe es eigentlich nicht als breiten Aufschrei erlebt, dass das Bad geschlossen wurde. Auf Wunsch des Bezirkes gab es ein Beteiligungsverfahren, das einige Jugendeinrichtungen mit den Kindern durchgeführt haben. Wir haben das Verfahren moderiert und koordiniert und hatten die Kontakte zur Planungsabteilung übernommen. Ich war bei dem Prozess immer dabei und hatte das Gefühl, dass sich die Kinder durchaus auf etwas Neues freuen und bereit sind, sich darauf einzulassen.
dérive: Der Ausgangspunkt der Überlegungen, das Bad zu schließen, waren also die fehlenden Gelder im Bezirksbudget? Hat es keine Möglichkeit gegeben, die Sanierung anders, vielleicht mit EU-Geldern, zu finanzieren?
Guschelbauer: Laut Auskunft des Bezirksvorstehers wäre das nicht gegangen, und ich glaube das ebenfalls, weil das Bad Bestand war und es sich um eine reine Sanierung gehandelt hätte. Die neue Infrastruktur konnte aus dem zentralen Infrastrukturtopf finanziert werden. Auch die Parkumgestaltung war so möglich – das hätte sich der Bezirk vermutlich auch nicht leisten können. Ich habe den Eindruck, dass der Park gut genutzt und angenommen wird.
Fleger: An schönen Tagen ist hier High Life!
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.
Erwin Fleger
Hannes Guschelbauer