» Texte / Ungezähmte urbane Körperlichkeit – »I am Your Fun«

Ursula Maria Probst


Mit 68 Produktionen in 165 Aufführungen und 224 Workshops ist ImPulsTanz weltweit eines der größten Tanzfestivals: Live erlebbar auf der Bühne oder durch Performances in Museen oder Filmscreenings im Österreichischen Filmmuseum. Die Suche nach neuen Verbindungen von zeitgenössischem Tanz, Theater, Performance, Akrobatik und Sounds gestaltet sich als nie enden wollendes Abenteuer. Omnipräsent sind opulente, fluid gendernde, knallig bunte ImPulsTanz-Banner, die im urbanen Raum eine dynamische Abwechslung zu den eintönigen Baustellenbannern (diese könnten künstlerisch aufgefrischt werden) bieten und die Schau- und Tanzlust anregen. Im Sinne einer nachhaltigen Nutzung wurden die Banner zum Ende 
des Festivals an Besucher:innen und Teilnehmer:innen verschenkt.
        ImPulsTanz 23 feiert in seiner 40. Ausgabe nicht sich selbst, sondern forciert die Bildung von Communitys und soziale Interaktionen. Auf der Website wird unter »Code of Conduct« ein klares Statement gegen jede Form von Diskriminierung artikuliert. Unzählige internationale Teilnehmer:innen, Stipendiat:innen, Tänzer:innen und Choreograph:innen flitzen auf Citybikes oder von ImPulsTanz-Vienna eigens zur Verfügung gestellten Bikes durch die Stadt zu Workshops auf der Schmelz. Wie Urbanität getanzt wird, bzw. wie durch Tanzchoreographien Stadt, deren Architektur und Landschaftsraum aus der Bewegung anders erlebt werden können und der tänzerischen Kreativität keine Grenzen gesetzt sind, macht das für alle gratis zugängliche Public-Moves-Programm an verschiedenen öffentlichen Orten wie dem Goethehof in Kaisermühlen, MuseumsQuartier, Badeteich Hirschstetten, Maria-von-Zeitoun, Koptische Kirche oder Papstwiese beim Donaupark barrierefrei erfahrbar. Generationsübergreifend sind alle – ohne dass spezielle Vorkenntnisse erforderlich sind – willkommen, ihren Alltag durch Carribean Social Dances, Voguing, Bollywood Blast, House Dance, Afro-Haitian Dance, Latin-Jazz, Rumbeando, DanceAbility, Line Dancing, Voice Xploration, Streetdance oder Pilates abzuschütteln.
        Gearbeitet wurde an einem neuen kompositorischen Miteinander, das die Lust am Experiment in sich trägt. Gestartet wurde außerdem der Versuch, aktuelle Tendenzen der Intersektionalität einzubeziehen. Elisabeth Bakambamba Tambwe überlässt in Speech of Love: Lunette noir (or without) Sexarbeiter:innen die Bühne, welche bekunden, ihrer Arbeit freiwillig nachzugehen und für faire Arbeitsbedingungen eintreten. Den Kampf gegen Gewaltakte gegen Frauen und Femizide nehmen Mathilde Monnier / Otto Productions in Black Lights auf, welches auf der TV-Serie H24 basiert und zu einem Aufschrei gegen die Gewaltkultur wird.
        Der afroamerikanische Choreograph Trajal Harrell wählt den Laufsteg, den Catwalk und die New Yorker Subkultur der 1970er Jahre als choreographische Inspiration, um die Zerrissenheit unserer gegenwärtigen Gesellschaft, Demokratieversprechen begleitende Freiheitsbeschwörungen, die anhaltende Grausamkeit gegenüber dem globalen Süden durch eine politische Rhetorik der Körperhüllen mithilfe von Mode zu artikulieren. In seiner Neuinterpretation von Maggie The Cat von Tennessee Williams kommen die von Williams ignorierten schwarzen Bediensteten auf die Bühne. Das Aufzeigen, wie durch tänzerische Neuinterpretationen Geschichte bzw. einschlägige Weltliteratur umgeschrieben werden kann, durch Choreographien, deren Subtext stark von Dekolonialisierungsfragen geprägt ist, ist ein Schwerpunkt von ImPulsTanz 23.
        Die Ansprüche an Tanzchoreographien wachsen angesichts aktueller Dringlichkeiten wie Klimanotstand, der Präsenz von künstlicher Intelligenz und Krieg in Europa. Wie stark eine Sehnsucht nach Radikalität existiert, zeigen die Choreographien Fuck me und Love me von Marina Oteros, die Authentizität inszenierend das Spiel mit autobiographischen Bezügen, die körperliche Beanspruchung ausreizt und den Zuschauer:innen Empathie abverlangt, indem sie selbst eine Tanzdiva verkörpert, die durch operative Eingriffe tanzunfähig ist. Autofiktion und dokumentarische Einspielungen und die Präsenz der Choreographin als Erzählerin werden konterkariert durch fünf nackte Männer, die sich parodistisch, aber auch protestierend dem feministischen Skript hingeben. Um das Erschließen neuer intimer Räume ging es hingegen in den Choreographien von Boris Charmatz (impulsiv reagiert er auf jede seiner Bewegungen mit einem Pfeifton), Nadja Beugré, Oliver Dubois (selten wurde so gelacht und so lustvoll zum Mitmachen animiert) oder Ruth Childs. Akemi Takeya setzt sich choreographisch mit der Idee des Black Dada auseinander und nützt dafür die Ausstellung Blackness, White and Light von Adam Pendleton im mumok. Als Stand-up-Comedy mit genderpolitischem Freispiel gestaltet sich Begeraz To 40 von Cie. Ivo Dimchev, welcher Bereitwillige aus dem Publikum gegen eine Gage von $200 Liebesszenen auf der Bühne simulieren lässt. Far From Home von Alleyne Dance zählt durch die emotionale Aufgeladenheit der Tänzerinnen Kristina und Sadé Alleyne zu den Highlights. Selbst in London als Zwillinge einer aus Barbados stammenden Familie geboren, wird die Sehnsucht nach Zugehörigkeit dramaturgisch unter Beteiligung anderer Tänzer:innen explosiv umgesetzt. Der Funke ihrer Vision, unterschiedliche Menschen miteinander zu verbinden, springt über.
        In Thailand oder Vietnam tanzen morgens die Kinder bevor der Unterricht beginnt zu wilden Rhythmen im Außenraum und brüllen dazu lauthals. Eine praktische Übung, welche die körperliche Balance trainiert, zappelige Kids austoben lässt, originelles Denken freisetzt und auch in Österreichs Schulen eingeführt werden sollte. Tanzen als soziale Interaktion, als Ritual oder Therapieform, dafür bietet ImPulsTanz 23 unzählige Inspirationen.


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