Unruhe im Stadtraum
Besprechung von »Unsettled Urban Space« hg. von Tihomir Viderman, Sabine Knierbein, Elina Kränzle, Sybille Frank, Nikolai Roskamm und Ed WallTihomir Viderman, Sabine Knierbein, Elina Kränzle, Sybille Frank, Nikolai Roskamm, Ed Wall (Hg.)
Unsettled Urban Space. Routines, Temporalities and Contestations
London: Routledge 2022
302 Seiten, 46,76 Euro
Unsettled Urban Space ist ein Sammelband, der den Begriff ›unsettled‹ als Konzept für urbanen Raum zu lesen versteht. Das Buch ist eine umfassende theoretische Abhandlung und geht den unterschiedlichsten Ausformungen, die in diesem Begriff stecken, auf den Grund.
Es beschreibt beispielhaft eine Vielzahl von Phänomenen und Situationen im urbanen Raum.
In dem Abstract zu dem Buch heißt es: »Das Leben im Urbanen Raum kann durch das Streben nach einem stabilen und sicheren Umfeld charakterisiert werden, für viele Menschen ist urbaner Raum jedoch selten stabil und sicher.« Der ›unsettled urban space‹ wird in dem Buch aber nicht als binär gut oder schlecht gewertet, sondern als Austragungsort unterschiedlichster Konflikte verstanden. Verdrängung, Hierarchie, Macht und Ideologie, die sich im urbanen Raum manifestieren, werden durch die Analysen in den 22 Kapiteln aufgezeigt.
Die politischen, philosophischen oder soziologischen Beiträge sind eigenständige Artikel, die in eine Struktur mit drei Ab-schnitten eingebettet sind: urbane Routinen (urban routines), urbane Momente (urban temporalities), urbane Konflikte (urban contestations). Dadurch ergibt sich eine umfassende Darstellung der unterschiedlichen Perspektiven auf den Begriff ›unsettled urban space‹.
Urbane Routinen (urban routines) werden durch verschiedene Phänomene verändert. So wird zum Beispiel eine neue Form von Städtetourismus in Berlin beschrieben. Diese stellt Nachbarschaften vor die Herausforderung, den urbanen Raum mit neuen Nutzer:innen zu teilen. Durch Plattformen wie AirBnB wird Tourismus zu einem informellen Sektor der Branche und erobert bis dahin unbeachtete Orte in der Stadt. Reisende begnügen sich nicht mehr mit den gängigen Touristenattraktionen, sondern wollen die Stadt in seiner Alltäglichkeit kennenlernen und in die Welt der dauerhaften Anwohner:innen eindringen. Doch die Kurzweiligkeit eines Besuchs stellt andere Anforderungen an die Stadt. Unterschiedliche Routinen führen zu einem ›unsettled‹ Moment im urbanen Raum. So steigen die Mieten durch die kurzzeitige Vermietung von Wohnungen. Cafés, Bars und Lokale werden begehrenswerte Orte und kleine Handwerksbetriebe verlieren an Relevanz.
Urbane Momente (urban temporalities) fokussieren auf die zeitliche Dimension im urbanen Raum. So beschreibt zum Beispiel eines der Kapitel die Herausforderungen des Älterwerdens in der Stadt, wobei das Altern eine ungewisse Situation für
die Betroffenen ist. Durch den demografischen Wandel mit einer stetig alternden Bevölkerung wird Planung für altersgerechtes Leben bedeutend bzw. beeinflusst Stadtgestaltung und -planung das Altern in den Städten wesentlich.
Urbane Konflikte (urban contestations) zeigen die Stadt als Austragungsort gesellschaftlicher Spannungen. Die Stadt und das Urbane sind stets Orte des Konflikts und dafür unabdingbar. In einem der Kapitel wird die Ambivalenz von den Unterstützungsleistungen für Obdachlose thematisiert. So können Obdachlosenunterkünfte zum Beispiel überlebenswichtig sein, aber aus verschiedenen Gründen unterstützen sie die Betroffenen nicht dabei, sich dauerhaft niederzulassen und dieser prekären Lage zu entkommen.
Urban settled space verwebt interdisziplinäres Wissen und Methoden, um sich dem Begriff anzunähern. Die Kapitel veranschaulichen beispielhaft die grundlegende Theorie jedes Abschnittes und ermöglichen eine überraschend vielfältige Betrachtungsweise der Thematik. Es ist ein spannendes Buch entstanden, das einen umfangreichen und sehr komplexen Einblick in eine neue Form der Stadtforschung ermöglicht.
Katharina Kircher