Ljubomir Bratić

Ljubomir Bratić lebt als Philosoph, Sozialwissenschaftler, Publizist, Aktivist und Flüchtlingsbetreuer in Wien.


Die Politik ist tot, oder sie ist unsere Zeitgenossin, sie ist tot, oder sie wird gezwungen, unsere Zeitgenossin zu sein. Vor allem im Widerstand sind die PolitikerInnen tot oder werden zu neuem Leben erweckt. Denn Widerstand ist immer hier und jetzt, seine Zeit in Wien ist die, die uns die Uhren von Parlament und Rathaus anzeigen. Die Temporarität der Ereignisse stimmt immer, auch wenn die Uhren manchmal nachgehen. Widerstand - das sind zunächst die Leute, denen Stand zuwider ist, und es sind Menschen von heute, die den Waldwegen von Ehemaligen nachgehen. Soziale Errungenschaften sind nicht selbstverständlich. Sie werden erkämpft und sie können jederzeit, wenn sie nicht verteidigt werden, weggenommen werden. Also geht es auch um Fortsetzung einer Geschichte, in der Macht, die sozialen Machtkämpfe, eine zentrale Rolle spielen. Auch wenn die ehemaligen Schlauköpfe heutzutage in die Institutionen der Macht, durch die sie einmal marschieren wollten, mehr als direkt involviert sind, sich gern als RegisseurInnen der Ereignisse geben wollen und es manchmal schaffen, Vergleichslinien in internen Diskussionen zu ziehen, bleiben immer noch genügend Menschen, ein Großteil der Widerständigen, die mit den alten Strukturen wenig zu tun haben wollen, die sich den Prinzipien der Vereinnahmung und Einbettung widersetzen. Die Menschen bleiben nackt vor dem erschreckenden Gewaltausmaß moderner Polizeisysteme, aber es sind ihre Sensibilität und Netzwerke, die in den Augen glänzen und zu immer neuen Durchbruchsversuchen führen. Auch wenn der Erfolg ungewiss und mit einem viel größeren Pessimismus bedacht wird, als das in früheren Zeiten der Fall war. Gesichter, Körper und Netzwerke der Widerständigen, Rohmaterial der neuen sozialen Bewegungen, sind heutig und drücken unsere Wünsche, Ideen, Hässlichkeiten und Schönheiten, Liebe und Sex aus. Der Leib der DemonstrantInnen beseitigt die künstlichen Grenzen zwischen den Nationalstaaten und schafft Raum, dort, wo nach dem Plan der ÖkonomInnen Stillstand herrschen soll. Ein Raum, der zunächst einmal mit Solidarität und Internationalismus erfüllt wird. Aber Widerstand ist mehr als Körper. Es ist auch Sprache, die eine neue Klarheit ausdrückt. »Der Staat beantwortet erfolgreichen Widerstand auf jeden Fall mit Gewalt; ob er gewaltfrei und gewalttätig ist, spielt keine Rolle, ebensowenig, ob er legal ist oder nicht.«, so zitiert »Die Zeit«, das jürgenhabermasische sozialdemokratische Mainstreamblattl einen Demonstranten nach Genua. Die Klarheit dieser Sprache verstehen alle, auch wenn sie noch immer vorwiegend mit europäischen Zungen ausgedrückt wird. Die Gewalt, die ist allgegenwärtig, und nur an deren Tarnungsschichten schaffen es die Demonstrationen zu kratzen. Bis jetzt. Mittlerweile spricht also der Widerstand eine Sprache, die für alle verständlich wird, und ist Teil der Öffentlichkeit geworden. Ich glaube, dass wir in unserer Epoche erstmals von der Sprache eines planetaren Widerstand sprechen können. Im historischen, geografischen und genealogischen Sinn. Alle Traditionen seit einigen Jahrhunderten führten und führen auf der ganzen Welt zu einem Ziel, demjenigen des Nationalstaates. Dieser löst sich jetzt unter dem Druck des Kapitals auf und schafft, für manche vielleicht unerwartet, einen Raum für Widerstand. Dieser muss, will er erfolgreich sein, ein planetarischer sein. In sich beinhaltet er die früheren Formen, aber auch Lehren aus den Scheitern. Eine Geschichte, die immer da war, wird fortgesetzt. Der Widerstand verbreitert sich und überlagert Vergangenheit und Gegenwart, Kapitalismus, Realsozialismus, Faschismus, die SklavInnenaufstände, BäuerInnenrevolte, die soziale Kämpfe der ArbeiterInnenklasse. Doch die Strategien aller dieser Widerstandsformen haben sich nicht rein erhalten. Mit Ausnahme der Idee, dass es sich um eine Fortsetzung eines nicht offiziellen Wissens handelt, altern die Strategien sehr schnell. Es scheint, dass wir alle dreißig Jahren erneut die Frage der Durchsetzungsmöglichkeiten stellen müssen. Um Musil zu paraphrasieren: Wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt und daraus ein Möglichkeitssinn folgt, dann ergibt sich als Konsequenz ein Widerstands- und Durchsetzungssinn. Diesen müssen wir immer wieder als unseren bemühen. Im Widerstand wird der vergangene Kampf notwendigerweise zu einem Zitat, einem Echo der Stimme verschiedener Handlungen, die nur durch die Uminterpretation zu unserer werden. Diese Methoden sind unsere Zeitgenossinnen, sie sind die neuen Methoden, die unsere Körper und Gesichter der Widerständischen ausstrahlen und eine Tradition bilden. Es gab einer Zeit, in der man an die Hierarchie innerhalb des Widerstands und an das Paradies glaubte. Die Zentralorgane bestimmten die Gesetze des Widerstands und forderten zur Nachahmung auf. Sie waren unwandelbar, sie existierten in einem Komplex der totalen Langfristigkeit. Man erkannte diesen Organen eine Autorität zu. Fortschritt hieß Gleichschritt mit der Klasse. Aber es gab auch die Abweichungen. Das Gesetz der Delinquenz hinterließ in diesem Widerstand genau die gleichen Spuren, wie das in der offiziellen Geschichte gepredigt wurde. Heutzutage verlangt der Widerstand von TrägerInnen der alten Ideale ein Engagement. Genauso wie die unzähligen Knotenpunkte der Widerstandswurzel sollen sich Organe und ihre Klassiker als lebendig zeigen. Da sie tot sind, können sie sich diesem Verlangen nicht entziehen und sich auch nicht verteidigen. Ich gestehe, dass ich zu denjenigen gehöre, die von PolitikerInnen Engagement fordern, die versuchen, sie dazu zu zwingen, sich in unserem gewalttätigen Zeitalter, im Sinne unserer Angst und Enttäuschungen zu engagieren, und auch im Prozess des Widerstands, der wieder, immer wieder von neuem beginnen muss. Die PolitikerInnen haben ihre ZeugInnenaussage vor dem Widerstand noch nicht abgelegt.


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