Unsere Juwelen, unsere Lunge und ihr Sportplatz
Die Anekdote gehört zum Standardrepertoire Wiener Gutmenschen-Kultur: Die Geschichte vom Wiener Fußballanhänger, der irgendwann in den zwanziger Jahren gezwungen war, die Hakoah, den größten jüdischen Sportverein Europas, zu unterstützen. Nur Hakoah konnte mit einem Sieg im Entscheidungsspiel den Verein besagten Wieners vor dem Abstieg bewahren. Die Namen der Hakoah-Spieler waren ihm nicht bekannt, also feuerte er sie mit den Worten »Hoppauf, Herr Jud!« an. Darin, so der Erzähler dieser Geschichte, Friedrich Torberg, liegt die besondere Bedeutung der Hakoah: Sie brachte die Leute dazu »Herr Jud« zu sagen....
In der Historisierung wird Hakoah heiß geliebt. Immerhin war der Verein nicht nur die Wiege des Fußball-Wunderteams, sondern auch der Beweis einer lebendigen kulturellen Vielfalt im Wien der ausgehenden Monarchie und der ersten Republik. Die reale, die existente, die gegenwärtig aktive Hakoah hingegen, die macht Probleme...
Die Anekdote gehört zum Standardrepertoire Wiener Gutmenschen-Kultur: Die Geschichte vom Wiener Fußballanhänger, der irgendwann in den zwanziger Jahren gezwungen war, die Hakoah, den größten jüdischen Sportverein Europas, zu unterstützen. Nur Hakoah konnte mit einem Sieg im Entscheidungsspiel den Verein besagten Wieners vor dem Abstieg bewahren. Die Namen der Hakoah-Spieler waren ihm nicht bekannt, also feuerte er sie mit den Worten »Hoppauf, Herr Jud!« an. Darin, so der Erzähler dieser Geschichte, Friedrich Torberg, liegt die besondere Bedeutung der Hakoah: Sie brachte die Leute dazu »Herr Jud« zu sagen....
In der Historisierung wird Hakoah heiß geliebt. Immerhin war der Verein nicht nur die Wiege des Fußball-Wunderteams, sondern auch der Beweis einer lebendigen kulturellen Vielfalt im Wien der ausgehenden Monarchie und der ersten Republik. Die reale, die existente, die gegenwärtig aktive Hakoah hingegen, die macht Probleme...
Begonnen hat alles mehr oder minder im Jahre 1909 mit der Gründung des jüdischen Sportvereins Hakoah. Bereits wenige Jahre nach der Gründung war Hakoah (hebräisch: Kraft) der größte jüdische Sportverein Europas. Im Jahre 1923 eröffnete der Verein eine eigene, mehr als 20.000 ZuseherInnen fassende Sportanlage in der Krieau, unmittelbar neben dem heutigen Wiener Stadion. Quasi zur Feier der neuen Anlage wurde Hakoah 1923/24 österreichischer Fußballmeister. Weiters brachte es der Verein in den ersten 29 Jahren seiner Existenz zu einer großen Zahl österreichischer Titel (darunter zwölf Ringer-Titel in Folge) und Teilnahmen an internationalen Bewerben in allen möglichen Sportarten.
Ob dieser Erfolgsgeschichte, die so gar nicht ins antisemitische Zerrbild von den angeblich ewig schmarotzenden und ohne Leistung auf Kosten der angeblichen »Wirtsvölker« lebenden JüdInnen passte, mag es nicht verwundern, dass der Sportverein eines der ersten Opfer nationalsozialistischen Terrors war: Bereits Anfang April 1938 wurde der Verein aufgelöst, die Sportanlage »beschlagnahmt«, zwei zufällig anwesende Funktionäre ins KZ-Dachau verschleppt. Nur sechs Spieler des letzten Hakoah-Fußballteams erlebten das Jahr 1945.
Die Bemühungen des Vereins um Rückgabe des 1938 geraubten Eigentums blieben seit 1946 ohne Ergebnis. »Unsere Mitglieder trainieren über ganz Wien verstreut. Die Tennisspieler da, die Volleyballer dort«, sagt der Sportmediziner Dr. Paul Haber, Präsident von Hakoah. »Aber wir hatten Sportanlagen auf unbestimmte Zeit gemietet, und die wurden uns geraubt.«
Lichtblick
Mitte 1998 dann ein kleiner Lichtblick: Dem Verein wurde ein bisher nicht öffentlich zugänglicher Teil des Augartens angeboten; und er sah keinen Grund, das Angebot abzulehnen: »Bis vor Kurzem war die Rückgabe geraubten Eigentums kein Thema«, meinte Präsident Haber damals. »Jetzt ist es zufällig gerade ein Thema und die Chancen, etwas zurückzubekommen, stehen gut; in fünf Jahren ist es vielleicht kein Thema mehr. Ich bitte daher um Verständnis, daß wir nach 60-jährigem Warten das nehmen, was uns angeboten wird.« Wobei das Angebot selbst nicht ganz schlecht war: »Die Nähe zu zwei jüdischen Schulen, die eine gewisse Grundauslastung der Anlagen auch am Vormittag ermöglicht, ist natürlich gut.«
Die »Bürgerinitiative Rettet den Augarten« hingegen konnten nichts Gutes an der Sache erkennen. Ihrer Ansicht nach wollte das (für Bundesgärten wie den Augarten zuständige) Wirtschaftsministerium mit dem Augarten-Angebot einerseits lästige Forderungen seitens jüdischer NS-Opfer loswerden, ohne deren tatsächliche Ansprüche anzuerkennen; andererseits aber dies auf kostengünstige Weise tun: Eine Rückstellung der geraubten Gründe selbst würde, da Nutzungsrechte abgegolten werden müssten, Geld kosten. Eine Übergabe anderer Grundstücke würde erwartete Einnahmen (durch Verkauf oder Vermietung) reduzieren. Nur das Augartengrundstück kostet eben nichts, weil es für das Ministerium de facto nicht verwertbar ist.
Die Chancen, die ursprünglichen Hakoah-Gründe zurückzubekommen, wurden 1998 als denkbar schlecht eingeschätzt. Auf den dort befindlichen Anlagen spielen ein Fußballverein sowie ein Sportverein der FinanzministeriumsbeamtInnen. Beide sind mit langfristigen Verträgen ausgestattet und, so hieß es 1998, in absehbarer Zeit kaum vom Platz zu bringen. Eine größere Tragweite dürfte jedoch ein anderes – nicht direkt ausgesprochenes – Argument besessen haben: Hätte Hakoah jenes Grundstück zurückerhalten, das dem Verein tatsächlich geraubt wurde, wäre das einer Anerkennung eines Rückgabeanspruchs gleichgekommen. Ein solcher Präzedenzfall hätte enorme Folgen nach sich ziehen können: immerhin wurden 1938 mehr als zehn Prozent der Wiener Wohnungen und Häuser ihren EigentümerInnen geraubt...
Alles ist anders – alles ist gleich...
Die Einschätzung des Hakoah-Präsidenten aus dem Jahr 1998 war falsch: Heute, vier Jahre später, ist die Rückgabe geraubten Eigentums ein größeres Thema als je zuvor in der zweiten Republik. »Die Hakoah dürfte einer der wenigen Sportvereine der Welt sein, die zum Inhalt von Verhandlungen zwischen Staaten war«, vermerkte »Die Presse«. Die Verhandlungen um die NS-Opferentschädigung haben der Hakoah einen vertraglich festgelegten Anspruch auf Entschädigung gebracht. Unklar ist nur, wo. Grund genug, jedenfalls einen Konflikt mit Tradition zu führen...
Konflikt auf emotional schwer belastetem Terrain
Die Zuspitzung auf »Juden vs. andere« hatte der Augarten in den letzten fünf Jahren bereits mehrfach erlebt. 1996/97 etwa, als der Bau einer jüdischen Schule diskutiert wurde, waren antisemitische Untertöne nicht zu überhören gewesen. »Die Frage ist, ob man sich mit genug Geld einen Park kaufen kann«, zitierte das profil 1997 eine BI-Sprecherin. Ein Statement, das sich in Abwandlungen mehrfach im Argumentationsreservoir der ProjektgegnerInnen fand. Über eine Info-Hotline der Bürgerinitiative wurde festgestellt, dass »es (...) ja wohl nicht sein« könne, »dass da jemand kommt und sagt, ich habe viel Geld, ich will, dass da etwas gebaut wird, und das passiert dann gegen den Willen der Leute, die davon betroffen sind«.
Ein argumentatives Umfeld, in dem sich auch die FPÖ-Brigittenau wohlfühlte: Sie vermutete in der lokalen Bezirkszeitung, dass »schon allein die enormen Finanzmittel, die hinter Befürwortern und Betreibern dieses Projekts stehen«, für die Umsetzung sorgen würden.
Hintergrund: Das Geld für den Schulbau kam von der Ronald-S.-Lauder-Stiftung, die in den USA beheimatet ist und aus ihren Stiftungsmitteln Projekte in Osteuropa fördert. Die Schule wurde schließlich gebaut, nachdem sich Betreiber und BI-AktivistInnen auf ein gemeinsames Nutzungs- und Bebauungskonzept geeinigt hatten. Die Einigung sah unter anderem den Verzicht des Schulbetreibers auf eine Ausweitung der Schulfläche vor.
»Die....«
Empörung machte sich bei den VertreterInnen der BI breit, als 1998 die ersten Gerüchte vom geplanten Bau eines Sportplatzes auftauchten: »Die haben uns gelegt«, war der Grundtenor...
»Die« scheinen in diesem Fall jüdische WeltverschwörerInnen zu sein, die sehr, sehr tief im Verborgenen agieren müssen. Einen institutionellen Zusammenhang zwischen den religiösen BetreiberInnen der Beth Chabad-Schule, die auf jede Erweiterung ihrer Schule in den Augarten verzichtet haben, und der weltlich orientierten Hakoah gibt es nämlich nicht; einmal abgesehen davon, dass beide Organisationen jüdische Organisationen sind.
Doch bereits dieser »Grundtatbestand« reichte aus: »Da die jüdische Kultusgemeinde ihr an den Augarten grenzendes Schulgelände erweitern möchte, bildete sie mit dem Verein Hakoah eine Interessensgemeinschaft und schlug zur »Rückgabe« des Hakoah-Sportplatzes ein an die Schule grenzendes Grundstück im Augarten vor«, beschwerte sich ein Vertreter der Bürgerinitiative in einem Leserbrief an »Die Presse«[1]. Der Leserbrief (siehe Kasten), obwohl von einem – ohne jeden zynischen Unterton – des Antisemitismus völlig unverdächtigen Aktivisten formuliert, darf als Prototyp eines unbewussten, quasi aufgeklärten Antisemitismus gesehen werden. Das Wort »Jude« kommt darin zwar bisweilen an falscher Stelle (»jüdische Kultusgemeinde«), jedoch nie in unmittelbar pejorativem Gebrauch vor. Und dennoch gibt es kaum ein antisemitisches Stereotyp, das nicht bedient wird: Da betreibt eine Pressuregroup – in Stellungnahmen von anderen AktivistInnen der BürgerInneninitiative haben sich die Termini »Elite« oder »exklusive Nutzung« durchgesetzt – ein Projekt, das gegen die Interessen der gesamten Restbevölkerung gerichtet ist; eine Pressuregroup, für die Gesetze bloß »Formsache« sind, die einen »Riegel« vor die berechtigten Interessen der Bevölkerung schieben (als »Elite« zählt mensch nun einmal nicht zur Bevölkerung), die sich nicht an Vereinbarungen hält und die, obwohl mensch ihr zum Zwecke der Versöhnung entgegengekommen sei, noch immer nicht genug habe; die überdies der Bevölkerung ihren Garten wegnehmen möchte...
Der Etablierung eines Sportplatzes stehen höhere Werte im Weg: Der »Barockgarten«, das »Barockjuwel«, die »grüne Lunge« und, mit »jahrhundertealten Bäumen« und »Denkmalschutz«, unsere (= nicht ihre) ganze Geschichte von Joseph II. bis heute.
...nicht!
Es mag müßig sein, sich mit solchem Unsinn abzugeben: Der Hakoah-Sportplatz war an einer Stelle geplant, deren Baumbestand im Schnitt zwanzig Jahre alt ist, dessen historischer Barockbezug mit der Nutzung als Baumschule bereits vor Jahrzehnten verlorengegangen ist, und der öffentlich nicht zugänglich ist. »Exklusive Nutzung« stellt im Augarten den Normalfall dar, nicht die Ausnahme: »SängerknäbInnen«, Porzellanmanufaktur, zwei Flaktürme, universitäre Versuchsgärten, eine Kirche, ein Sportplatz und ein Kinderfreibad versperren knapp 50% der verfügbaren Fläche. Der Bau des Sportplatzes hätte jedoch eine Erweiterung des öffentlich nutzbaren Parkgeländes (um den nicht benötigten Teil der ehemaligen Baumschule) zur Folge gehabt. Und der »Kulturachse« steht nicht der Hakoah-Sportplatz im Weg, sondern schlicht die Tatsache, dass die Wiener Sängerknaben im Schloss Augarten residieren und nicht im Entferntesten daran denken, ihr Areal zu öffnen... Doch es ist ohnedies egal: Im Augarten werden aller Wahrscheinlichkeit nach keine jüdischen Einrichtungen die grüne Lunge der Bevölkerung beeinträchtigen oder deren Juwelen an sich reißen: Die Hakoah wird nun doch ihren 1938 geraubten Sportplatz zurückerhalten.
Fußnoten
Der Vollständigkeit halber: Die im Satz erwähnte Schule ist NICHT jene Schule, deren BetreiberInnen auf die Parknutzung verzichtet haben. ↩︎
Carl Parks