Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.


In einer großen Stadt zu leben, bietet viele Vorteile, die man am Land oder in einer kleinen Stadt vergeblich sucht. Ein großes Angebot an Kultur- und Bildungseinrichtungen liegen auf der Hand, ebenso wie ein größerer Arbeitsmarkt. Toll ist, dass man Gleichgesinnte findet, mit denen man in einem Café oder einer Bar die ganze Nacht über obskure, nerdige Themen fachsimpeln kann. Wenn man will, kann man halbwegs anonym leben, wenn nicht, findet man sicher Leute, die mit einem ein Hausprojekt starten. Man braucht im Alltag kein Auto, das hilft Geld zu sparen, weil das Leben in der Stadt leider immer teurer wird. Die Stadtbewohner:innen sind es gewöhnt, dass sie auf sehr unterschiedliche Menschen treffen. Wenn man nicht will, fällt man also weniger leicht auf, selbst wenn das eigene Erscheinungsbild oder der eigene Lebensentwurf nicht unbedingt dem vorgestellten Durchschnitt entsprechen.
        Für das Leben in der Stadt schadet es sicher nicht, über ein wenig urbane Kompetenz zu verfügen; dass man also weiß, wie man sich am besten durch die Stadt bewegt, wen man lieber ignoriert, wo und wie man zu diversen Unterstützungen kommt, wo man Leute treffen kann und wo man auch einmal seine Ruhe hat. In den letzten Jahren beschleicht einen immer öfter das Gefühl, dass die urbane Kompetenz generell ein wenig abzunehmen droht. Menschen haben Angst, Plätze zu überqueren, wenn es dort passieren könnte, angebettelt zu werden oder wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen, wenn sie ihr Vermieter über den Tisch zieht. Sie fahren mit riesigen Autos, die für die Stadt ganz offensichtlich zu groß sind, oder verstehen nicht, dass es im öffentlichen Raum ein Mindestmaß an gegenseitiger Rücksichtnahme braucht.
        Deswegen ist es sehr zu begrüßen, dass Peter Arlt ein kleines Stadtlexikon veröffentlicht hat, das auch Übungskarten enthält, um die urbane Kompetenz ein wenig zu trainieren und auch das urbane Vergnügen nicht zu kurz kommen zu lassen. Im Lexikon gibt es beispielsweise Einträge zu Fluss, Freiraum oder Fremde. Das Schöne ist, dass die Gedanken, die Arlt zu den jeweiligen Einträgen niedergeschrieben hat, als ebensolche formuliert sind und es deswegen nicht nur erhellend, sondern auch sehr vergnüglich ist, darin zu lesen. So erfahren wir beim Eintrag Achse etwa: »Wer bei Stadt an Achsen denkt, der ist Planer im Dienste der Mächtigen. Achsen in der Stadt sorgen für Repräsentation (für wen?) und Kontrollierbarkeit, aber sicher nicht für urbanes Leben.« Unter Ordnung lesen wir: »Wer das Wirrwarr der Stadt ordnen will, zerstört sie. Und wer die öffentliche Ruhe und Ordnung stört, ist eigentlich in der Stadt am richtigen Ort.« Über Lebendigkeit schreibt Arlt: »Fix ist nur, dass es immer die Leute, die Nutzer:innen sind, die ihr Ding machen und damit eine Stadt vorwärtsbringen.« Die Einträge sind persönlich, unausgewogen und auch wenn gelegentlich doch auf den einen oder die andere Denkerin verwiesen wird, frei von Quellenangaben oder Ähnlichem. Es macht Spaß, durch das Buch zu blättern, da und dort einen Eintrag zu lesen und angeregt zu werden, darüber zu sinnieren, was man selbst dazu zu sagen hätte bzw. welcher Eintrag unbedingt noch hinzugefügt werden müsste.
        Das eigentliche Highlight sind jedoch die 22 Übungskarten des Praktischen Stadt ABC. Sie vereinen die Übung in urbaner Kompetenz in schönster Weise mit urbanem Vergnügen. Die Übungen reichen von Völlig abwegige Veranstaltung besuchen über Asphalt studieren bis zu Eigene Stadtmöbel beisteuern und sind in die Kategorien leicht, mittel und schwer eingeteilt. Der Hochhaustest sieht beispielsweise so aus: »1) Versuchen Sie rundherum zu gehen. Wenn das nicht geht, ist der Test schon beendet. 2) Versuchen Sie in das Haus zu gelangen. 3) Versuchen Sie in das oberste Stockwerk zu gelangen. 4) Versuchen Sie dort jemanden zu finden und einen Kaffee zu bekommen.«
        Übungskarten und Lexikon befinden sich zusammen in einer handlichen Schachtel und das Ganze sieht nicht nur nach DIY aus, sondern ist es auch (Eigenverlag!). Zu DIY ist im Lexikon u. a. zu lesen: »Manchmal mag man nicht warten. Wenn einem irgendwas auffällt, missfällt, fehlt oder stört, sollte man überlegen, ob man nicht selber dem Ganzen auf die Sprünge helfen könnte. Am schnellsten kommen Dinge in Bewegung, wenn man selber Hand anlegt.« Word up!


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