Urbane Transformationsprozesse und ihre Manifestationen in Oberflächen
Besprechung der Ausstellung »Andreas Fogarasi. Nine Buildings, Stripped« in der Kunsthalle KarlsplatzDer in Wien lebende bildende Künstler Andreas Fogarasi beschäftigt sich seit Jahren in unterschiedlichen Rollen und aus verschiedensten Perspektiven (unter anderem auch als Redakteur von dérive) mit städtischen Transformationsprozessen. Besonders interessieren ihn daran die Oberflächen einer Stadt, denn sie gelten ihm als Marker und Indikatoren dieser. Das Gebiet Karlsplatz diente ihm etwa einmal als Grundlage der Video-Arbeit Surface Studies / Karlsplatz (2008), für die er die dortigen Bodenoberflächen gleich einem Scanner filmisch abtastete und so die unterschiedlichen Nutzungen und Abnutzungen des Bodens einprägsam visualisierte. Nur wenige Meter von den damaligen Videoaufnahmen entfernt in der Karlsplatzpassage bzw. in einer dortigen Werbevitrine verweist ein geschnürtes, skulpturales Materialpaket auf die aktuelle Ausstellung Nine Buildings, Stripped des Künstlers, die wiederum nur wenige Meter weiter in der zwischen stark frequentierten Straßenzügen liegenden Dependance der Kunsthalle Wien stattfindet.
Für diese Ausstellung begab sich der Künstler und Stadtforscher für seine Untersuchungen in die Vertikale und verfolgte dabei nicht nur die Abrisse unterschiedlicher Gebäude der jüngeren Vergangenheit wie beispielsweise der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger, einem Gründerzeithaus in der Hackengasse 30, oder dem Südbahnhof, sondern er beobachtete weiter, welche Häuser die insgesamt neun Abgerissenen ersetzten bzw. auch aus welchen Materialien diese wiederum bestehen. Diese unterschiedlich schwierig und meist mit Verhandlungsgeschick und Wohlwollen für sein Vorhaben zu erwerbenden Fragmente der ehemaligen Gebäude und Materialproben der neuen bzw. sich in Realisierung befindlichen Bauten, schnürte er zu – in Größe und Aura Tafelbildern nicht unähnlichen – neun Paketensembles. Mit der Bewahrung und Rettung der Abrisselemente und ihrem künstlerischen Rearrangement brachte er einen virulenten Punkt innerhalb der baulichen Entwicklung zur Materialisierung und in einen Dialog, der sonst nicht stattfindet: ohne Abriss kein Neubau. Der direkte Vergleich zwischen den einst und nun eingesetzten Materialien wie Fliesen, Marmor, Beton oder Faserzementplatten ist in Gleichzeitigkeit kaum möglich. Stählerne Umreifungsbänder halten hier architektonische Vergangenheit und Gegenwart (bzw. Zukunft) zusammen, die sich so in der Stadt nicht (mehr) treffen können und verdeutlichen auch metaphorisch, dass es erst des Kniffs und der Überlegungen des Künstlers bedurfte, derart zusammengehalten zu werden. Die Materialbilder verschleiern ein wenig die Massivität des Unterschieds und Sprungs zwischen Vorher und Nachher, entwickeln und halten in dieser ästhetisierten Collage außerhalb ihres funktionalen oder dekorativen Zusammenhangs stellvertretend für das eigentliche einstige oder zukünftige architektonische Ganze, Aussagekraft über Stadtgeschichte und städtebauliche Entwicklung und Möglichkeit zur Reflektion dieser Veränderungen. Der Hintergrund, dass jährlich rund 300 Altbauten abgerissen werden und 2011 die Kulturgutdatenbank der Stadt Wien 32.400 vor 1919 errichtete Gebäude statistisch erfasste, 2019 aber nur noch 27.000 (Begleitheft zur Ausstellung, S. 27), verleiht der aus Resten des in der Hackengasse 30 2019 abgerissenen Gründerzeithauses bestehenden Arbeit Nine Buildings, Stripped (Hackengasse) zusätzlich Dramatik, wie generell Erinnerung der alten bzw. Kenntnis der neuen Häuser die Betrachtung beeinflusst.
Für Fogarasis Ansätze erweist sich der von Adolf Krischanitz entworfene gläserne Präsentationsraum und die darin an der einzigen zur Hängung möglichen Wand in Reihe gezeigten Tableaus in mehrerlei Hinsicht als ideal. Die Transparenz des Glasbaus, die Sicht auf die vorbeirauschenden Autos, die nächtliche Beleuchtung, all das unterstützt die Ausstellung auch in ihrer Erfahrbarkeit und Präsenz in der Öffentlichkeit und von außen. Dass an deren Stelle in den Jahren 1992 bis 2001 ein ungleich größerer gelber, ebenfalls von Krischanitz entworfener Kubus die ursprüngliche Kunsthalle Wien beherbergte und maßgeblich die Stadtidentität prägte, rahmt und unterstreicht die Kernaussagen dieser Ausstellung, indem der bauliche Wandel der Stadt auch an der Ausstellungsfläche selbst wirkt und ablesbar bleibt. Dem Künstler gelingt eine nachhaltige Sinnesschärfung über die Details und Geschichten der in der Show versammelten Fallbeispiele hinaus, die nächste Begegnung mit dem Schauplatz eines Hausabrisses garantiert die Weckung detektivischer Instinkte bezüglich zum Vorschein gebrachter Materialien und Folgepläne, eine Erfahrung, die dem Rezensenten jüngst bei Sichtung der Abrissarbeiten des Modehauses Tlapa in Wien Favoriten widerfuhr und die sich eben der Sensibilisierung durch Nine Buildings, Stripped verdankte.
Christian Egger