Verkehr - Ein determinierender Faktor von Stadt
Besprechung von »Stadt: Strom – Straße – Schiene« herausgegeben von Alois NiederstätterAlois Niederstätter (Hg.)
Stadt: Strom - Straße - Schiene. Die Bedeutung des Verkehrs für die Genese der mitteleuropäischen Städtelandschaft
Linz 2001 (Österreichischer Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung)
340 S., EUR 57.-
Die Idee des Buches Stadt: Strom – Straße – Schiene. Die Bedeutung des Verkehrs für die Genese der mitteleuropäischen Städtelandschaft entstammt der Feststellung eines »eklatanten Mangel[s] an historischen Verkehrsanalysen« von R. Banik-Schweizer und G. Meißl im Jahre 1989. Die vorliegende Veröffentlichung greift vergleichend unterschiedliche Ansätze auf und zeigt von der »Alten Stadt« im Mittelalter über die Moderne bis hin zur Gegenwart, die Stadt selbst innerstrukturell von Verkehrsströmen durchzogen, im Netz von Austausch und Kommunikation. Wie vom »Österreichischen Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung« gewöhnt, wird das Beziehungsgeflecht zwischen Verkehrs- und Lebensraum nicht nur einseitig technikgeschichtlich, sondern sozialgeschichtlich, denkmalpflegerisch, touristisch (und partiell ökonomisch) beleuchtet. Der bisherige Forschungsstand wird zusammengefasst und künftige Themenkreise und Aspekte werden aufgezeigt. Schwachpunkt ist lediglich die eher lose Verbindung der einzelnen Artikel und teilweise unzureichende Absprache unter den (vielen) Autoren.
Städte waren und sind topografisch wie auch funktional die Knotenpunkte und Drehscheiben der Verkehrsnetze. Sie bilden sowohl das Zentrum des wirtschaftlichen wie auch das des kulturellen Austausches. Mit einem Aufschwung gegen Ende des 10. Jahrhunderts in der Landwirtschaft wurde eine dauerhafte Versorgung für den Markt ermöglicht und einsetzender Handel und Handwerk verstärkten städtische Strukturen. Kaufleute und Handwerker organisierten sich in Zünften und waren somit befähigt, die Macht der feudalen Stadtherren zu relativieren. Der aufgrund des Wachstums der Städte erhöhte Bedarf an Rohstoffen verstärkte den Güteraustausch. Wichtige Handelsstädte bildeten sich, was wiederum Impulse für eine verstärkte Vernetzung setzte. Dieses Netz zwischen den Städten förderte somit maßgeblich die Entwicklung einer neuen europäischen Stadtkultur, was im Beitrag von Karl Heinz Burmeister »Der Verkehr als Faktor der städtischen Kultur« in facettenreicher Weise zum Ausdruck gelangt. Er beschreibt darin die Bedeutung des Buchdrucks im mitteleuropäischen Raum und wie somit Wissen in gebündelter Form zu einer breiteren Bevölkerung transportiert werden konnte. Damit konnten nicht nur Universitäten den intellektuellen Austausch auf eine neue Basis stellen, sondern auch der Humanismus konnte aufkeimen – ein neuer Motor für Bildungsreisen entstand. Die Reisen auf den Straßen Europas führten zu Weltkenntnis und Welterfahrung, und konzentrierten sich an den linearen Strukturen der bestehenden Verkehrswege zwischen den bedeutenden Zentren und Handelsplätzen, an denen sich auch der wirtschaftliche und kulturelle Austausch orientierte, wie es Peter Csendes in »Die Stadt als Verkehrsraum« konstatiert.
Die Straße zeigte sich zudem nicht zuletzt seit dem Mittelalter und der frühen Neuzeit als zentrales Element bei der Bildung, Förderung und Stabilisierung der urbanen Siedlung. Stärker als die Straße zeigte sich die Schiene als wesentliche raumbildende Struktur. Diese historische Wechselbeziehung von Siedlungswachstum und Verkehrsstrukturen greift der erfahrene Analytiker Gerhard Meißl auf und beschreibt sie in »Die Produktion von Stadtraum im Eisenbahnzeitalter« auf anschauliche Weise – mit Karten am Beispiel Wiens vom Vormärz bis zum Ersten Weltkrieg, sowie deren ursächlichen Zusammenhang im Gefüge des Städtebaus. Bei der Schifffahrt bilden die Uferlinien eine klare Vorgabe für die Schnittstellen und Knotenpunkte der Verkehrswege. Bereits im frühen Mittelalter bildete der Bodensee inmitten der Alpenbarriere eine bedeutende Verkehrsdrehscheibe, die aufgrund der klimatisch und wirtschaftlich günstigen Lage die Bildung von Klöstern, sowie von Städten mit Zollabgaberechten begünstigte, was anhand des Beitrages »Schiffsverkehr und Stadt: Das Beispiel Bodensee und Rhein« von Alois Niederstätter, dem Herausgeber des Buches, fundiert beschrieben wird. Er spricht darüber hinaus auch die fiskalische und politische Dimension der Lage von Verkehrswegen an. Diesen strategischen Aspekt greift ebenso Klaus Brandstätter mit einer Analyse zu »Städtischen Maßnahmen zur Verkehrsorganisation im Mittelalter und in der frühen Neuzeit« auf und widmet sich darin der Bedeutung der Städte für die Situierung der Alpenübergänge. Dem Gesichtspunkt der verkehrsbezogenen Lagegunst widmet sich auch Dieter Hein in »Die Stadt, das Bürgertum und der Verkehr« in einer detaillierten Gegenüberstellung zweier Residenzstädte – der unterschiedlichen Entwicklung von Karlsruhe zur Beamten- und Verwaltungsstadt und von Mannheim zu einem sich stark bürgerschaftlich entfaltenden Handelsort.
Die für die Städte dramatischen Folgen der rapiden Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts waren Ausgangspunkt für neue Leitbilder sowie für die Anlage und funktionelle Gestaltung der städtischen Ballungsräume. Die dazu hervorgebrachten historischen Verkehrsutopien für die Stadt der Zukunft dokumentiert Bernd Kreuzer in »Von der Utopie zur Realität«. Stadtmodelle von Tony Garnier, Otto Wagner bis hin zu Le Corbusier werden dabei erklärt und analysiert. Über Gedanken aus utopischen Romanen am Beginn des 20. Jahrhunderts bis hin zur Einführung des »Rollenden Trottoirs« reichen seine Ausführungen. Den Motor zu diesen Utopien bildet die rasante Technisierung des Verkehrswesens, die für Dietrich Denecke den maßgeblichsten Beitrag »Zur Entstehung des Verkehrs« darstellt. In den hohen Geschwindigkeiten der Verkehrssysteme erkennt Hermann Knoflacher eine wesentliche Ursache der Prägung räumlicher Strukturen, die dem Individuum zahlreiche Zwänge in seinem Mobilitätsverhalten aufbürden. In seiner Analyse zur »Bedeutung der Verkehrsplanung für die Stadtentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert« beschreibt er die umfassenden negativen Wirkungen des Planungsparadigmas der »Beschleunigung von Verkehrssystemen«.
Alois Niederstätter (Hg.)
Stadt: Strom - Straße - Schiene. Die Bedeutung des Verkehrs für die Genese der mitteleuropäischen Städtelandschaft
Linz 2001 (Österreichischer Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung)
340 S., EUR 57.-
Herwig Schöbel
Udo W. Häberlin studierte Stadt- und Raumplanung u. a. bei Detlef Ipsen, Ulla Terlinden und Lucius Burckhardt in Kassel. Er arbeitet bei der Stadt Wien, Abteilung Stadtplanung und -entwicklung.