Versuch einer marxistischen Theorie des Bauens
Besprechung von »Von der Notwendigkeit der Architektur« von Ernst PlojharErnst Plojhar
Von der Notwendigkeit der Architektur
Versuch einer marxistischen Theorie des Bauens.
Promedia Verlag, 2001
Der Titel des Buches ist gleichzeitig Warnung wie Verheißung: Hier geht es nicht um Spekulationen über Architektur im ideologiefreien Raum (falls es soetwas geben sollte).
Ernst Plojhar (geb.1920) – so kann man in einer kurzen biografischen Notiz lesen – gehörte 1938 den illegalen »Roten Studenten« an, lief 1945 zur Roten Armee über, beendete 1954 sein Architekturstudium und übte den Beruf Jahrzehnte lang aus. Als 1968 die Sowjets in Prag einmarschierten, trat er aus der KPÖ aus (wie viele andere auch), deren Mitglied er bis zu diesem Zeitpunkt gewesen war.
Der vorliegende Text kann als ein vorläufiges Resumée einer fast ein Jahrhundert umspannenden Denkarbeit zum Thema Architektur und Gesellschaft angesehen werden. Dass dieses Denken in Bewegung blieb und immer wieder interne Korrekturen erfuhr, ist in dieser Arbeit spürbar und ist natürlich auch in den allgemeinen Transformationen marxistischer und neomarxistischer Theorien im 20. Jahrhundert begründet.
Das Buch gliedert sich in drei Hauptabschnitte: Der erste ist überschrieben mit »Marxismus, Ästhetik, Kunst und Architektur«, der zweite mit »Architekturtheorie« und der letzte trägt den Titel »Die Architekturgeschichte in marxistischer Interpretation«. Im ersten Teil werden »vor-marxistische«, marxistische und neomarxistische Theorien zur Ästhetik und Kunst im Zeitraffer verhandelt. Architektur tritt als eine Sonderform ästhetischer Produktion auf. Diese Fixierung auf Theorien zur »Ästhetik« erscheint problematisch und auch Plojhar vermerkt, dass sich in der klassischen marxistischen Theorie (Marx, Engels) kaum Anmerkungen zur Architektur finden lassen. Seltsam erscheint, dass beispielsweise in der Behandlung eines neomarxistisch geprägten Autors wie Walter Benjamin auf dessen Werk »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« Bezug genommen wird und nicht auf seine Auseinandersetzung mit der Metropole und ihrem Einfluss auf ein modernes Bewusstsein – also Benjamins Baudelaire-Rezeption (»Über einige Motive bei Baudelaire«). Diese Beobachtung stimmt auch mit einer grundsätzlichen Tendenz überein: Ernst Plojhars Fokus liegt tendenziell auf Fragen der Architektur und weniger auf der Stadtplanung. Das verwundert aus folgendem Grund: In der Geschichte der Stadtplanung und Stadtentwicklung treten ökonomische und gesellschaftliche Hintergründe deutlicher in den Vordergrund, als in architektonischen Fragestellungen.
Die Exkurse dieses Kapitels sind insgesamt etwas verwirrend: Notizen zu Platon, Mythologie, Hegel, Kant, Lenin, den alten Ägyptern, der Renaissance, Thomas Hobbes, Jean-Jaques Rousseau, ... wechseln sich in rasantem Tempo ab, sodass es oft schwierig ist, der Argumentation zu folgen.
Im Kapitel zur Architekturtheorie, versucht Plojhar dialektische Denkmodelle auf die Architektur anzuwenden: In der Architektur kommt es demnach zu einem Aufeinandertreffen von Subjektivität (das entwerfende Subjekt, Ideen, Utopien) und Objektivität (gesellschaftliche, ökonomische Bedingungen). Beide Sphären bedingen einander, deshalb gibt es auch in der Architektur nichts absolut Wahres oder Schönes, da diese historisch determiniert bleiben. Gute Architektur negiert eine schlechte Gegenwart, darin liegt ihr utopisches Potenzial. Eine marxistische Methode der Architektur setzt – laut Plojhar – die Mittel von Natur (objektiv) und Geist (subjektiv) ein, um die beteiligten Elemente (Entwurf, Konstruktion, Technik, Organisation) in »ungeschiedene« Gegensätze zu zerlegen und setzt sie »auf höherer Stufe« wieder zusammen. Bauliche Tätigkeit ist letztlich eine Auseinandersetzung mit der Natur.
Ernst Plojhar bleibt uns konkrete Beispiele schuldig, sodass nicht klar wird, worin sich ein marxistischer Ansatz der Architektur von anderen unterscheidet. Seine Angriffe auf postmoderne Architektur, auf den »Reklamemythos« von Las Vegas (also Robert Venturis »Learning from Las Vegas«), bleiben oft im Vagen:
»Was bedeutet in der materialistischen Betrachtungsweise der menschlichen Tätigkeiten die Anwendung der dialektischen Methode in der Architektur? Danach ist die Bewegung eine Zerlegung einer ungeschiedenen Einheit in ihre Gegensätze und die Wiedervereinigung dieser auf einer höheren Stufe, aber nie im absoluten Widerspruch, obwohl sich Gegensätze verselbstständigen können (z.B. Rückschritt zu falscher, schlechter Architektur bei Auswüchsen der Postmoderne, Reklamemythos von Las Vegas).« (S.131)
Verwirrung entsteht auch, wenn es in diesem Kontext dann heißt: »Sie (die marxistische Methode, Anm.) muss durch die spezifischen Mittel der Architektur in ihrer Gesamtheit an Mannigfaltigkeiten und Beziehungen so ausgedrückt werden, dass ein in sich selbst lebensfähiges, relatives selbstständiges System entsteht.« (S.132)
Würde das bedeuten, dass sich »marxistische Architektur« als »synthetisierte Objektivität« von ihrer Umgebung ablöst und dialektische Beziehungen letztlich nur versinnbildlicht und symbolisiert? Natürlich ist das nicht gemeint, aber es zeigt die Widersprüchlichkeit mancher Argumentationslinien. Sodass sich die Frage stellt, ob es wirklich möglich ist, dialektisches Denken auf die Methodik der Architektur anzuwenden. Können gesellschaftliche Gegensätze in architektonische Parameter, wie Form und Inhalt übersetzt werden?
Ein Überangebot an Information und historische Verweise geraten in dem Buch zu einem labyrinthischen Text, den man gerne neu strukturiert und sprachlich vereinfacht noch einmal lesen würde. Man hat den Eindruck, dass dieses Buch nicht lektoriert wurde. Andernfalls würde Colin Rowes »collage city« wohl kaum zur »Collegestadt« mutieren. Das letzte Kapitel (eine Bewertung der Architekturgeschichte aus marxistischer Sicht von der Urgeschichte bis zur Dekonstruktion) leidet an seinem allumfassenden Anspruch. Dadurch werden einzelne Themen wie beispielsweise die Revolutionsarchitektur von Étienne Boullée und Claude-Nicolas Ledoux oder die Moderne nur kurz gestreift. Weiters muten einige inhaltliche Zusammenstellungen seltsam an, wie die Überschrift: »Die Postmoderne, die Dekonstruktion, Hundertwasser und seine Mitstreiter«.
Zum Glück kann man feststellen, dass sich der Einfluss von Hundertwassers Architekturphilosophie auf die Branche - im Gegensatz zu den beiden Erstgenannten - in annehmbaren Grenzen hält.
Ernst Plojhar
Von der Notwendigkeit der Architektur
Versuch einer marxistischen Theorie des Bauens.
Promedia Verlag, 2001
Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.