Vierzehn Mal lokale Wohnungspolitik auf dem Weg zu »Mehr Licht als Schatten«?
Besprechung von »Lokale Wohnungspolitik. Beispiele aus deutschen Städten« von Dieter Rink und Björn Egner (Hg.)Dieter Rink und Björn Egner (Hg.)
Lokale Wohnungspolitik. Beispiele aus deutschen Städten
Baden-Baden: Nomos, 2020
332 Seiten, 64 Euro
Anhand differenzierter Analysen wird in diesem Buch von renommierten Wissenschaftler*innen herausgearbeitet, wie sich die lokale Wohnungspolitik in verschiedenen deutschen Städten während der letzten Jahrzehnte entwickelt hat. Die Zusammenstellung der Fallstudien umfasst Städte, die auf den Investitionslandkarten der Immobilienbranche in unterschiedlichen Farben schattiert sind: Sie schließen in immobilienwirtschaftlicher Fachsprache aus- gedrückt sowohl A- als auch B- und C-Standorte ein. Damit liefert der Sammel- band einen wertvollen Überblick über unterschiedliche Zeitlichkeiten und Dynamiken der Zuspitzung der Krise und deren Politisierung für die derzeitige Wohnungsforschung. Herausgearbeitet werden jeweils die Entwicklung der Preise und Versorgungslagen sowie die spezifischen Akteurskonstellationen im Bereich der Wohnungswirtschaft, -politik und den sozialen Bewegungen sowie daraus hervorgehenden kommunalen staatlichen Strategien, der Wohnungskrise zu begegnen. Needless to say: Die Auseinandersetzung hiermit ist relevant, denn – das zeigt auch dieser Sammelband – die Städte und ihre Bewohner*innen werden von einer Wohnungskrise heimgesucht. Diese hat sich seit der Fertigstellung der Publikation im April 2020 im Zuge der Pandemie nochmal deutlich verschärft. Während die Einkommen insbesondere bei vielen prekär Beschäftigten eingebrochen sind und zahlreiche Geschäfte und Bars bereits insolvent gegangen sind, verzeichnet die Immobilienwirtschaft nahezu ungebrochen (steigende) Profite aus Mieteinnahmen.
Um die Artikulation der Wohnungskrise in ihren unterschiedlichen Räumlichkeiten und Temporalitäten zu erforschen und mögliche Handlungsperspektiven aufzuzeigen, ist eine strukturierte und vergleichende Auswertung kommunaler Herangehensweisen und politisch erprobter und imaginierter Spielräume notwendig. In dieser Hinsicht, und um dem weiter nachzugehen, birgt der Sammelband einen Fundus an Beobachtungen von konkreten Entwicklungen und implementierten Instrumenten. Im Fazit findet sich auch eine Überblickstabelle mit eingesetzten wohnungspolitischen Instrumenten von der Mietpreisbremse über die Konzeptvergabe, Erbbaurechte und verschiedenen Governance-Instrumenten, die in weiteren vergleichenden Studien aufgegriffen und detaillierter ergründet werden können.
Auch wenn der Band Wichtiges leistet und beiträgt, so stößt der – wenn auch differenzierte und aufschlussreiche – dezidiert wohnungspolitische und (von den Stadtstaaten abgesehen) ausschließlich kommunale Fokus aufgrund der Zentralität des Wohnens in der politischen Ökonomie auch an Grenzen. Insbesondere, wenn es darum geht zu versuchen, die Vielschichtigkeit der Wohnungskrise zu ergründen, spezifische Betroffenheiten herauszuarbeiten und den primär reaktiven Charakter staatlicher wohnungspolitischer Implementationen zu erklären, welchen die Herausgeber im Fazit beklagen.
Erstens besteht durch den Blick auf die kommunale Ebene die Gefahr, die Multiskalarität politischer Herrschaft aus dem Blick zu verlieren. Es kam zwar mit der Umverteilung von Verantwortlichkeiten innerhalb des skalaren staatlichen Gefüges seit den 1990er-Jahren zu einer Kommunalisierung der Wohnungspolitik und einer zunehmenden Ausdifferenzierung lokaler Wohnungspolitiken. Zeitgleich, so schreiben die Herausgeber, kristallisierte sich das Feld kommunaler Wohnungsforschung heraus (und verweisen auf zahlreiche spannende Studien, die damals entstanden sind). Dennoch geraten durch einen ausschließlich lokalen Blick wohnungspolitische Einflussmomente auf Landesebene, die bisher in der Forschung kaum thematisiert werden, und auch auf Bundesebene in den Hintergrund. Jenseits von Verweisen auf Horst Seehofers Baugipfel, die Föderalismusreform und das Baukindergeld werden bundespolitische Einflussmomente nicht strukturell ausgewertet, obwohl sie in den einzelnen Beiträgen mitschwingen. Auch europäische und globale Einflussmomente hätten strukturierter mit in die Publikation einbezogen wer- den können. Persönlich hätte ich es für sinnvoll gehalten, die vierzehn Beispiele aus deutschen Städten, zumindest um einen entsprechenden Beitrag auf Bundes- und zwei Analysen auf Ebene eines Bundeslandes, beispielsweise Sachsen und Hessen, zu ergänzen.
In ihrem Fazit lassen die Herausgeber die Worte von Everhard Holtmann und Rainer Schäfer nachhallen, die 1996 eine fehlende »Bereitschaft zu einer konsequenten Neuorientierung, zu einer Reform überholter Zielvorstellungen« beklagten (S. 323). Bleibt zu hoffen, dass die Dringlichkeit dieser konsequenten Neuorientierung angesichts der beispiellosen ökologischen, sozialen und ökonomischen Fragilität des gesellschaftlichen Systems, die wir derzeit erleben, nicht nur auf kommunaler Ebene, sondern auch auf Landes- und Bundesebene (die Bundestagswahlen stehen vor der Tür), in weiteren Forschungsarbeiten und politischen Bündnissen diskutiert werden und in entsprechenden emanzipatorischen Politiken ihre Materialisierung finden.
Johanna Betz