Maxie Jost


Die Landschaften unserer Städte, so alltäglich sie uns scheinen mögen, sind doch Ausdruck eines stetig anhaltenden Wandels. Sie wachsen, werden bunter, reißen Gräben, schlagen Brücken, weisen Grenzen und Kanten auf und entfalten gleichzeitig eine atemberaubende Vielseitigkeit. Insofern verwundert es nicht, dass die stadtaffine Szene – weniger an eine Profession als an die spezifische Leidenschaft für Stadt gebunden – immer wieder neue LiebhaberInnen anzieht. Der jüngste Spross unter den Urbanismus-Magazinen sind die stadtaspekte aus Berlin, die uns die dritte Seite der Stadt – so der Untertitel – zeigen wollen.

Stolz räkelt sich das schlicht gehaltene, aber ins Auge springende Cover-Design der Pilotausgabe unter den ersten Blicken seiner BetrachterInnen. Denn nichts Geringes hat sich die erste Ausgabe vorgenommen: das Hervorbringen und Offenlegen neuer Ansichten zum Thema Stadt, eben die Rückkehr zum ersten, unerfahrenen Blick anstelle routinierter Alltagswahrnehmung, um so das unter der Oberfläche Schlummernde als der Städte dritte Seite zu erkennen. Und das bedeutet auch, ausdrücklich Gegenstück zu sein zu dem, was uns üblicherweise auf dem oft von StadtplanerInnen und ArchitektInnen dominierten Feld begegnet. Im Sog eines allgegenwärtigen Trends neourbaner Kultur, der sich als thematischer Dauerbrenner unaufhaltsam durch Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft zieht, versucht stadtaspekte Eigenes zu entwerfen. Herausgekommen ist ein Hybrid zwischen Urbanismus-Zeitschrift und Lifestyle-Magazin, ein anspruchsvoller Begleiter für den modernen Stadtnomaden durch die Erlebniswelt der Global Cities. Dabei ist nicht der Stoff der Geschichte als solcher das Neue, sondern die Art und Weise, wie daraus eine Geschichte erschaffen wird.

Was zunächst geradezu klassisch im Sinne stadtspezifischer Publikationen anmutet, ist die internationale und interdisziplinäre Bandbreite der Themen, welche die stadtaspekte als abwechslungsreiches Potpourri aufbereiten: So gesellt sich das hupende Kommunikationssystem der Hauptstadt Georgiens neben den niederländischen Interventionskünstler, dessen Aktionen im öffentlichen Raum auch mal die Stadtverwaltungen auf den Leim gehen; die fotografische Suche eines Exilwieners nach Stadtportraits in Berlin neben den archäologischen Fund in Südostanatolien, wo man nun Kultstätten als mögliche Keimzellen unserer Städte erforscht; der platzlose Karlsplatz in Wien neben zerkratztes Glas und Papier aus Leipzig; Mudercity Detroit neben Geocaching in Mainz ... und so ließe sich die Reihe der thematischen dérive durch die Städte dieser Welt fortsetzen. Sicher wird man sich als LeserIn beim Hinüberschweifen zum Computer ertappen, um eben schnell den Link zu dem einen oder anderen Artikel direkt aufzurufen, denn ein wesentlicher Input besteht in den Querverweisen zu mehr Fotografien, Kunst, Blogs, Informationen.

Den Facettenreichtum des erzählerischen Moments verdankt stadtaspekte einer beispielhaften Bündelung von Ideen und Perspektiven, indem es die Beiträge mittels eines offenen Call for Papers zusammengestellt hat. Was wir hier vorfinden, ist Partizipation in Form eines kreativen Kollektivs, dem es durch einen losen und frei zugänglichen Zusammenschluss gelingt, produktiv zu experimentieren. Auch für die Finanzierung der Druckkosten bediente sich die Gruppe erfolgreich der gemeinschaftlichen Methode des Crowdfunding, und abgesehen von 150 eingesandten Beiträgen beteiligten sich mehr als 300 UnterstützerInnen finanziell. Darüber hinaus verrät die Internetseite zum Magazin noch einige parallel laufende Miniprojekte wie Stadt um zehn und 24h. Ersteres ist eine Art Newsticker zu aktuellen städtischen Themen, der aus frei eingesandten Artikelvorschlägen erstellt wird, welche ausschnittweise zitiert und zur Quellseite verlinkt werden. Neben diesen nur auf dem Blog erscheinenden Tagesnachrichten widmet sich 24h einer ganz anderen Dynamik. Der Workshop lädt fünf LeserInnen zur Teilnahme an dem Laborversuch, vier Magazinseiten innerhalb der vorgegebenen Zeitspanne zu gestalten, ein und belohnt sie mit der Übernahme ihrer Seiten ohne jede weitere Änderung in die Druckausgabe.

An dieser Stelle kommt denn aber doch die Frage auf, warum man bei so viel Mut zu neuen und freien Formaten in Sachen Gestaltung doch recht konventionelle Wege verfolgt. Die Fotos sind natürlich einwandfrei, Texte und Bilder immer raffiniert gesetzt; die Schrift wirkt ab und zu recht groß, so als wollte man auf Nummer sicher gehen, ebenso wie man sich auch mit etwas dünnerem Papier hätte begnügen können. So ist es schließlich, gemäß seiner Haptik und Handhabung, doch weniger urban als von den MacherInnen vielleicht erhofft. Für das leichte Unterwegssein in der Stadt wäre es zumindest nicht die erste Wahl – fürs Sofasurfen daheim schon eher.

In diesem Sinne kann man zur programmatischen Erstausgabe gratulieren und weiterhin glückliches Experimentieren wünschen. stadtaspekte stellt sowohl ein bemerkenswertes Produkt für die Auseinandersetzung mit dem urbanen Raum dar wie auch einen innovativen Versuch, die Entstehung und Produktion eines Magazins neu zu denken. Ein Experiment mit offenem Ausgang. Und das soll auch so sein, denn ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Die Frist zum zweiten Open Call unter dem Motto „Grauzonen“ ist bereits verstrichen, wir dürfen gespannt darauf warten, einen zweiten Blick auf stadtaspekte zu werfen.

-- \ http://www.stadtaspekte.de


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