Vom Kloputzen zur Gesellschaftsanalyse
Besprechung von »Leben, Meinungen und Wirken der Witwe Wetti Himmlisch« herausgegeben von Peter Payer und »Unentbehrliche Requisiten der Großstadt« von Peter PayerPeter Payer (Hg.)
Leben, Meinungen und Wirken der Witwe Wetti Himmlisch. Memoiren einer Wiener Toilettenfrau um 1900
Wien 2001 (Löcker)
175 S., EUR 41.-
Peter Payer
Unentbehrliche Requisiten der Großstadt.
Eine Kulturgeschichte der öffentlichen Bedürfnisanstalten von Wien
Wien 2000 (Löcker)
248 S., EUR 28,63
In dérive Nr. 3 wurde Peter Payers Buch Unentbehrliche Requisiten der Großstadt. Eine Kulturgeschichte der öffentlichen Bedürfnisanstalten von Wien vorgestellt. Im Zuge seiner Recherchen zu diesem Buch stieß Peter Payer auf die Memoiren von Wetti Himmlisch, einer Wiener Wartefrau um 1900, die jetzt mit einem Nachwort von ihm neu herausgegeben wurden.
»Leben, Meinungen und Wirken der Witwe Wetti Himmlisch, die ihre Laufbahn als Malermodell angefangen, geheiratet hat, langjährige Toilettefrau gewesen ist, und jetzt von ihren Zinsen zehrt.« So wurde das Buch bei seiner Erstauflage 1906 bei der »Deutschen Verlagsactiengesellschaft in Leipzig« inhaltlich zusammengefasst. Frau Himmlisch äußert sich in einer Art Tagebuch zu verschiedensten Themen wie z.B. dem Wahlrecht für Frauen, tschechische Zuwanderer, Moral, Journalismus, Religion, der beginnenden Emanzipierung u. v. m., erzählt von den verschiedensten Kundschaften, die ihre Bedürfnisanstalt besuchen, gibt somit einen Einblick in die Wiener Gesellschaft um die Jahrhundertwende und verheimlicht dabei auch nicht ihren Platz am untersten Ende der Gesellschaftshierarchie. Vom Verlag wurde es in einer Reklamenotiz als »das lustigste Buch der Gegenwart« angepriesen und mit einer Banderole mit der Aufschrift »Sensationell! Zum Totlachen!« versehen.
Etwas weniger als 100 Jahre später lesen sich die Memoiren der Wetti Himmlisch nicht mehr so lustig. Der Blickwinkel der LeserInnen hat sich geändert. Von Interessesse wird, was sich hintergründig in den Memoiren verbirgt. So macht das Nachwort von Peter Payer das Buch erst so wirklich interessant. Er zeigt, wie sich Sozialkritisches, Politisches und Gesellschaftliches herauslesen lässt. Diverse Aussagen von Wetti Himmlisch ergänzt er mit historische Fakten und interpretiert Personen und Geschichten. So bestätigt sich z.B. der Verdacht, der sich bereits beim Lesen aufdrängt, dass Wetti Himmlisch ein Pseudonym ist. Als Verfasser kommt mit großer Wahrscheinlichkeit Vincenz Chiavacci in Frage, ein Journalist und Schriftsteller, der durch mehr oder weniger bekannte literarische Figuren (u.a. erschuf er die Frau Sopherl vom Naschmarkt) in humoristischem Stile das Wiener Volkstum beschreiben wollte. Leider ist das Nachwort sehr kurz gehalten. Für LiebhaberInnen des Wienerischen gibt es im Anhang das »Wiener Wörtlein«, ein kleines Dialekt-Wörterbuch.
Peter Payer (Hg.)
Leben, Meinungen und Wirken der Witwe Wetti Himmlisch. Memoiren einer Wiener Toilettenfrau um 1900
Wien 2001 (Löcker)
175 S., EUR 41.-
Peter Payer
Unentbehrliche Requisiten der Großstadt.
Eine Kulturgeschichte der öffentlichen Bedürfnisanstalten von Wien
Wien 2000 (Löcker)
248 S., EUR 28,63
Sonya Menschik