Sonya Menschik


Mit seiner selbst gestellten Aufgabe »die Geschichte der Bedürfnisanstalten möglichst umfassend aus hygienischer, technischer, architektonischer, sozialer, denkmalpflegerischer und stadtgestalterischer Sicht zu beleuchten«, schrieb der Autor Peter Payer nicht nur seine Dissertation, sondern bringt auch Licht ins dunkle eines Themas, das wirklich jeden betrifft, dessen geschichtliche Entwicklung aber bisher eher unbekannt war. Er stellte sich die Frage »welche gesellschaftlichen Entwicklungen sich dahinter verbergen, wenn Bedürfnisanstalten, die um 1900 zu viel besuchten und mit Stolz vorgezeigten Einrichtungen einer europäischen Metropole gehörten, heute nur mehr im äußersten Notfall benutzt werden, und auf welche Weise sich in der modernen bürgerlichen Großstadtgesellschaft die Einstellung zu Sexualität und Körperlichkeit zu verändern begann, sodass die Toiletteanlagen immer unauffälliger gestaltet werden mussten und schließlich fast ausnahmslos unterirdisch errichtet wurden«. Peter Payer begibt sich auf die Spurensuche und fördert an Hand verschiedenster Quellen, wie Zeitungskommentaren, Statistiken, Gemeindeakten und Protokollen aus den unterschiedlichsten Archiven Unbekanntes bis Unglaubliches zu Tage. Ausgehend von einer zivilisationshistorischen Perspektive zeichnet er eine Entwicklung beginnend vom Mittelalter, wo es noch durchaus üblich war, seine Notdurft auf der Straße zu verrichten, über die Zeit in der öffentliche Bedürfnisanstalten zum Stadtbild gehörten und von der Bevölkerung zwar nicht geliebt, aber »gebraucht« wurden bis zum aktuellen Status und weist abschließend auf die Trends im zukünftigen Umgang im Gebrauch und der Ausstattung öffentlicher Bedürfnisanstalten hin. Innerhalb dieser Kulturgeschichte stößt er immer wieder auf Kuriositäten wie z.B. ambulante Abtrittanbieter, in Wien »Buttenmänner« und »Buttenweiber« genannt, die sozusagen als Zwischenstadium von öffentlicher und privater Verrichtung der Notdurft galten. Dabei handelte es sich um Männer und Frauen, die die polizeiliche Erlaubnis hatten, mit ihren hölzernen Butten, auf der die Worte »K.K privilegierte Retirade« zu lesen waren, durch die Stadt zu ziehen und sich überall dort aufzuhalten, wo eine größere Menschenmenge und damit eine gewisse Nachfrage nach öffentlichen Abtritten zu erwarten war. Gegen Bezahlung hüllten sie ihre Kundschaft unter ihren Mantel, die sich, ohne gesehen zu werden, erleichtern konnte. Eine weitere Kuriosität – nicht nur mit heutigen Augen betrachtet – war eine 1863 vom Wiener Gemeinderat einberufene Kommission, die Standorte für neue Pissoirs festlegen sollte. Schon zu damaligen Zeiten wurde sie von der Bevölkerung scherzhaft »Pissoir-Kommission« genannt. Weitgehend unbekannt war bis jetzt auch die Geschichte der Firma Wilhelm Beetz, die in Wien nicht nur eine Monopolstellung in der Errichtung und Betreibung von öffentlichen Bedürfnisanstalten über mehrere Jahrzehnte innehielt, sondern deren Gründer auch das revolutionäre Öl-System für Pissoirs entwickelt hatte. Ein enormer hygienischer Fortschritt bestand darin, dass Beetz statt Wasser eine speziell von ihm entwickelte Mineralölkomposition, »Urinol« genannt, verwendete. Mit diesem gestankmindernden und desinfizierenden Mittel gewann Beetz zahlreiche internationale Auszeichnungen und Preise, er erhielt u.a. den Preis der Pariser Weltausstellung 1900. Der große Erfolg der Firma Beetz führte dazu, dass Wien im Jahre 1918 bereits vier unterirdische und 91 oberirdische Bedürfnisanstalten sowie 135 Pissoirs aufwies. »Mit einer derart großen Dichte an öffentlichen Toiletteanlagen war Wien innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten zum Vorbild für viele Metropolen Europas geworden.« Bei seinen Recherchen stieß Peter Payer auch auf Wetti Himmlisch. Im Jahre 1906 erschienen in Leipzig ihre persönlichen Erinnerungen »Leben, Meinungen und Wirken der Witwe Wetti Himmlisch, die ihre Laufbahn als Malermodell angefangen, geheiratet hat, langjährige Toilettefrau gewesen ist, und jetzt von ihren Zinsen zehrt«. Obwohl angenommen wird, dass das Buch unter einem Pseudonym veröffentlicht wurde und über weite Strecken eine fiktive Erzählung ist, lassen sich daraus doch wertvolle Rückschlüsse auf die Stellung der Wartefrauen in der Gesellschaft sowie die Selbsteinschätzung dieser Berufsgruppe im Wien der Jahrhundertwende ziehen. Und wie kann die Zukunft der Notdurftverrichtung aussehen ? Peter Payer stellt dabei zwei Trends fest. Einerseits den »Zurück zur Natur«-Trend, der sich im Wunsch nach Humustoiletten oder sogar in insgeheimen Bedürfnissen nach einer Notdurftverrichtung abseits aller sozialen Kontrollen, eben die unbeschwerte Notdurftverrichtung in freier Natur, ausdrückt . Andererseits, und das scheint doch der wahrscheinlichere Weg zu sein, könnte eine völlige Vertechnisierung der Notdurftverrichtung eintreten. In hoch technisierten Ländern wie z.B. Japan sind »Hightech-WCs« mit Warmwasserduschen, Föhn, Absaugeinrichtungen, Lautsprechern, die auf Knopfdruck beinahe lebensecht rauschen und gurgeln, um unangenehme Geräusche zu übertönen, und Werbeflächen ausgestattet.

Peter Payer
Unentbehrliche Requisiten der Großstadt. Eine Kulturgeschichte der öffentlichen Bedürfnisanstalten von Wien
Löcker Verlag Wien 2000
248 S. ATS 405.-


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