» Texte / Von der Manifestation der Geschlechterverhältnisse im Raum

Costance Weiser


Langsam beginnt auch in der hiesigen Architekturausbildung eine Auseinandersetzung mit den gender studies – mitsamt den Fragen nach der sozialen Auswirkung geschlechtsspezifischer Codierung und Programmierung von Räumen. Building gender nennt sich die im Wintersemester 1999 an der Technischen Universität Wien von Dörte Kuhlmann und Kari Jormakka initiierte Vorlesungsreihe des Instituts für Architekturtheorie, zu der bei der Edition Selene mittlerweile zwei Bände herausgegeben wurden. Der gleichnamige erste Band building gender, Architektur und Geschlecht spannt zwar den Bogen weit, doch die meisten Beiträge bleiben bei eher bekannten, historischen Zuordnungen geschlechtsspezifischer Stereotypen: vom Ausschluss der Frau vom öffentlichen Raum seit der Antike (Kuhlmann) über die Reglementierung des Verhaltens in den Renaissanceklöstern (Plakolm-Forthuber) bis zur Zuordnung spezifischer Interieurs (Rossberg) und der Hausarbeit in der Küche (Blimlinger). Auch die weitere Auswahl der Beiträge über Frauenpavillons auf den Weltausstellungen (Marquet), ein Interview mit Daniela Hammer-Tugendhat über Mies´sche Wohnkonzepte und ein Gespräch mit Francoise-Hélène Jourda, der einzigen Architekturprofessorin der TU, erscheint eher zusammenhanglos und fraglich, da gerade Vortragende, die versuchten, aktuellere Bezüge zu geschlechtsspezifischer Planung herzustellen, nicht zu finden sind.
Mit dem zweiten Band building power gelingt um den Themenkreis Architektur, Macht und Gender eine spannende Verdichtung bei der Analyse von Stadt bzw. Wohnraum als kultureller Konfiguration sozialer Beziehungen und Materialisierung der Gesellschafts- und Geschlechterordnung. Kaleidoskopartig umkreisen die einzelnen Beiträge viele der momentan diskutierten Themen – oft im sozialgeschichtlichen Rekurs: Das Phänomen shopping mitsamt den Konsum- und Unterhaltungsarchitekturen bis zu den Urban Entertainment Centers, ausgehend von den Arkaden, Passagen und Kaufhäusern als der „Ur-Landschaft der Konsumption” (Baldauf und Boyer beziehen sich in ihren Beiträgen in weiten Teilen auf Walter Benjamins Passagen-Werk), deren geschützte Teilöffentlichkeit auch den Damen der Bourgeoisie eine sozial akzeptierte Freizeitbeschäftigung gestattete. Denn während die bürgerliche Doppelmoral Männern in der Anonymität der Großstadt sexuelle Erfahrungen zugestand, tabuisierten die gesellschaftlichen Regeln zur sittlichen Verwahrung der Frau den öffentlichen Raum als für diese zu gefährlich: mit dem Moment der Verführung, des Begehrens, und den Prostituierten als „Teil des Warenangebots der Straße” – „Verkäuferin und Verkaufte in einem” ( Baldauf, S. 24), die dem Flaneur des 19. Jahrhunderts im Labyrinth der Stadt entgegentraten.
Am Beispiel des Wohnbauprogramms des roten Wien beschreibt Michael Zinganel die Domestizierung der Arbeiterklasse im „Superblock“ – mit Wohnfolge-, Wohlfahrts- und Bildungseinrichtungen (z. B. Karl-Marx-Hof), aber auch eine Tradition der sozialen Kontrolle: starres Reglement, Hausmeister und überschaubare Einheiten im Verantwortungsbereich der jeweiligen Nachbarschaft mit dem für alle einsehbaren, halb öffentlichen Raum der Gemeinschaftshöfe. Vor allem die passiven Überwachungsmöglichkeiten und räumlichen Strategien zur Kriminalitätsprävention und Angstvermeidung wurden ausgehend von den USA ab den sechziger Jahren zunehmend thematisiert und schließlich auch in Europa von einem Komitee zur Vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung durch Stadt und Gebäudeplanung ähnlich den Wiener Richtlinien für eine sichere Stadt systematisiert (Tillner, Kail). Dabei werden bauliche Maßnahmen und Kriterien wie Übersichtlichkeit und klare Wegführung ohne dunkle Nischen, gute Ausleuchtung und Transparenz, aber auch die Belebung der Erdgeschosszone und eine funktionelle Aufwertung der Gegend vorgeschlagen.

EinwandererInnen erfahren ein „Moment der Entortung“ (Gutiérrez Rodríguez), da sie an keinem Ort mehr wirklich zu Hause sind und im Aufnahmeland meist über keinerlei öffentliche Gestaltungsmöglichkeiten verfügen, sondern durch eine beengte Wohnsituation oft nicht einmal die Rückzugsmöglichkeit in die Privatheit haben. Sexuelle Minderheiten verkehren das Verhältnis privater und öffentlicher Räume und unterwandern die dominante heterosexuelle Struktur der Stadt. Jede Planung und versuchte Steuerung provoziert auch deren Verweigerung, Überschreitung und Infragestellung, denn Bedeutungszuschreibungen sind nicht statisch, sondern verändern sich durch die jeweilige Nutzung und Codierung, die teilweise nur für InsiderInnen lesbar sind (Ernst). Doch nicht nur entlang der gesellschaftlich konstituierten Grenzlinie von öffentlichem und privatem Raum gab es zwischen den Geschlechtern und Klassen immer wieder mehr oder weniger subtile Kämpfe um den Zugang und die Gestaltungsmöglichkeiten, auch im Bereich des Wohnens lassen sich über die Jahrhunderte langsame Verschiebungen der Machtverhältnisse nachvollziehen (Weresch). Wobei gerade die Frauenbewegung unter dem Motto „das Private ist politisch“ (Helke Sander 1968) mit ihren Forderungen nach exklusiven Frauenräumen, nach frauengerechtem und alltagstauglichem Wohnen für alle Lebensphasen und Lebensformen, einer Enthierarchisierung der Wohnung sowie für eine Stadt der kurzen Wege und gegen Sektoralisierung und Funktionsentmischung eine Bewusstseinsveränderung eingeleitet hat. Auch wenn die von Sonja Hnilica interviewten Feministinnen eine gewisse Entpolitisierung beklagen und Feminismus momentan beinahe altmodisch geworden ist, sind doch viele dieser Forderungen ins – nicht unumstrittene – Gender Mainstreaming eingegangen und verbindliche Kriterien bei der heutigen Planung.


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