Manfred Russo

Manfred Russo ist Kultursoziologe und Stadtforscher in Wien.


Draufsetzen – 19 Dachausbauten lautete der programmatische Titel einer Ausstellung in der Gebietsbetreuung Ottakring in Wien. Der Titel Draufsetzen hat allerdings eine vielleicht beabsichtigte, wenngleich in ihren Auswirkungen nicht völlig absehbare Doppelbedeutung. Es kann die Betonung auf die Handlung des darauf–Setzens gelegt werden, es kann aber auch das Sich- Draufsetzen meinen. Beide Aspekte sind zutreffend, wenngleich in ihren Auswirkungen sehr unterschiedlich. Dem kreativen Akt der ArchitektInnen, die etwas auf das Haus setzen, kann man noch einiges abgewinnen. Denjenigen aber, der sich auf das Haus setzt, wird man eher als jemanden erleben, der sich auf einen Körper setzt und damit das Haus besetzt. Die Sprache ist hier unbestechlich, indem sie die Doppelbedeutung des Sachverhaltes andeutet.
Wie der Titel schon ausdrückt, handelt es sich um eine kleine Ausstellung von 19 teilweise schon realisierten, teilweise erst projektierten Projekten eines Dachausbaues, um laut Einladungstext »Perspektiven für die künftige Entwicklung der Wiener Dachlandschaft« zu eröffnen und »den Diskurs über die Veränderung des Stadtbildes, den Umgang mit historischer Substanz und die Manifestation der Zeit zu entfachen und zu begleiten«. Nun ist es eher fraglich, ob diese kleine, aber gut frequentierte Ausstellung in der Gebietsbetreuung tatsächlich die Eröffnung eines Diskurses leisten kann. Denn außer 19 Bildern und einer Kurzbeschreibung der Projekte in wenigen Zeilen ist nichts zu erfahren und so erlangt die Sache eher den Charakter einer Verkaufsausstellung.
Denn im Hintergrund steht die stadtpolitische Entscheidung einer großflächigen Erhöhung des Bauvolumens. In Wien sind innerhalb der Bezirke drei bis neun noch ca. 80% (ca. 8250 Häuser) der Gründerzeitgebäude ohne Dachbodenausbau und im Gründerzeitbestand des 2. und 10. bis 23 Bezirkes 90% (ca. 22.800 Häuser) noch unverbaut. Unausgesprochen bleibt das InvestorInneninteresse nach einer Maximierung des bebaubaren Dachraums. Offiziell gilt die Kampfansage den Gauben, die neuerdings als nicht »wientypisch« gelten, was in der Tat stimmt, da sie wohl von der französischen Mansarde abstammen dürften. Wenn sich dieser Argumentationsstil triftiger Gründe durchsetzt, werden wir aber bald alle Säulen abreißen müssen, die ja aus der griechischen Antike stammen und sämtliche Fassaden der Renaissance- und Barockgebäude ihrer italienischen Giebel wegen abschlagen.
Die Moderne hingegen müsste dann als österreichische Alleinerfindung gelten, was selbst bei Anerkennung aller Leistungen von Adolf Loos etwas abenteuerlich klingt. Die Gaube steht vielmehr für die Widerspenstigkeit des Daches, das in seiner Ausdehnungskapazität begrenzt ist. Es besteht natürlich auch keinerlei Zweifel darüber, dass auch in den letzten Jahren in der Anbringung von Gauben Unschönes vollbracht wurde, aber das beruht auch auf der Kombination von ungezügeltem Expansionswillen, Renditeerwartung und überforderter Planung. Daher versteckt man sich jetzt auf einmal hinter der modernen Architektur, in der man mit Recht den natürlichen Gaubenkiller erhofft. Jetzt soll plötzlich künstlerische Gestaltung die enorme, tendenziell wildwüchsige Dachflächenerweiterung rechtfertigen. Nun, wenn das möglich wäre. Zurück zur Ausstellung:
Die Auswahl der Objekte galt wie gesagt, ausschließlich Projekten, die keine Gauben verwendeten und der Anspruch lag wohl in der Vorstellung einer neuen Typologie des Dachaufbaues, die in vier Gruppen geteilt wurde. Die Bandbreite der Typen reicht vom Typ 1, dem 45°Dachtyp, der die Dachfläche im Wesentlichen erhält, nur neue Formen von Zubauten für die Belichtung erfindet, über den Typ 2, den Schachteltyp, der den kubischen Dachausbau in der Form von aufgesetzten Boxen vorsieht, weiters Typ 3, Dachaufbauten mit steileren Außenflächen als 45° und letztlich den unbeschreiblich amorphen Typ, der aufgrund seiner vielflächigen Dachhaut keiner klassischen geometrischen Figur entspricht (Typ 4). Nun lässt sich gegen die vorgestellten Objekte bei einer singulären Würdigung wenig einwenden. Vor allem jene des Typus 1, die sich durch eher behutsame und subtile Eingriffe auszeichnen, weisen eine prinzipiell zu verallgemeinernde Qualität auf, auch einzelne Figuren wie etwa die des Schmetterlings in der Judengasse haben Charme. Schwieriger wird die Sache bei jenen Projekten, deren Hauptmerkmal in ihrem riesigen Volumen besteht, das in unterschiedlicher Weise kaschiert wird, bzw. durch mächtige Dinger unterschiedlicher Morphologie stolz auch noch zum Ausdruck gebracht wird. Diese riesigen Dachdinger sind schon insoferne problematisch als sie das Volumen des Hauses um viele hundert Quadratmeter erweitern und eher einer riesigen Aufstockung entsprechen, die sich als Dachausbau ausgibt.
Aber auch diese hier vorgestellten Projekte hätten, wären sie einzelne Erscheinungen, durchaus einen Anspruch auf Realisierung. Das Problem beginnt aber genau dann, wenn derartige Vorschläge plötzlich Mainstream werden und weniger begabte PlanerInnen sich ihrer bemächtigen. Dank der CAD-Systeme werden dann die InvestorInnen plötzlich auf hunderte Häuser riesige amorphe Figuren setzen oder enorme Riegel quer über das Haus legen. Dazu würde sich dann noch auf jedes zweite Haus das beliebte Raumschiff der Modernisierungsgewinner mit drei Stockwerken draufsetzen. Von dort aus würden die Yuppies dann E.T.-gleich in die in Garagen umgebaute Erdgeschoßzonen herabschweben und mit ihren BMWs und Audis wegbrausen. Baudrillard hat in Zusammenhang mit dem Centre Pompidou einmal von der ekstatischen Satellitisierung der Großstadt gesprochen. Damals meinte er, dass die Stadt nicht mehr bebaut oder rhythmisch strukturiert wird, sondern von obskuren Objekten, die gelandeten Raumkapseln entsprechen, besetzt werden. Dieser Fall könnte in den nächsten Jahren tatsächlich eintreten.

Draufsetzen - 19 Dachausbauten
Gebietsbetreuung Ottakring, Wien
14.10. - 18.12.2003


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