Was ist »Politik« im politischen Antirassismus
Ich verstehe unter Politik jene Form des Denkens, die nicht primär danach fragt, was gleich und ungleich ist, die nicht die Frage nach den Gründen von Gleichheit und Ungleichheit stellt, sondern danach fragt, was uns (als politische Subjekte) den Zugang zur Gleichheit ermöglicht; jene Form des Denkens, die Bedingungen und Grenzen des Zugangs der politischen Subjekte zur Gleichheit zu bestimmen versucht.
Es ist jene Suche, Praxis und Erfahrung, durch die das Subjekt an der Gemeinschaft die notwendigen Veränderungen vollzieht, um Zugang zur Gleichheit zu erlangen. Dieses Ensemble von Suchverfahren, Praktiken und Erfahrungen stellt den Preis dar, den das politische Subjekt für den Zugang zur Gleichheit zu zahlen hat.
Politik setzt voraus, dass die Gleichheit dem politischen Subjekt nie selbstverständlich gegeben ist und wird. Sie setzt weiters voraus, dass das politische Subjekt als solches nie berechtigt ist, einen Zugang zur Gleichheit zu haben. Und sie setzt voraus, dass die Gleichheit nicht durch eine einfache Angleichung der Interessen erreicht wird, die durch die Umverteilung der Güter oder Meinungen zu erreichen ist. Politik setzt voraus, dass sich das Subjekt verändert, wandelt und in gewissem Maße und bis zu einem gewissen Punkt ein anderes wird, um in unseren Gesellschaften ein Anrecht auf Anerkennung als vernünftiges Wesen zu erkämpfen (aber auch zu erhalten).
Die Gleichheit blitzt nur in solchen Momente auf, in denen die Subjekte zu politischen Subjekten werden und statt Konsens Dissens aufzurufen fähig sind. Das ist, glaube ich, die einfachste und grundlegendste Ebene, auf der wir von Politik reden können.
Daraus folgt, dass es keine Gleichheit ohne eine Verwandlung des Subjektes geben kann. Die Umwandlung des Subjektes in ein politisches vollzieht sich in unterschiedlichen Formen. Diese Umwandlung muss die Form einer Bewegung annehmen, die das Subjekt aus seinem aktuellen Status und seinen aktuellen Bedingungen herauslöst. Diese Bewegung kann zwei Formen annehmen: Entweder Bewegung des Subjektes selbst, eine aktive Schaltung im politischen Kampf, gewissermaßen eine Hervorbringung des politischen Kampfes, oder die Bewegung, durch die das Prinzip der Gleichheit zum Subjekt kommt und es dazu herausfordert, politisch zu werden – entweder Aktivität oder Aktivierung.
Die wichtigste Voraussetzung dieser Formen scheint eine Art Arbeit zu sein, eine Arbeit an der eigenen Stellung als Individuum und als Gruppe innerhalb der Gemeinschaft. Durch die Permanenz dieser Tätigkeit formt sich, handelt und löst sich auf, was politisches Subjekt genannt wird.
Als letzte Voraussetzung der Politik möchte ich noch erwähnen, dass der Zugang zur Gleichheit – sobald die Normalität der Indifferenz, diese Kruste am Kessel der Macht, zerkratzt wurde – eigene Wirkungen hervorbringt. Diese Wirkungen stellen sich als Folge des zurückgelegten Weges ein, aber sie sind auch etwas mehr als das, sie sind in gewisser Weise eine Neudefinierung von Teilnahme an der Gleichheit, Teilnahme des eines neuen politischen Subjekts an der – vielen anderen schon zugänglichen – Struktur der Verwaltung (die wieder andere politische Subjekte hervorbringt, die den gleichen Weg gehen, nur halt ein wenig anders, ihrer soziopolitischen Situation angepasst).
Für den politischen Antirassismus ist die Gleichheit nicht einfach das, was dem politischen Subjekt gegeben wird, um es für seinen Weg der Emanzipation zu bekehren. Die Gleichheit, das Streben danach verwandelt sich in wundersamer Weise bei ihrer Erreichung in eine Verwaltung der An-Teile und auch in ein Unverständnis der anderen möglichen und wirklichen Rationalitäten der Anteillosen. Sie verflüchtigt sich. Kurz: Im Prinzip der Gleichheit als Leitfaden für politischen Antirassismus liegt etwas, das die Vollendung des politischen Subjektes vollbringt, indem neue Anteillose ihre Ansprüche auf die Anteile der Gemeinschaft anmelden und erkämpfen. Es gibt aber niemanden, der/die die Vollendung der Geschichte erblicken kann. Dabei ist die Frage, wie ich zur Gleichheit komme, eng verflochten mit derjenigen meiner eigenen Transformation als Subjekt. Es gibt kein Äußeres ohne ein Inneres, und umgekehrt können wir das auch behaupten. Die Frage ist nur, was uns den Zugang zur Gleichheit erschwert oder erleichtert. Hier sind wir an dem Punkt angekommen, wo wir von Instrumenten des politischen Antirassismus reden können. Alle diese Instrumente betreffen nicht nur das Individuum in seiner konkreten Existenz, sondern auch die Struktur des Subjektes als solches. Das (Self-)Empowerment ist so eine Technik genau so wie Konfliktinszenierungen oder Normalität begreifen. Wir reden hier von einer Art des Tuns, die sich bis an die Grenzen des Subjekts ausdehnt und Politik aufruft, Politik als Dissens in einer Welt des Konsenses, der Meinung und der Telenovela.
Ljubomir Bratić lebt als Philosoph, Sozialwissenschaftler, Publizist, Aktivist und Flüchtlingsbetreuer in Wien.