Margit Schild


Seit fast einer Dekade ist das Temporäre – beispielsweise als temporäre Nutzung, temporärer Raum, Provisorium oder Zwischennutzung benannt – nunmehr in einem Prozess der Anwendung und Diskussion unterwegs. Denn das Befristete gilt als Ausdruck neuer Planungskultur und als Katalysator eines neuen urbanen Lebens. In diesen Jahren wurden auch Forschungen getätigt, Tagungen veranstaltet und Texte darüber geschrieben. Differenzierungen konnten ausgearbeitet, Begriffe angeboten und Bedenken geäußert werden. Kritische Stimmen verweisen unter anderem auf das Planungsvakuum, auf rechtliche Grauzonen, fehlende Anbindung an Gemeinwohlinteressen, Risiken von Verdrängungsprozessen und Unterscheidungsprobleme. Denn was sind überhaupt temporäre Räume oder temporäre Nutzungen?

Der Begriff fasst generell eine Vielzahl unterschiedlicher Projekte und Nutzungsformen zusammen, die sich im Hinblick auf die räumliche Verortung, den Zeithorizont, Inhalte und Größe (temporäre Großveranstaltungen, temporäre Installationen in Baulücken), sowie bezogen auf die Ziele und Motivstrukturen der Akteurinnen und Akteure sehr voneinander unterscheiden. Das Wort hält sich in der Praxis trotzdem hartnäckig. Und was soll auch die Debatte, der Versuch der Genauigkeit, diese Begriffsklauberei? Der Begriff ist vor allem vage genug, um einer Großzahl an Themen und Projekten ein Label bereitzustellen, sie „unter einen Hut“ zu bekommen. Interventionen aus dem Kunstkontext, mobile Bauten aus Architektur und temporäre Gärten der Landschaftsarchitekten sind alle gleichermaßen beteiligt, zusammen mit den temporären Bauten der KünstlerInnen, den Gärten der ArchitektInnen und den Interventionen der LandschaftsarchitektInnen. So finden sich auch in der Beispielsammlung, die das von Florian Haydn und Robert Temel herausgegebene Buch Temporäre Räume. Konzepte zur Stadtnutzung bereithält, Spaziergangsforschungen neben Schlafcontainern für obdachlose Jugendliche und Straßentheater neben Ausstellungsarchitekturen; oder mobile Projektbüros gesellen sich zu den Hinweisen zur Hausbesetzerszene. In Zeitspannen formuliert: Die kurze Performance trifft auf ein für Jahre ausgerichtetes Projekt. Ergo: Temporäre Nutzungen gibt es wie Sand am Meer. Das Problem ist demnach nicht, Beispiele nach den Kriterien der Vielgestaltigkeit und Unterschiedlichkeit zusammenzustellen, wie im vorliegenden Buch, sondern die Konsistenz herauszuarbeiten. Mittlerweile kommt deshalb der Verdacht auf, dass das Temporäre nicht festzulegen ist; es will dies gar nicht, sträubt sich. Zu unterschiedlich sind die darunter fallenden Themen, zu bunt die Akteurinnen und Akteure, in ständiger Bewegung die hiermit erzeugten Bilder und Ansichten.

Die Autorinnen und Autoren des Buches bremsen deshalb kräftig aus. Christa Kamleithner und Rudolf Kohoutek beispielsweise verweisen in ihrem Text, um mal einen der zehn Essays herauszugreifen, auf einen wichtigen Aspekt: Es ist die Ambivalenz temporärer Nutzungen, die die Einordnung, die Genauigkeit erschwert, denn sie reihen sich in den Reigen des Kurzfristigen ein, in etwas, das ohnehin vor sich geht. Deregulierung und Flexibilisierung bewirken bereits eine Zunahme temporärer Raumnutzungen, die unter anderem durch neue Befristungen im Mietrecht erzeugt werden. Oder die zeitlich gestaffelte Nutzung öffentlicher Räume für Events, die in zunehmender Zahl auftreten; von den vielen prekären Arbeitsverhältnissen mal ganz zu schweigen. Zudem war und ist das Auftreten temporärer Nutzungsformen auch an Mangel und Not gekoppelt. Die Umkehrung in eine positive Deutung als Planungsmethodik ist zum einen nicht selbstverständlich und zum anderen muss sie sich dem Verdacht stellen, vom „Bohème-Bonus“ zu zehren, vom Touch des Subkulturellen. Auch Klaus Ronneberger entzieht dem Thema das Nebulöse, stellt es auf die Füße, indem er es zuerst einmal historisch verortet. Der „temporäre Raum“ war schon bei den Situationisten in den späten 1950er Jahren angesagt, die in ihren spielerischen, eben „temporären“ Aktionen den grundlegenden Bezug von bebauter Umwelt zum gesellschaftlichen Kontext im Auge behielten. Deutlich wird in den Texten eben auch, dass ein Zusammenhang zwischen Sozialabbau, Verarmung und der Instrumentalisierung selbsttragender Strukturen, der Aktivierung zur Selbsthilfe – und sei es in Form temporärer Nutzungen – besteht. Und damit tritt ein – vielleicht im Kontext dieses Buches – ungern gesehener Nachbar auf den Plan: der Neoliberalismus.

Die Ambivalenz scheint unauflösbar. Diese Debatte tritt zudem vor der Ansammlung an Beispielen zurück, die suggerieren: Grau ist alle Theorie. Weil man sich an deren Anschaulichkeit und Unmittelbarkeit sofort verliert. In ihnen ist reale Anteilnahme zu sehen oder sofortige Problembekämpfung. Die Akteurinnen und Akteure machen Widersprüche sichtbar und stellen sich quer zu ökonomischen und politischen Strukturen, oder sie nutzen diese, um zu der schnellen Darbietung einer unbürokratischen Lösung zu kommen.

Ein Fazit zum Buch, zum Thema, zur Vielfalt, sei trotzdem versucht: In der räumlichen Entwicklung existieren viele dringliche Themen, die bearbeitet werden müssen. Diese gilt es mit den Mitteln der Kunst, der Landschaftsarchitektur, der Architektur oder mit Mischungen aus alldem anzugehen. Weil sich gesellschaftliche Regeln am ehesten zeitlich und örtlich begrenzt außer Kraft setzen lassen, hilft dann durchaus etwas Temporäres. Und hier ist er wieder, der Begriff.


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