Wem gehört die Stadt?
Besprechung von »Wem gehört die Stadt? Wien – Kunst im öffentlichen Raum seit 1968« herausgegeben von KÖR und Kunsthalle WienZugegebenermaßen schickt es sich wenig, eine Rezension mit dem Titel des zu besprechenden Buches zu überschreiben. Allein, wenn ein Band mit der Frage „Wem gehört die Stadt?“ aufmacht, ist das nicht nur über die Maßen ambitioniert, sondern verbreitet geradezu ansteckenden Eifer. Wem sie allerdings gehört, die Stadt, und zwar im Konkreten Wien, kann freilich auch durch die Lektüre des Bandes nicht abschließend geklärt werden. Seriöserweise dürfte die endgültige Beantwortung der Frage von den beteiligten AutorInnen und HerausgeberInnen auch nicht intendiert worden sein. Ist es doch schon Signal genug, dass man die Frage überhaupt in derart klarer Manier aufwirft. Eine Art von Grundkonsens scheint freilich bereits angesichts der engeren Thematik vorgegeben zu sein: Die Stadt gehört jenen, die sie als offenen Raum anzulegen und davon ausgehend mitzugestalten bereit sind, und zwar nicht zuletzt vermittels einer für den öffentlichen Stadtraum angeregten und angelegten Kunstproduktion. Um das Fortbestehen eines einsatzfähigen, „politischen“ Stadtraumes zu gewährleisten, bedarf es gekonnter „Kunst“-Griffe, die helfen, das vielgestaltige Bezugsnetz zwischen den StadtnutzerInnen erfahrbar zu machen.
Nach fünf Jahren ihres Bestehens leistet sich also die Kunst im öffentlichen Raum Wien GmbH, 2004 als Fonds Kunst im öffentlichen Raum initiiert und mittlerweile eine Tochtergesellschaft der Kunsthalle Wien (darob unter den Fittichen von Gerald Matt), einen wohlfeilen Dokumentationsband über vier Jahrzehnte Kunst im Wiener öffentlichen Raum. Das Ansinnen ist somit ganz offensichtlich nicht jenes, bloß „die eigenen“ Werke aufzuarbeiten und vorzustellen, sondern hier wird – der Untertitel Kunst im öffentlichen Raum seit 1968 deutet es an – in durchaus großzügiger Weise die Public Art-Präsenz seit dem, sozusagen als „Public Turn“ identifizierten, Jahr der Studentenunruhen aufgearbeitet. Und zwar in Wort und Bild, wobei Thomas Edlinger für einen profund recherchierten, umfassenden Essay verantwortlich zeichnet, der sich als des Buches Haupttext um eine theoretisierende Historiografie bemüht. Ausgehend von „dynamischen“ Interventionen im öffentlichen Raum Wiens, verantwortet von aktionistischen Granden im Sinne einer vom Autor konstatierten „Wiener Ungemütlichkeit“, wird ein weiter Bogen gespannt, der das Wiener Geschehen im Kontext internationaler Tendenzen verortet und analysiert: So geht auch der Public Art-Boom Mitte der neunziger Jahre an Wien nicht spurlos vorüber und sorgt hier wie anderswo für die „Durchsetzung der Kunst im öffentlichen Raum als Spielart zeitgenössischer Kunst“ (die Gründung des Fonds Kunst im öffentlichen Raum Wien dürfte als Tribut an diese Tendenz zu verstehen sein).
Ein auf Textebene von Thomas Edlinger bewusst offen gestaltetes Kapitel über „Installationen im Außenraum von Kunstinstitutionen“ lässt, im Sinne der Anbindung des White Cube an den deutlich schwieriger lenkbaren Außenraum, unweigerlich (das illustrierend beigestellte Bildmaterial bekräftigt diese Assoziation) an die von der Kunsthalle Wien vor ihrer Karlsplatz-Dépendance eingerichtete Public Art-Wiese denken. Dort werden im Rahmen der „public space Karlsplatz“-Initiative temporäre Arbeiten hochkarätiger KünstlerInnen angesiedelt. Das Ende der Drop-Sculpture-Ära scheint noch nicht besiegelt zu sein – da aber Kunst im öffentlichen Raum „sich in Wien ebenso wenig wie anderswo an theoretische Reinheitsgebote“ hält, kann von LeserInnen- bzw. StadtnutzerInnenseite über dieses erstaunlich rezente Beispiel für eine eher undynamische Trophäensammlung geflissentlich hinweggesehen werden. Summa summarum bleibt am Ende folgendes Wort zu bedenken, das Edlinger eindrücklich formuliert: „Kunst im öffentlichen Raum strebt als Prozess Verhaltensauffälligkeit, als Objekt Sichtbarkeit und als Kommunikator Öffentlichkeit an.“ Wenigstens, möchte man hinzufügen, in einer idealen Versuchsanordnung.
Was die Bild- und Projektbeschreibungsebene in Wem gehört die Stadt? betrifft (die „Projektsammlung“ wurde von Anja Lungstraß betreut), so ist es natürlich nicht möglich, auf 270 Seiten alle von KÖR Wien bislang ausgeforschten 1.200 Kunstprojekte zu dokumentieren. Eine interessante Zusatzoption ist hier zweifellos die Fortführung der Buchpublikation durch eine auf der KÖR Wien-Website eingerichtete Datenbank, in die weitere temporäre oder permanente Arbeiten eingetragen werden können – die also dank des Zutuns aller StadtnutzerInnen und/oder LeserInnen zu einem möglichst lückenlosen Projektverzeichnis anwachsen könnte (vgl. <www.koer.or.at/index>). Es ist übrigens aufschlussreich, auch hinsichtlich der eigenen Stadterlebnisroutine, auf welche permanenten Arbeiten man durch die Buchdokumentation erst wirklich aufmerksam wird bzw., später, neu zugeht: So lassen sich etwa der Ferryman von Tony Cragg in der Fußgängerzone Tuchlauben ebenso wie die Gerngroßsäule oder die Vier Lemurenköpfe von Franz West im regulären städtischen Treiben trotz (oder wegen) ihrer skulpturalen Mächtigkeit leicht übersehen. Somit dürfte ein im Geleitwort explizit von den KÖR-GeschäftsführerInnen Bettina Leidl und Gerald Matt vorgebrachter Wunsch in Erfüllung gehen, die den Band auch verstanden haben möchten als „ein(en) ‚Appetizer‘, der Touristen und Stadtbenutzer dazu verführen möge, auch das eine oder andere Kunstwerk im öffentlichen Raum zum Objekt ihrer urbanen Neugier zu machen“. Ebenso wie andere Kulturprodukte funktioniert auch die Public Art eben keineswegs unabhängig von Stadtmarketingstrategien und Prämissen der Erlebnisgesellschaft.
Daniel Kalt lebt als Kulturwissenschaftler, freiberuflicher Journalist und Übersetzer in Paris.