Wider den Purismus
Besprechung von »CONSTANT. Space + Colour. From Cobra to New Babylon« herausgegeben von Ludo van Halem, Trudy Nieuwenhuys-van der HorstDie Publikation CONSTANT. Space + Colour. From Cobra to New Babylon entstand im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung, die 2016 im Cobra Museum für Moderne Kunst in Amstelveen nahe Amsterdam gezeigt wurde. Diese widmete sich dem bisher kaum gezeigten Frühwerk der 1950er Jahre des niederländischen Malers, Bildhauers und Essayisten Constant Nieuwenhuys (1920—2005). Heute ist* Constan*t insbesondere als Schöpfer der alternativen Stadtvision New Babylon (1959-74) bekannt. Constant war zudem Mitglied verschiedener Kollektive. So war er auch Mitbegründer der Künstlergruppe CoBrA (1948—1951) und von 1958—1960 Mitglied der Situationistischen Internationale.
Die Arbeiten der 1950er Jahre sind aus heutiger Sicht insofern interessant, da diese eine Übergangsphase zwischen zweidimensionaler Malerei und dreidimensionaler Architekturvision markieren. Neue Zusammenhänge werden so sichtbar.Schon bei den frühen Gemälden aus der CoBrA Zeit wird eine Prägung durch die Kriegserfahrung deutlich, die ja nur wenige Jahre zurückliegt. Nicht nur bei der Serie La guerre, die expressionistisch verfremdete Kriegsszenarien enthält, auch bei anderen Sujets, die meist von Fantasiefiguren, von anthropomorphisierten Tieren bzw. animalisierten Menschen dominiert sind, scheint der martialische Horror noch greifbar zu sein.
Mitte der 1950er Jahre folgte dann die Abkehr von der primitivistischen Figuration, die für die CoBrAKünstler und -Künstlerinnen typisch war, und die — auf den ersten Blick etwas überraschende — Zuwendung zur Abstraktion und zur geradezu asketischen Thematisierung von Farbe, Fläche und Raum. In manchen Gemälden kommt es sogar zu einer vordergründigen Annäherung an die strengen Geometrien der De Stijl-Bewegung. Das ist insofern bemerkenswert, als es gerade der Purismus eines Mondrian war, von dem sich die CoBrA-Künstler — und Künstlerinnen gerade noch besonders lautstark distanziert hatten. Im Katalog wird ein Zitat von Constant (in englischer Übersetzung) angeführt, das die Kritik des Informel an der geordneten Welt der Stilisten bespielhaft wiedergibt: »We must soil the virginal purity of Mondrian, be it merely with our misery. Is misery not preferable to death, at least for those who are strong enough to fight.«
Constant sollte später in einem Interview darauf bestehen, dass auch seine abstrakt anmutenden Arbeiten dieser Jahre bereits auf reale Möglichkeitsräume bezogen waren. So entstanden Mitte der 1950er Jahre die ersten dreidimensionalen Arbeiten aus Metall, Draht und Acrylglas. Letzteres war ein Material, das Constant für sich entdeckt hatte; das er bohrte, sägte, erhitzte und verformte und auf vielfältige Weise einsetzte. Es war nun bald nicht mehr von Kompositionen die Rede, sondern von Konstruktionen. Darin lag wohl auch schon ein Hinweis auf eine durchaus gewollte Verwandtschaft mit dem russischen Konstruktivismus. Waren die ersten dieser Konstruktionen noch von der Raumfahrt inspiriert und trugen Namen wie Observatorium oder Planetarium, entstanden bald die ersten Modelle einer alternativen Stadtvision, die jenseits eines reinen Ästhetizismus angesiedelt waren und auf eine neue Gesellschaft abzielten. New Babylon war der Entwurf einer offenen, labyrinthischen Raumstruktur für moderne, der Arbeitswelt entflohene Stadtnomaden, abgeleitet aus der Kritik an den funktionalistischen Zumutungen der Nachkriegsmoderne in Architektur und Städtebau. Hierin lag dann auch der Berührungspunkt mit der Situationistischen Internationale und der kurzen wie intensiven Kollaboration, die zwischen 1958 und 1960 stattfinden sollte.
Der Überblick über die prägenden Werke der 1950er Jahre erlaubt aber zusätzlich die Spekulation, dass zwischen Alptraum (Krieg) — repräsentiert durch die Gemälde der CoBrA-Zeit — und dem Zukunftsentwurf New Babylons eine bisher noch wenig beachtete dialektische Beziehung zu existieren scheint: In den Labyrinthen der neuen Stadt schimmern auch die Ruinenlandschaften der zerstörten Städte durch.
Stimmt diese Deutung, so wäre das nur ein weiteres Zeugnis dafür, dass es Constant immer um konkrete Erfahrung ging — im Rückblick wie in der Projektion. Darin unterscheidet sich der Stadtentwurf New Babylons auch von den Utopien seiner Zeitgenossen. Constant wollte nie als Vertreter einer schönen, aber blutleeren Utopie verstanden werden. Als evident wurde, dass New Babylon auf Basis der damaligen Verhältnisse nicht realisierbar, sondern dazu verdammt war, Utopie zu bleiben, stellte er Anfang der 1970er Jahre konsequenter Weise seine Arbeit an der alternativen Stadtvision ein. Da wandte er sich lieber wieder der Malerei zu.
Ein eher blinder Fleck in der Rezeption des Werks des Niederländers waren bisher auch eine Reihe von Rauminstallationen. Fotos einiger dieser heute verloren gegangenen Interventionen im Maßstab 1:1 sind in der Publikation zu sehen, wie z.B. Ludieke trap (spielerische Treppen) — von der Decke abgehängte, begehbare Plattformen — ein Fragment der neu erdachten Raumwelt. Oft entstanden die Installationen in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, wie z.B. mit dem Architekten Aldo van Eyck (1918—1999), der prägend für die strukturalistische Bewegung in der Architektur war. Diese Arbeiten erinnern noch einmal daran, dass es Constant nie um reine Anschauung, sondern im Wesentlichen um eine experimentelle Haltung und die damit einhergehende Erfahrung ging. Manche Installationen enthielten etwa auch Klänge und sogar Düfte, die auf den erhalten gebliebenen Fotografien leider keine Spuren hinterlassen haben.
Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.