» Texte / Wiederkehr der 60er. Zur Präsenz der Smithson

Christa Kamleithner


Arbeiten und Name der Smithsons tauchen in den letzten Jahren allerorts wieder auf, nicht vereinzelt und zufällig und auch nicht aus Nostalgie, sondern programmatisch: die Aufarbeitung ihrer Themen scheint notwendig wie schon lange nicht mehr. Beispielhaft dafür ist etwa die um sich greifende »Diagrammanie«, die Wiederbeschäftigung mit Darstellungsmethoden, die eine Vermittlung gesellschaftlicher und architektonischer Themen versprechen und zwar auf der Ebene räumlicher Figuren, nicht auf der einer architektonischen »Sprache«, wie die postmoderne Architektur sie favorisiert hat. Wenn sich der Impuls dazu zwar eher von architekturtheoretischen Vorlieben für die französische Philosophie ableitet (Foucault, Deleuze), ist damit auch eine Anknüpfung an die 50er und 60er verbunden (Daidalos Nr. 74, 1999). Ein weiteres Thema, für das die Arbeiten der Smithsons beispielhaft sind, ist die Beschäftigung mit dem Alltäglichen, der Abbau der Furcht, sich die Finger an banalen Formen der unmittelbaren Umgebung schmutzig zu machen und deren Aufstieg in den Rang legitimen architektonischen Vokabulars (Daidalos Nr. 75, 2000). Genau dieses Thema scheint auch die Schweizer Architekturszene zu bewegen – eine Ausstellung mit dem Titel »As found« im Frühjahr 2001 in Zürich stellte den »Brutalismus« – also die Verwendung roher, unbehandelter Materialien, wie sie die Smithsons und die Independent Group, der sie angehörten, propagierten – dem Schick der 90er gegenüber. Die etwa zeitgleich stattfindende erste Someone-Konferenz im niederländischen Eindhoven – Someone steht für Scenes of Modernity Europe und versteht sich als kritische Fortsetzung der amerikanischen ANY-Konferenzen –, hatte ebenfalls Arbeiten der Smithsons zum Thema, im Vergleich mit Arbeiten von Oswald Mathias Ungers. Was ehemals unvereinbar schien, wird nun zusammengedacht: Ungers eher als Vertreter der Postmoderne und die Smithsons eher als solche der Moderne erscheinen im Rückblick gar nicht so unähnlich – gerade die Smithsons strafen die Einführung einer klaren Trennlinie auch Lügen (ARCH+ Nr. 156, 2001). Beiden gemeinsam sind die Ablehnung eines totalen Tabula rasa - Vorgehens im Städtebau und stadtplanerische Ideen, die Inseln alter Stadtsubstanz und kleinräumigen Abbruch und Neubau miteinander verbinden (Wilfried Kühn in: Umbau 18, 2001).
Wenn die Smithsons »wiederkehren« zu scheinen, betrifft dies nur ihre Präsenz im öffentlichen Bewusstsein; sie selbst haben ihre Arbeit nie unterbrochen. Auch wenn sie sich im Laufe der Zeit gewandelt hat und die veränderten architektonischen Moden nicht spurlos an ihr vorübergegangen sind, fällt vor allem die Kontinuität ihrer Haltung auf. Eine Änderung hingegen, die feststellbar ist, betrifft die Größe ihrer Projekte: sie sind merklich kleiner geworden, es sind kaum mehr Gebäude dabei, sondern man muss eher von baulichen Eingriffen sprechen. Mit dem Verschwinden an materieller Substanz scheint aber ein Mehr an Information einherzugehen; waren die Smithsons immer schon an der gesellschaftlichen Wirksamkeit, am Informationsgehalt von Architektur interessiert, versuchen sie es nun mit homöopathischen Dosen, die – wie man weiß – umso stärker wirken, je mehr sie verdünnt werden. Dementsprechend haben sie sich auch in den letzten Jahrzehnten verstärkt mit Architekturvermittlung bzw. -lehre beschäftigt, Peter Smithson lehrt seit 1977 im Rahmen von Kursen des ILA&UD, des International Laboratory for Architecture and Urban Design, das vormals in Urbino angesiedelt war und sich jetzt in San Marino befindet und das auch Seminare an anderen Universitäten anbietet – es ist als Kooperation mehrerer italienischer Universitäten konzipiert. 1996 ist bereits ein Buch herausgekommen, das die dort entstandenen Analysen, Zeichnungen und Projekte vorstellt, und das von 1976 bis 1991 reichende Material zusammenfasst: Italienische Gedanken. Beobachtungen und Reflexionen zur Architektur. Das nun erschienene Buch ist eine Fortsetzung und stellt ebenfalls am ILA&UD entstandene wie auch jüngere Arbeiten vor.
Worum es den Smithsons in ihren Projekten geht und worum es im Grunde bei jeder architektonischen oder städtebaulichen Konzeption gehen sollte, findet sich dort – lapidar bemerkt – in einer Fußnote auf Seite 10: »Es geht darum, wie Leute zusammenkommen, wie sie sich im Raum gruppieren und worüber sie reden.« Und diesem Thema nähern sich die Smithsons ganzheitlich; es wird nicht in funktionalistischer oder typologischer Weise eindimensional und geradlinig angegangen, sondern mit allen Sinnen – nicht nur mit den Augen, sondern auch mit Geruch, Gehör und Tastsinn – und auf mehreren Ebenen – vom Grundriss her, durch Materialien und auch in überkommenen Mustern. Nicht die Erfüllung einer Funktion wird gesucht, sondern die möglichst vielschichtige Überlagerung verschiedenster Wirkungen; mit Mauss könnte man von »totalen sozialen Tatsachen« sprechen, die Smithsons nennen das »konglomerate Ordnung«. Standen in ihrem vorigen Buch eher Gebäude einer solchen Ordnung im Vordergrund, geht es im neuen Buch um die Räume dazwischen – und ihre (ver)bindende Kraft. Und darum, wie sie durch Verknüpfungselemente, wie Pfade, Autobahnen, Flüsse, Kanäle, Höhenunterschiede, Hecken, Baumgürtel, Mauern, Zäune, Gräben, Pipelines usw. artikuliert werden können (S. 22). Interessant ist an dieser Aufzählung, dass räumliche Kanten oder Mauern nicht als trennende Elemente wahrgenommen werden, sondern in ihrer verbindenden Dimension – mit ein Beispiel für den umfassenden Blick der Smithsons. Und was man an dieser Aufzählung auch sieht, ist, dass die italienischen Gedanken vor unwirtlichen Elementen wie Autobahnen oder Pipelines nicht haltmachen; sie verknüpfen Fragen moderner Verkehrsproblematik mühelos mit Betrachtungen traditioneller Städte wie bspw. Siena – was nicht immer ganz nachvollziehbar ist. Wenn nicht alle Bemerkungen vollkommen einsichtig sind, liegt das daran, dass die Smithsons kein System entwickeln; sie legen kein städtebauliches Lehrbuch vor, sondern sie reihen Projekte und Beispiele aneinander und versuchen daraus neue Gedanken zu entwickeln. Die Lektüre ist insofern kulinarisch, sie löst keine allgemeinen Probleme, aber sie ist anregend und drängt auf Umsetzung in der eigenen Arbeit. Ein weiterer Grund, warum sich manche Bemerkungen und Entwürfe dem/r LeserIn verschließen mögen, liegt daran, dass – auch wenn es sich um ein neues Buch handelt– die AutorInnen doch aus einer anderen Zeit stammen und andere Gewohnheiten haben. Doch gerade das ist das eigentlich Besondere an diesem Buch, das im Jargon der 90er und 00er Jahre eine Insel aus älterem Gestein bildet.

Alison und Peter Smithson
Italienische Gedanken - Beobachtungen und Reflexionen zur Architektur
(Bauwelt Fundamente 111)
Braunschweig/ Wiesbaden 1996
199 S., EUR 25,70

Alison und Peter Smithson
Italienische Gedanken, weitergedacht
(Bauwelt Fundamente 122)
Basel/ Boston/ Berlin 2001 (Birkhäuser)
216 S., EUR 25,70


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