
Wie Wohnen? Instagram oder gegenhegemonial?
Besprechung von »Instagram-Wohnen« von Bernadette KrejsBernadette Krejs hat sich für ihre Publikation Instagram Wohnen. Architektur als Bild und die Suche nach gegenhegemonialen Wohnbildern viel vorgenommen. Sie möchte, ausgehend von Plattformen wie Instagram, die schwierige Rolle des Bildes in der Architektur am Beispiel des Wohnens beschreiben. Damit taucht sie in ein komplexes Problemfeld ein, denn sie muss Grundfragen der Wahrnehmung durch das Bild, in weiterer Folge die unterschiedliche Funktion des Bildes in der Architektur und vor allem die rhetorische Funktion des Bildes erklären. Seine Stärke besteht ja darin, dass es meist gar nicht in seiner Überredungsfunktion erkannt wird, sondern als ein ästhetischer Impuls vernommen wird, der ein positives Erlebnis assoziieren lässt. Das betrifft schon das Bild selbst. Noch schwieriger wird es aber, wenn der Zusammenhang von Bild und Architektur erfasst werden soll und in weiterer Folge die Rezeption dieses Ergebnisses durch die Betrachtenden, spezifisch in ihrer Eigenschaft als Konsument:innen. Architektur sollte, so die Autorin, nicht als ein bildvermitteltes Produkt der kapitalistischen Ökonomie wahrgenommen werden, sondern durch eine neue Strategie des Entwurfs angeregt, zur Suche nach »gegenhegemonialen Wohnbildwelten«, wie sie sie nennt, führen. Zahlreiche Elemente wollen hier zusammengedacht werden: Das Bild selbst, das – daran sei hier erinnert – in der Erkenntnisphilosophie eine fundamentale Rolle spielt, die bereits bei Platon einsetzt, weil es ein Mittler zwischen Mensch und Welt ist; ebenso seine semiotische Dimension als fundamentales Zeichen der Architektur und alles zusammen in seiner Wirkung in einer modernen, postkapitalistischen Welt, deren Kommunikation immer mehr durch Virtualität gekennzeichnet ist.
Als Architektin mit Schwerpunkt Wohnen ist Krejs zunächst Kritikerin entsprechender Plattformen, weil das Wohnen dort auf der reinen Inszenierung im Sinne der Kapitallogik ihrer Betreiber:innen basiert. Influencer:innen sind sehr erfolgreich darin, eine Ästhetik der Repräsentation zu vermitteln, die die Warenform des Wohnens mit allen Dekor- und Ausstattungsmöglichkeiten befestigt. Natürlich setzt hier die Problematik des Bildes in der Vermittlung von Architektur voll ein, weil es eine Realität vorgaukelt, die die Wahrnehmung und Produktion des Raumes verzerrt darstellt, ohne die dahinter liegenden Machtverhältnisse zu erkennen. Nun war Wohnen über Jahrhunderte der Raum des Privaten, wird aber – wie durch Instagram vermittelt – immer stärker zum Repräsentationsraum, zur Bühne, um eine neue Ich-Stärke und Selbstoptimierung zu zeigen.
Im Verlauf der Lektüre des Buches verfestigt sich der Eindruck, dass Instagram-Wohnen nur ein aktueller Aufhänger ist, um eine grundsätzliche Kritik am Wohnbild in der Architektur der Moderne vorzubereiten. Dabei stützt sich Krejs unter anderem auf die Arbeiten von Autor:innen wie Beatriz Colomina, die die mediale Dimension der Architektur durch Bilder in Zeitschriften und Plattformen seit langem untersucht.
Daher liegt die Intention des Buches auf der einen Seite in der Darstellung und Analyse des Instagram-Wohnens und andererseits auf einer möglichen oppositionellen Strategie, die Krejs als »gegenhegemoniales Wohnen« versteht und im Buch mit Drawing Housing Otherwise betitelt. Damit skizziert sie eine Entwurfsalternative zum Konventionalismus des Instagram-
Wohnens, die aber eigentlich die gegenwärtige Architekturpraxis darstellt. Der Begriff des Gegenhegemonialen stammt von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, die sich der Dekonstruktion der Ideologie des Marxismus verschrieben, weil sie die Möglichkeit von Gesellschaft aufgrund mangelnder gemeinsamer Substanz bezweifeln und einen neuen Begriff des Antagonismus formulieren, der die hegelianische Dialektik bei Marx ablöst. Die Differenzen sind nun verstreut und nicht entlang einer abstrakten Klassenidentität fixiert. Daher müssen die Antagonismen immer neu bestimmt werden und enden im Agon. Ob dieser Begriff, der sich durch seine Allgemeinheit auszeichnet, auch eine empirisch brauchbare Evidenz für Gestaltungsstrategien herstellen kann, sei dahingestellt. Die Autorin legt nicht so strenge Maßstäbe an und subsummiert zahlreiche Fälle.
Aber wer ist eigentlich der Hegemon? Ja, natürlich ein Antagonist, aber welcher konkret? Das bleibt unklar. Es gibt viele, eigentlich fällt das Gros der Architekten der Moderne darunter, das Patriarchat, der Kapitalismus und viele andere. Foucault kommt einem in den Sinn, für den die Macht verschiedenste Ursachen, Formen und Quellen hat, aber auf ihn zielt die Autorin nicht ab. Das gleiche gilt für Jaques Rancière mit la Partage du Sensible, der neue Horizonte des Sinnlichen erschließen möchte.
Krejs geht es in diesem Prozess um Aktivismus, Konflikte, Erschließung neuer Horizonte und Fragen der Kollektivität. Für die Praxis des drawing otherwise führt sie gut bebilderte Beispiele an. Die Agitation der (ab)Normal stories etwa bezeichnet das Kartieren als Aktivität, um etwas Politisches zum Vorschein zu bringen, also mehr als das bloße Zeichnen einer Karte. EDIT handelt von Konflikt und Wahrheit im Rahmen einer Geschichte des Häuslichen, die das Wohnen aus der Perspektive einer Unterdrückungsgeschichte (der Frau) zeigt. Man sucht nach cracks, Wohnen sollte demnach auch die permanente Veränderung der bestehenden körperlichen Dispositionen des Häuslichen bewirken. Wenig überraschend, dass hier Judith Butler als Ideengeberin fungiert.
Die Öffnung des Sinnlichen erfolgt durch Mona Mahall und Asli Serbest von (ab)Normal, die ebenfalls für radikalen Feminismus stehen und sich fragen, warum sich architektonische Utopien seit den 1960er Jahren (Archigram, Superstudio, Haus-Rucker-Co) bisher nicht von ihren maskulin-patriarchal, technopositiven und kolonialen Sichtweisen befreien konnten und bieten als Alternative das Feminist Utopian Spaces Lexicon an.
Vieles an diesem Gegenhegemonialen erinnert an eine Neuauflage des großväterlichen Situationismus, dauerfluid und hyperaktiv; diesmal aber feministisch, auch queer und mit einer zusätzlichen Abweichung: Während die frühen Situationisten den Dauerkonflikt priesen, wünschen sich (ab)Normal trotz der Antagonismen doch auch – zumindest untereinander – kollektives Handeln, aber ohne das entsprechende Label und dafür Gemeinschaftlichkeit, vielleicht sogar die Chance auf ein bisschen Zuneigung.
Wohnen als Ort des Widerstands sollte auch sichtbar werden. Ideal wäre natürlich eine sichtbare Präsenz auf den großen Plattformen, um ein Gegenbild zu den dortigen Influencer:innen zu erzeugen. Doch es herrscht die Einsicht vor, dass man bei der Anzahl der nötigen Klicks nicht mithalten könnte und wünscht sich daher a site of resistance, die im öffentlichen Eigentum stehen soll.
Instagram-Wohnen und gegenhegemoniales Wohnen, das sind zwei verschiedene Planeten, Bernadette Krejs hat beide bereist und wird wohl an letzterem wohnhaft.
Bernadette Krejs
Instagramwohnen. Architektur als Bild und die Suche nach gegenhegemonialen Wohnbildern.
Bielefeld: Transcript Verlag, 2024
354 Seiten, 39 Euro
Manfred Russo ist Kultursoziologe und Stadtforscher in Wien.