Wiener Melange Augarten
Der Augarten ist mit seinem Wegenetz die älteste noch vorhandene Barockanlage Wiens. Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit, das von Bloch beschriebene Phänomen der gleichzeitigen Wahrnehmung verschiedener Zeitschichten ist allgegenwärtig. Die Wege sind alt, die benachbarten Kompartimente aus unterschiedlichsten Zeiten. Viele Katastrophen und Neuinterpretationen zeugen von 400 Jahren Beharren auf dem Gartenstandort.
Der Augarten ist mit seinem Wegenetz die älteste noch vorhandene Barockanlage Wiens. Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit, das von Bloch beschriebene Phänomen der gleichzeitigen Wahrnehmung verschiedener Zeitschichten ist allgegenwärtig. Die Wege sind alt, die benachbarten Kompartimente aus unterschiedlichsten Zeiten. Viele Katastrophen und Neuinterpretationen zeugen von 400 Jahren Beharren auf dem Gartenstandort.
Soziales Denkmal Augarten
Heute ist der Augarten nicht mehr außerhalb der Stadt, sondern direkt im Zentrum dicht bebauter, vor allem gründerzeitlicher Zinskasernenviertel. Der Augarten wurde vor zwei Jahren als erster Garten Österreichs unter Bundesdenkmalschutz gestellt. Seither gilt der gesetzliche Auftrag der Umsetzung des Parkpflegewerkes. Für die Gartenverwaltung stehen dabei nicht nur die Erhaltung und Revitalisierung der Gartenanlage, sondern auch die Schaffung von Räumen für die erholungssuchenden WienerInnen im Vordergrund (Koch 2001). Ein besonderes soziales – und damit »lebendiges« – Gartendenkmal ist der Augarten nicht nur aufgrund seine Größe (ca. 53 ha), seinem Angebot an unterschiedlich ausgestalteten Freiräumen, sondern auch aufgrund der aus touristischer Sicht bestehenden Randlage. Seit der Öffnung durch Joseph II. ist der Augarten sozialer Freiraum für die WienerInnen. Früh wurden soziale Institutionen in den Garten eingebracht: Eine Restauration, eröffnet 1775, ein Eislaufplatz 1893-1920, ein Kinderfreibad und 4 Sportplätze in den 1920er Jahren. Auch im Dienste der Krankheit und Genesung standen Gebäude im Augarten: Während der Choleraepidemien 1830, 1849, 1855, 1860 und 1864 und während des 1. Weltkrieges wurden Gebäude im Augarten als Spitäler bzw. Lazarette verwendet, auf der Wasserwiese wurde 1919 ein israelitisches Kinderambulatorium errichtet. Im Josefstöckl befand sich der Skandinavische Klub, eine Kinderhilfsorganisation.
Heute versprüht das Buffet Awawa, eine kleine Gastwirtschaft mit Heurigen-Tischen im Gastgarten, den Charme eines Landgasthauses bzw. Schutzhauses mitten in Wien. Das Publikum ist gemischt: Eine große Anzahl von MigrantInnen aus den benachbarten Bezirken führt zu einer Durchmischung von »Einheimischen« und »Eingewanderten«. Gruppen sitzen im Kreis in der Wiese am Damm, die Schüsselwiesen – heute als Rasen gepflegt – werden an sonnigen Tagen zu Sonnen-Rasenliegeplätzen. Die alte Tradition vom Veranstaltungsort Augarten wurde mit der Hilfe von engagierten BürgerInnen und PlanerInnen in den letzten Jahren wiedererweckt: Fest der Völker, Kino unter Sternen – ein geplanter Musikpavillon soll in wenigen Jahren an die Tradition der berühmten Morgenkonzerte (Mozart, Beethoven) anknüpfen helfen. Mit den Festen und Kinotagen hat sich die Qualität des Augartens als städtischer Garten herumgesprochen. Anfang der 1990er Jahre trafen sich vor allem die Leute der Nachbarschaft, viele aus einem der um den Augarten situierten Pensionistenheime. Das Stammpublikum brachte sogar eigene Sitzpölster mit. Im Rückblick fällt die größere Menge von Leuten auf, die den Augarten aufsuchen. Der Anteil an Jugendlichen und Leuten zwischen 20 und 40 Jahren hat sich in den letzten zehn Jahren vergrößert. An sonnigen Tagen sind alle Plätze im Buffet Awawa besetzt. Die Anzahl der LäuferInnen ist gegenüber 1990 – einem gesellschaftlichen Trend der letzten Jahre folgend – exponentiell gestiegen. Boccia wird inzwischen nicht nur von MigrantInnen, sondern auch mit Begeisterung von ÖsterreicherInnen auf den Kiesdecken in den Alleen gespielt. Die weniger repräsentative Funktion des Augartens machte ihn jedoch auch für Grundabzweigungen disponibel. Große Teile wurden für den Bau der großen Einwandererbahnhöfe Ende des 19. Jahrhunderts geopfert, im 2. Weltkrieg wurden zwei Flaktürme eingebaut, und nach dem Krieg wurden große Flächen für die Kirche Wolfsau, das Pensionistenheim Augarten, das Ambrosimuseum und die israelitische Schule auf der ehemaligen Wasserwiese herausgenommen. Seit den letzten Jahren ist dagegen ein positiver Trend zur Öffnung von bisher für die BesucherInnen geschlossenen Gartenbereichen zu beobachten: Die Öffnung des Ambrosigartens und die Öffnung und Wiederherstellung eines Bereiches des ehemaligen Landschaftsgartens in Form einer Liegewiese durch die Bundesgärten (vgl. Koch 2001). Denkmalschutz der sozialen Geschichte des Augartens bedeutete die Verbesserung des Freiraums Augarten für die Öffentlichkeit.
Volksgarten Augarten
1614 ließ Kaiser Mathias in den damaligen Donauauen ein Jagdschloss bauen. Um 1650 ordnete sein Nachfolger Kaiser Ferdinand an, einen Garten im »Holländischen Stile« anzulegen. Nach mehreren Überschwemmungen wurde der Garten unter Leopold I. 1659 im »Französischem Stile« als großer, regelmäßiger, mit Alleen durchschnittener Lustpark neu angelegt und durch Zukauf des ehemaligen Palais Trautson (Augartenpalais) erweitert. Während der Türkenbelagerung 1683 wurden das Schloss und der Garten zerstört. Die Habsburger entschieden sich für die Beibehaltung des Schlosses als Ruine. Einzig die ehemalige Sala terrena (das Saalgebäude) wurde um 1705 erneuert, der Garten ab 1712 unter Jean Trehet wiederhergestellt. Kleiners Stiche zeigen diese bemerkenswerte Situation eines repräsentativen, aufwendig gepflegten Gartens mit einer Ruine als Schloss. Die Bedeutung als Jagdgarten endete mit Josef II., der angeblich persönlich den letzten Hirsch im Augarten erlegte (Reisinger 1990). Mit Josef II. wurde der Augarten wieder Herrschaftssitz. Seine bis heute nachwirkende Entscheidung war jedoch die Öffnung eines Großteils des mit »vielen Kosten mit neuen Spaziergängen und neuen Alleen versehenen« Gartens für die Öffentlichkeit (Anonym um 1900). Eine große Menge an Nachtigallen wurde angekauft und alljährlich im Augarten ausgesetzt, 200 Sitzbänke in den Alleen aufgestellt, die breiten Rasenflächen mit Blumen geschmückt und ein Rosenhügel angelegt. Damit war der Augarten der erste für das Volk umgebaute, geöffnete feudale Garten. Die Übergabe wurde am 30. April 1775 mit einem Volksfest begangen. Zugleich erfolgte die Vermietung des Saalgebäudes als öffentliches Restaurant an Ignatz Jahn. Neben Spazieren gehen und -fahren wurde das Essen und Trinken im öffentlichen Garten beliebt. Als sichtbares Symbol für den neuen Garten ließ Josef II. auf dem von Canevale gestalteten Haupttor seine Gesinnung verewigen: »Allen Menschen gewidmeter Erlustigungs-Ort von ihrem Schaetzer.« Der neue Augarten wurde bald über die Grenzen hinaus bekannt. Christian C. L. Hirschfeld, berühmter Philosoph und Gartentheoretiker, beschrieb in seiner »Theorie der Gartenkunst« den Augarten und den Prater als vorbildhafte frühe Beispiele von »Öffentlichen Spaziergängen« bzw. »Volksgärten«. Aufklärer berichteten 1794 über den Augarten: »Hier gehen Fürsten und Fürstinnen, Grafen und Gräfinnen, Handwerksleute und ihre Frauen und Töchter in dichten, bunten Reihen hinter- und nebeneinander, ohne dass die eine die geringsten Vorzüge vor der anderen verlangte oder erhielte.« (Schediwy/Baltzarek 1982) Als im Zuge der gesellschaftlichen Gegenaufklärung die privilegierten Gesellschaftsschichten sich vermehrt aus dem Augarten zurückzogen, führte Franz Jahn Volksfeste ab 1810 ein, bei denen Seilkünstler, Marionetten, Ritterkämpfe und andere Lustbarkeiten gezeigt wurden. (Reisinger 1990).
Staatsgarten Augarten
Als sozialer Ort wurde der Augarten auch von den Regierenden interpretiert. Anlässlich des Wiener Kongresses wurde von der Regierung ein nationales Fest veranstaltet, bei der 4000 Veteranen der Napoleonischen Kriege geehrt wurden. (Schediwy, Baltzarek 1982). In Reaktion auf die Märzrevolution 1848 wurde das Tor zum Gaußplatz geschlossen. Mit dem Anschluss und Einmarsch der NationalsozialistInnen wurde die menschenverachtende Ideologie der neuen Machthaber auf die Bänke gepinselt: Die Bänke im Augarten wurden mit den Aufschriften »Nur für Arier« und (wesentlich seltener) mit »Nur für Juden« gekennzeichnet. Einige Monate später wurde die berüchtigte Verordnung Nr. 8 vom 5. August 1938 erlassen, in der das Betreten des Augartens (wie der meisten Wiener Parks) für Juden generell verboten wurde. Am 17. Juni 1950 wurde der Augarten nach fünf Jahren Schließung mit einem riesigem Volksfest wiedereröffnet.
Freiraum Augarten
Die erstaunliche Geschichte der unterschiedlichsten Nutzungen des Gartens verweist auf die qualitativ hohe Freiraumstruktur des Gartens. Die einzelnen Bereiche wurden bei der Planung als »Grüne Zimmer« interpretiert, die Einrichtung nach barocker Denkart disponibel für unterschiedliche Nutzungen geplant. Diese gegenüber der heutigen Planungsphilosophie des Funktionalismus (hier Spiel, dort Ruheplätze etc.) verschiedene Zugangsweise zum Thema Bauen und Nutzen brachte bis heute tragfähige und alterungsfähige Freiräume. Wege werden nach ihrer Bedeutung für den Garten in ihrer Breite und Ausstattung (Gehölze, Schnitt) differenziert ausgeführt. Die Prinzipien der Reihung und Addition von Ausstattungselementen zu unterschiedlichen Freiräumen schaffen ein vielfältiges Angebot an Freiräumen und Wegen bei gleichartiger Bauweise (vgl. Doblhammer 1999). Nicht zufällig waren die Gartenorganisationen dieser Zeit oft Vorbild für den Stadtbau. Jagdsterne, Zonierungen und ein System von differenziert ausgeführten Wegen im Garten wurden im Stadtbau als Plätze, Straßen und Kreuzungen übernommen. Selbst die in der Gründerzeit allgemein vollzogene Zonierung der Straße in Fahrbahn und Nebenfahrbahn (Einführung des Bürgersteigs im Biedermeier) wird in der Zonierung der barocken Gartenalleen in Haupt- und Contra-Alleen geschichtlich vorbereitet (vgl. Doblhammer 1999).
Rupert Doblhammer
Auböck, Maria. Als Beispiel: »Der Augarten – Gedanken zur Nutzung historischer Gartenanlagen heute«. In: Institut für Landschaftsplanung und Gartenkunst der TU-Wien (Hg.): Seminarbericht – Historische Gärten im Donauraum in Geschichte und Gegenwart, Wien 1981.
Baltzarek, Schediwy: Grün in der Großstadt, Wien 1982.
Dehio: Wien II. bis IX. Bezirk, herausgegeben vom Bundesdenkmalamt, Wien 1993.
Doblhammer, Rupert: Nutzung historischer Gärten städtischer Landschaft am Beispiel des Augartens, Diplomarbeit, Wien 1992.
Doblhammer, Rupert: Wie die Hecke in die Stadt kommt, Dissertation, Wien 1999.
Hajós, Gezá: Historische Gärten. Mitteilungsblatt der Österr. Gesellschaft für Historische Gärten, Heft 2, Wien 1999.
Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst, 5 Bände in zwei Bänden, Reprint (1785) Hildesheim 1985.
Koch, Gerd: 400 Jahre Wiener Augarten. Mitteilungsblatt der Österr. Gesellschaft für Historische Gärten, Heft 2, Wien 2001.
Reisinger, Ursula: »Geschichte des Augartens«, In: Festschrift Augarten, Wien 1990.
Palfinger, Thomas: Bestandesbewertung und Pflegeanalyse eines ehemaligen Barockgarten, Diplomarbeit, Wien 1993.