Wiener Stadterneuerung und die Aufwertung des dicht bebauten Stadtraumes
Die baulichen und planerischen Veränderungen im dicht bebauten Stadtgebiet innerhalb der letzten drei Jahrzehnte sind durch das Bemühen gekennzeichnet, mittels verschiedener Instrumente und Strategien der Stadterneuerung die innenstadtnahen Stadträume aufzuwerten. Je nach lokalstaatlichen Regulationsweisen und den Interessenslagen der beteiligten AkteurInnen können segregationsfördernde von integrationsbestimmten Erneuerungsprozessen unterschieden werden. Die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und planerischen Leitbildern lassen sich auf stadtplanerischer Ebene anhand der umgesetzten Projekte nachvollziehen.
Die baulichen und planerischen Veränderungen im dicht bebauten Stadtgebiet innerhalb der letzten drei Jahrzehnte sind durch das Bemühen gekennzeichnet, mittels verschiedener Instrumente und Strategien der Stadterneuerung die innenstadtnahen Stadträume aufzuwerten. Je nach lokalstaatlichen Regulationsweisen und den Interessenslagen der beteiligten AkteurInnen können segregationsfördernde von integrationsbestimmten Erneuerungsprozessen unterschieden werden. Die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und planerischen Leitbildern lassen sich auf stadtplanerischer Ebene anhand der umgesetzten Projekte nachvollziehen. Dadurch steht der gebaute Raum in einem direkten Verhältnis zu den politischen, sozialen und ökonomischen Prozessen, die im Begriff des Akkumulationsregimes gefasst sind. Über dieses Verhältnis wird nicht nur die baulich-räumliche Struktur der Stadt bestimmt, sondern ebenso die soziale Verfasstheit der Stadtbevölkerung.
In Wien ist die Aufwertung innenstadtnaher Gebiete durch unterschiedliche Strategien gekennzeichnet, die den Rahmen auf der Makroebene (vgl. Dangschat, 1998) widerspiegeln. Die Abfolge von Assanierung – sanfter Stadterneuerung – Einbeziehung von Großprojekten und das Modell public-private-partnership zeichnet nicht nur den Weg der Stadtpolitik vom fordistischen Modell der ›Stadt für alle‹ zum derzeit propagierten Ideal der unternehmerischen Stadt nach, sondern zeigt auch den zunehmenden Einfluss von privatwirtschaftlichen Interessen und AkteurInnen auf die Stadtentwicklung und -planung.
Im Auftrag der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien wird zurzeit von den AutorInnen eine Studie erarbeitet, um die Auswirkungen unterschiedlicher Erneuerungsstrategien darstellen zu können. Dabei werden anhand des Stadterneuerungsgebietes Gumpendorf als Referenzbeispiel für Einzelassanierungen und in Folge ab 1983 für die sanfte Stadterneuerung und des Großprojektes des Franz-Josefs-Bahnhofs mit seinen Auswirkungen auf die benachbarten Stadtgebiete Lichtental (ehemaliges Assanierungsgebiet) und Roßau die baulichen, planerischen und sozialen Veränderungen im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte beleuchtet.
Die Veränderungen in städtebaulicher Hinsicht – Bau- und Nutzungsstruktur, Freiraumversorgung und -qualität, infrastrukturelle Maßnahmen – sind mit den planerischen Regulationen der unterschiedlichen Maßstabsebenen in direktem Zusammenhang zu sehen. Der Grad des Verwertungsdrucks des städtischen Grund und Bodens nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein. »It is the equalization and differentiation of ground rent levels between different places in the metropolitan region that most determines the unevenness of development.« (Smith, S. 81)
Im Folgenden wird eine grobe Skizze die Entwicklungen an den Grundstücksmärkten und die Veränderungen in der EigentümerInnenstruktur der untersuchten Gebiete nachzeichnen, um so grundlegende Aussagen über die jeweiligen Aufwertungsdynamiken machen zu können.
Stadterneuerung durch Einzelassanierung
Eine ausgeprägte Einzelassanierungsstrategie in den 70ern bis Mitte der 80er-Jahre veränderte das Gesicht des späteren Stadterneuerungsgebiets Gumpendorf nachhaltig. Das stadtplanerische Leitbild der Assanierung, das in Anlehnung an die Utopie der Moderne nach Schaffung einer ›neuen‹ Stadt für ›neue‹ Menschen eine Erneuerung dicht bebauter Stadtgebiete nur durch Abbruch und Neubau umsetzen konnte, wurde durch die hohen Geschoßflächenreserven der Flächenwidmungsplanung stark begünstigt.
Der von 1975 bis 1983 gültige Flächenwidmungs- und Bebauungsplan ermöglichte über Aufzonungen und großzügige Trakttiefen eine Zunahme der Geschoßflächenreserve um 12,7 % gegenüber der vorher gültigen Planung. Die höchsten Geschoßflächenzahlen waren jeweils auf den Eckbauplätzen erreichbar. Die Bruttogeschoßflächenreserve betrug am Beginn der Rechtskraft des Bebauungsplanes (PD 5324/4) im Dezember 1975 ca. 130.000 m2. Die Gesamtflächenreserve wurde innerhalb von nur vier Jahren auf ca. 109.000 m2 reduziert. In der Zeitspanne von 1975 bis 1983 wurden in dem neun Baublöcke umfassenden Gebiet zehn Neubauten realisiert. Die ersetzten Gebäude wiesen drei bis vier Geschoße auf, die Neubauten sechs und sieben Geschoße, oftmals mit ausgebautem Dachgeschoß (vgl. Bartlmä, 1985).
Während der 70er-Jahre waren in ganz Wien massive Spekulationserscheinungen bemerkbar, die sich v.a. durch die brutalen Absiedlungsstrategien und die hohen Renditeerlöse der SpekulantInnen auszeichneten. In Gumpendorf erreichte die Dynamik am Grundstücksmarkt im Zeitraum zwischen 1972 und 1979 ihren Höhepunkt. Die AkteurInnen setzten sich aus Einzelpersonen und einem Flechtwerk aus miteinander kooperierenden Baufirmen und -trägern zusammen. Im Vorfeld der Neubebauung wechselten die Liegenschaften oft mehrere Male ihre BesitzerInnen, um zuletzt um ein Vielfaches ihres ursprünglichen Kaufpreises an kapitalkräftige Wohnbauträger verkauft zu werden (vgl. Coffey / Köppl, 1983).
Die Ursache für den beobachtbaren Anstieg des Bodenpreises ist nur vordergründig in dem besonders exponierten Gewinnstreben der Grundstücksspekulation zu suchen. Vielmehr interessiert der Zusammenhang zwischen der lokalstaatlichen Regulation in Form des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes und dem Niveau des Bodenpreises. Erst durch die Aufzonungen und die massive Erhöhung der Geschoßflächenreserve konnten spekulative Interessen in einer derart ausgeprägten Weise umgesetzt werden. »(...) jede Aufzonung in die nächsthöhere Bauklasse (verdoppelt in etwa) den Bodenpreis (…)«. (Blaas, 1992, S. 56)
Durch diese Grundstückstransaktionen, in die etwa 1/5 der Liegenschaften involviert waren, erhöhte sich nicht nur der Bodenpreis um ein Vielfaches, sondern veränderte sich auch die EigentümerInnenstruktur im Gebiet. Waren vor Beginn der Einzelassanierung fast 90% der Liegenschaften in Privatbesitz mit z.T. sehr zersplitterten EigentümerInnenstrukturen, stellten sich Mitte der 80er-Jahre die Besitzverhältnisse wesentlich verändert dar: Nur mehr 2/3 der Liegenschaften befanden sich zu diesem Zeitpunkt in privater Hand, während fast 20% von juristischen Personen besessen wurden. Auch die Gemeinde Wien war an den Transaktionen mit dem Erwerb von etwa 10% der Liegenschaften beteiligt.
Auf den Grundstücken wurden in der Folge unter der bestmöglichen Ausnutzung der Bebauungsbestimmungen Wohngebäude errichtet. Der Bau von zwei großen StudentInnenheimen und drei frühen Eigentumswohnungskomplexen veränderte die Bevölkerungsstruktur nachhaltig. Außerdem wurde die Nutzungsvielfalt und die Nahversorgung durch die Konzentration auf den Wohnungsbau erheblich eingeschränkt. Als Ergebnis dieses Prozesses, der in der Hauptsache von privatwirtschaftlich agierenden Bauträgern bestimmt wurde, präsentierte sich das Gebiet mit konzentrierter und transformierter EigentümerInnenstruktur, mit einem dauerhaft erhöhten Bodenpreis als Folge der Dynamisierung des Grundstücksmarktes, mit erheblich erneuerter Bausubstanz durch Neubau, mit einer erhöhten BewohnerInnen- und Geschoßflächendichte und einer signifikant veränderten Wohnbevölkerung.
Die lokalstaatliche Regulation reagierte auf diese unerwünschten Entwicklungen bereits im Jahr 1979 mit einer Bausperre und der Einleitung vorbereitender Untersuchungen für die Einrichtung eines Stadterneuerungsgebietes. 1983 wurde ein neuer Flächenwidmungs- und Bebauungsplan beschlossen und die verhängte Bausperre beendet. Charakteristisch für diesen Bebauungsplan ist eine weitgehende Abzonung auf die Bauklasse III mit teilweise zusätzlicher Höhenbeschränkung auf 13 m. Die Bauklasse IV wurde dort beibehalten, wo sie den in den vorangegangenen Jahren errichteten Neubauten entspricht. Bei erhaltungswürdigen Ensembles wurden die Baulinien dem Bestand angepasst, eine Trakttiefe von 15 m und eine fehlende Höhenbeschränkung beinhalteten jedoch noch immer eine beachtliche und für Bauträger attraktive Geschoßflächenreserve.
Stadterneuerung durch Großprojekte
Die Überbauung des Franz-Josefs-Bahnhofes stellt ein frühes Projekt der ›inneren Stadterweiterung‹ dar. Die Grundvoraussetzung dafür besteht in der Annahme, dass untergenutzte Flächen im dicht bebauten Stadtgebiet, wie Bahnflächen, Industriebrachen etc., mittels eines Aufwertungsprozesses in ihrer Nutzung intensiviert werden können. Ökonomischer Motor derartiger Prozesse ist die Aussicht auf eine gesteigerte Grundrente. Dementsprechend sind Projekte der inneren Stadterweiterung vom Auftreten privatwirtschaftlicher Akteurinnen bestimmt, während die öffentliche Hand den entsprechenden planerischen Rahmen zur Verfügung stellt. Die unterstellte Funktion eines Großprojektes für die Stadterneuerung ist seine Signalwirkung auf die unmittelbare Umgebung. Mittels Großinvestitionen soll die stadträumliche Adresse aufgewertet und Folgeinvestitionen aus privater Hand initiiert werden. Im Fall des Franz-Josefs-Bahnhofes wurde der Aufwertungsprozess bereits 1970 mit dem Verkauf der Franz-Josefs-Bahn-Gründe durch die (staatlichen) ÖBB an einen privaten Bauträger begründet, der das Grundstück drei Jahre später um den beinahe doppelten Preis an eine 100%-Tochter der CA-BV weiterverkaufte. Den Verwertungsinteressen entsprechend wurde 1973 vom Gemeinderat ein Flächenwidmungs- und Bebauungsplan beschlossen, der unter intensivster baulicher Ausnutzbarkeit des Grundstückes eine siebengeschoßige Bebauung für die beabsichtigte Errichtung des technischen Zentrums der CA-BV ermöglichte. 1981 wurde das Bauvorhaben abgeschlossen, der Franz-Josefs-Bahnhof präsentiert sich seitdem in der Formensprache eines ›Kristalls‹, der im Erdgeschoß den Bahnhof sowie einige Geschäfte des Kurzfristbedarfs beherbergt und in den Obergeschoßen mit rund 7.000 Beschäftigten des Quartärsektors ein Zentrum ökonomischer Macht darstellt.
Im Gebiet um den Franz-Josefs-Bahnhof zeigte sich für die Verkaufspreise der Grundstücke nach dem Verkauf der Franz-Josefs-Bahn-Gründe an die Verwertungsgesellschaft eine Grundstückspreissteigerung um mehr als 600% bis Mitte der 80er-Jahre. Ein direkter Zusammenhang zwischen der signifikanten Preissteigerung und der Realisierung der Überbauung des Gleiskörpers der Franz-Josefs-Bahn ist damit feststellbar. Über den gestiegenen Grundstückspreis vermitteln sich die verbesserten Verwertungsbedingungen, die durch die beabsichtigte Nutzungsintensivierung ausgelöst wurde. Das massive Auftreten von professionellen Verwertern und Firmen, sowie die räumliche Konzentration der Grundstückskäufe auf die großteils im Privateigentum befindliche gründerzeitliche Bausubstanz der Roßau verdeutlichen das aktivierte Verwertungsinteresse. Dieses manifestiert sich außerdem in einer starken Anhebung des Wohnungsstandards und der Ansiedlung mehrerer Unternehmen des tertiären Sektors im unmittelbaren Umfeld der Überbauung. Ein partieller Austausch der Wohnbevölkerung als Ergebnis dieser Prozesse ist beobachtbar (vgl. Rode, 2000).
Sanfte Stadterneuerung und der Verwertungsdiskurs
Der berühmte Wiener Weg der »Sanften Stadterneuerung« ist als lokalstaatliche Regulation der privatwirtschaftlich getragenen Einzelassanierungsstrategie zu sehen. Die ehrgeizigen und bestimmenden Ziele der Einbindung der Wohnbevölkerung in Erneuerungsprozesse, der bestandsnahen Sanierung und der Verbesserung der Freiraumversorgung wurden durch die Schaffung wichtiger Regulationsinstrumente, wie dem WBSF, dem WSG und der intensiven Betreuung vor Ort mittels Gebietsbetreuungen ermöglicht.
Ab Mitte der 90er-Jahre ist in der Stadterneuerung allerdings ein Aufleben des Auf- und Verwertungsdiskurses bemerkbar. Weniger die sozialverträgliche Stadterneuerung bildet dabei den Fokus, als die Bedürfnisse der Investoren und Bauträger. Die Konferenz ›Gürtel Transform‹ etwa wurde als Nachfolgeinstitution des URBAN Projektes eingerichtet, um Planungsablauf und -modalitäten für Investoren transparenter gestalten zu können. Soziale Belange spielen dabei eine Nebenrolle, wird doch der Gürtelraum als Standort für innovative Dienstleistungsbetriebe gesehen. Die Rolle der Gebietsbetreuungen in diesem Prozeß ist weitgehend undefiniert und hängt von der weiteren Schwerpunktsetzung der städtischen Erneuerungspolitik ab. Auch in Gumpendorf ist eine paradigmatische Änderung zur verwertungsgeleiteten Aufwertung ablesbar. Zwar sind die Daten noch nicht zur Gänze ausgewertet, aber es lassen sich bereits einige Tendenzen ablesen: Der Grundstücksmarkt beginnt sich in den 90er-Jahren zu dynamisieren, es treten einige große Bauträger in das Geschehen ein und entwickeln Neubauprojekte, die eine massive bauliche Verdichtung mit sich bringen. Welche Auswirkungen diese Maßnahmen und die Sanierung des Altbestandes auf die Entwicklung des Bodenpreises, die Eigentümerverhältnisse und die Struktur der Wohnbevölkerung haben, wird in der im Herbst 2001 erscheinenden Studie der Öffentlichkeit präsentiert.
Dagmar Grimm-Pretner
Philipp Rode
Bartlmä, Werner. Der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan als Instrument der Stadterneuerung in Wien. Diplomarbeit an der TU Wien. Wien 1985.
Blaas, Wolfgang. Determinanten des Bodenpreises in Wien. In: Stadtpunkte. Hg. Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien. Wien 1992.
Brenner, Neil / Heeg, Susanne. Lokale Politik und Stadtentwicklung nach dem Fordismus; In: Kurswechsel – Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternative; Sonderzahl. Wien 2/1999.
Coffey, Antonia / Köppl, Franz. Stadterneuerung in Wien; In: Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft Nr. 26. Hg. Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien. Wien 1983.
Dangschat, Jens. Warum ziehen sich Gegensätze nicht an? Zu einer Mehrebenen- Theorieethnischer und rassistischer Konflikte um den städtischen Raum; In: Heitmeyer / Dollase / Backes (Hg.): Die Krise der Städte. Suhrkamp. Frankfurt / Main 1998.
Blasius, Jörg / Dangschat, Jens. Gentrification. Die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel. Campus Verlag. Frankfurt / New York 1990.
Rode, Philipp. Der Julius-Tandler-Platz – ein Ort wirtschaftlicher Macht. Diplomarbeit an der BOKU Wien. Wien 2000.
Smith, Neil. The New Urban Frontier – Gentrification and the Revanchist City; Routledge. London / New York 1996.