Wiens steinerner Zoo
Besprechung von »Tierisches Wien. Eine Entdeckungsreise zu den Tierskulpturen der Stadt« von Thomas Hofmann und Reinhard MandlIst von Tieren in der Stadt die Rede, geht es oft um Hunde oder Vögel, in den letzten Jahren auch verstärkt um Wildtiere, die sich im urbanen Raum immer stärker ausbreiten und für aufgeregte Berichterstattung in den Medien sorgen. Auch dérive hat den Tieren in der Stadt mit dem Schwerpunkt Verstädterung der Arten vor vielen Jahren schon einmal einen Schwerpunkt gewidmet.
Im Falter Verlag ist nun ein Buch mit dem Titel Tierisches Wien erschienen, in dem es weder um Haus- noch um Wildtiere, sondern um steinerne oder aus anderen Materialien gefertigte Tierskulpturen geht. Sie bevölkern den öffentlichen Raum und es scheint, dass es auch bei Tieren so ist, dass die als mächtig geltenden eher im Zentrum zu finden sind. Das Stadtzentrum ist reich an Adlern, Löwen und Pferden, die sich mit Vorliebe gut sichtbar in der Mitte von Plätzen oder vor prominenten Gebäuden zeigen. Vor dem ehemaligen k.u.k. Reichskriegsministerium, heute ist dort das Ministerium für Arbeit und Wirtschaft untergebracht, steht beispielsweise nicht nur ein großes Denkmal, das den Heerführer Feldmarschall Radetzky auf einem Pferd thronend zeigt. Auf der Fassade prangt zusätzlich ein 40 Tonnen schwerer, bronzener Doppeladler mit einer Spannweite von 15 Metern. Man fragt sich, wie das statisch möglich ist. Gerüchteweise hatte der Doppeladler ursprünglich sogar noch eine Krone aufgesetzt.
Das von Thomas Hofmann und Reinhard Mandl herausgegebene Buch dokumentiert diese dominanten und bekannten Tierskulpturen aus der Zeit der Monarchie zwar, aber sie machen in dem nach den Wiener Bezirken gegliederten Buch glücklicherweise nur einen kleinen Teil aus. Viel erfreulicher für den durch die Stadt Streifenden sind die vielen kleinen, unscheinbareren Tierskulpturen, auf die wir in Parks oder Höfen, im Umfeld von Gemeindebauten, Spielplätzen oder Kindergärten treffen. Ab den 1950er Jahren sorgten viele Künstler:innen, die bei Fritz Wotruba studiert haben, für eine »einzigartige animalische Artenvielfalt«. Zumeist sind die Figuren aus Stein, oft auch aus Bronze oder Marmor. Beliebt sind auch Kunststeine, weil sie bunt eingefärbt werden können, günstig sind und leicht und schnell verarbeitet werden können.
Hofmann und Mandl haben auf ihren Erkundungstouren eine große Vielfalt an Tieren entdeckt, sie reicht von »arktischen Eisbären über amerikanische Bisons und afrikanische Giraffen bis zu australischen Kängurus. Ebenso anzutreffen sind Pelikane, Löwen, Elefanten, Nashörner, Seelöwen, auch heimische Haustiere wie Pferde, Kühe, Esel und Schafe tragen zur Vielfalt der Tierwelt« bei.
Wie sehr Stadtbewohner:innen Tierskulpturen ins Herz schließen, zeigt sich immer wieder an kleineren und größeren Ereignissen, die Tierskulpturen betreffen. Die Entscheidung des Wien Museums, den aus Kupfer und Holz gefertigten Wal, der einst dem 1782 gegründeten Gasthaus Zum Walfisch im Prater zu Aufsehen verhalf, begleitet von einer großen Medienkampagne als erstes Ausstellungsstück nach dem Umbau des Hauses prominent in der größten Halle aufzuhängen, war ein solches. So eine Halle braucht es auch, schließlich ist Poldi, so wurde der Wal nach einer öffentlichkeitswirksamen Umfrage getauft, fast zehn Meter lang und wiegt mehr als zwei Tonnen.
Große Aufregung, zumindest für die Stammgäste des sehr beliebten Cafés Rüdigerhof verursachte vor etlichen Jahren die ›Entführung‹ eines der beiden dort fröhlich am Eingang des Gastgarten stehenden steinernen Pinguine. Stammgäste gründeten eine Such-Initiative, Medien berichteten darüber, doch der Pinguin blieb verschwunden. Zumindest zwei Jahre, dann war er auf einmal wieder da. Die Freude unter den Stammgästen war groß, die Entführer hatte offenbar doch noch das schlechte Gewissen gepackt.
Die Gliederung nach Bezirken macht natürlich Lust, sich mit dem Buch in der Hand auf den Weg zu machen und die beschriebenen und vielfach abgebildeten Tierskulpturen zu besichtigen. Die allermeisten sind auf frei zugänglichen Arealen anzutreffen, nur wenig, wie der »anmutige Seehund (1955/57) aus Bronze von Oskar Thiede«, haben ihr Habitat etwa in Kindergärten und können deswegen nicht betrachtet werden.
Hofmann und Mandl betonen, dass es ihnen nicht darum gegangen ist, eine »akademisch fundierte Aufarbeitung und Kontextualisierung« vorzunehmen, sondern dass vielmehr die »Freude am Schauen, am Entdecken, am Erforschen der Stadt« im Vordergrund gestanden ist. Dem stimmt man gerne zu, trotzdem wäre es interessant gewesen, ein wenig mehr über die jeweiligen Künstler:innen zu erfahren. Im Speziellen natürlich über den/die ungenannte:n Künstler:in, der/die den »vergnügtesten Elefanten Wiens« geschaffen hat, der mich regelmäßig erfreut, wenn ich durch den Schweizer Garten spaziere. Die Freude am Schauen, Entdecken und Erforschen ist beim Durchblättern des Buchs tatsächlich spürbar. Sie springt auf den Lesenden über.
Thomas Hofmann, Reinhard Mandl
Tierisches Wien. Eine Entdeckungsreise zu den
Tierskulpturen der Stadt
Wien: Falter Verlag, 2024
256 Seiten, 29,90 Euro
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.