»Wir sehen uns keinesfalls als neutrale AusstellungsmacherInnen«
Andrea und Bernhard Hummer im Interview über ihre Ausstellung »Protest!«Im Rahmen des Festival der Regionen fand von 30. Juni bis 14. Juli in Steyr die Ausstellung »PROTEST!« statt. Die Ausstellung, von Andrea und Bernhard Hummer in Zusammenarbeit mit dem Museum Arbeitswelt Steyr konzeptioniert, soll in nächster Zeit auch in anderen Städten zu sehen sein. Die so genannte Antiglobalisierungsbewegung, die seit den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Genua in aller Munde ist, war ein wesentlicher inhaltlicher Schwerpunkt der Ausstellung. Im Interview erzählen Andrea und Bernhard Hummer über ihre Beweggründe, die Ausstellung zu machen, die Möglichkeiten Protest auszustellen und ihre Einschätzung der Lage der antikapitalistischen Protestbewegung nach Genua und dem Tod von Carlo Giuliani. Die Fragen stellte Christoph Laimer.
Im Rahmen des Festival der Regionen fand von 30. Juni bis 14. Juli in Steyr die Ausstellung »PROTEST!« statt. Die Ausstellung, von Andrea und Bernhard Hummer in Zusammenarbeit mit dem Museum Arbeitswelt Steyr konzeptioniert, soll in nächster Zeit auch in anderen Städten zu sehen sein. Die so genannte Antiglobalisierungsbewegung, die seit den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Genua in aller Munde ist, war ein wesentlicher inhaltlicher Schwerpunkt der Ausstellung. Im Interview erzählen Andrea und Bernhard Hummer über ihre Beweggründe, die Ausstellung zu machen, die Möglichkeiten Protest auszustellen und ihre Einschätzung der Lage der antikapitalistischen Protestbewegung nach Genua und dem Tod von Carlo Giuliani. Die Fragen stellte Christoph Laimer.
dérive: Wie seid ihr auf die Idee gekommen eine Ausstellung über Protest zu machen?
A. & B. Hummer: Geburtsstunde der Idee, eine Ausstellung zu diesem Thema zu machen, waren die Proteste rund um die Bildung der österreichischen Bundesregierung im Februar 2000 und die Versuche der Regierungsparteien, diese Bewegung zu diffamieren und zu kriminalisieren. Demonstrationen wurden in »Gewalt von der Straße« umdefiniert, das Bild von bezahlten BerufsdemonstrantInnen gezeichnet, Gewalttätigkeit bei den Protestierenden konstruiert.
Mit der Ausstellung wollten wir anregen, sich mit den Inhalten sowie den vielfältigen Aktionsformen dieser und anderer Protestbewegungen auf der ganzen Welt auseinander zu setzen, Querverbindungen zu suchen und Möglichkeiten sich einzuklinken aufzeigen.
dérive: Könnt ihr ein wenig beschreiben wie die Ausstellung aufgebaut war?
A. & B. Hummer: Die Ausstellung »PROTEST!« besteht aus zwei wesentlichen Elementen.
Der »Schauraum« ist in folgende sieben Kapitel eingeteilt, die u.a. mit Fotos von Lisl Ponger, Luka und Leo Gabriel illustriert werden:
- »Die Straße gehört uns«
Graffiti (gestaltet von Thomas Northoff), »Reclaim the Streets« ,… - »Widerstand in Österreich«
get to attack, Kulturkarawane, Donnerstagsdemos, ... - Migrantischer Widerstand
Omofuma, Operation Spring, Wiener Wahl Partie,… - Zapatistas
- Politische Verfolgung (gestaltet von PWI - Prison Watch International)
- Die Rote Zora (gestaltet von Oliver Ressl)
- Proteste gegen die neoliberale Globalisierung Landlosenbewegung, Attac, Clean Clothes Kampagne, Seattle,...
Der Neoliberalismus und der Widerstand dagegen wird in jedem dieser Kapitel auf unterschiedlichste Weise aufgegriffen und bildet den roten Faden durch die Ausstellung. Eine »Lounge« bietet zudem die Möglichkeit, sich mit einzelnen Themen intensiver auseinander zu setzen. Es ist uns sehr wichtig, eine Vielzahl von alternativen Publikationen zu präsentieren, die sich mit einzelnen Protesten oder Protest ganz generell auseinandersetzen:
- Surfstations mit Links zu aktuellen Protestbewegungen auf der ganzen Welt (zu finden unter <http://www.members. aon.at/kult-ex/Haupt.html>)
- Videos, Bücher und Zeitungen/ Zeitschriften sowie Sendungen freier Radios zum Thema
dérive: Welche Rahmenveranstaltungen gab es?
A. & B. Hummer: Es war uns wichtig, möglichst viele Initiativen und Organisationen anzuregen, Rahmenveranstaltungen zum Thema zu konzipieren und durchzuführen. Zwölf verschiedene VeranstalterInnen gewährleisteten mit ihren Beiträgen, dass während des Ausstellungszeitraums das Thema Protest aus unterschiedlichsten Blickwinkeln und für verschiedenste Zielgruppen beleuchtet und behandelt wurde.
Im Folgenden ein Überblick über die Rahmenveranstaltungen – nähere Beschreibungen sind ebenfalls auf der oben genannten Homepage zu finden:
- Anette Baldauf: »Artedutainment« /Kunst Raum Goethestraße
- B92 – Music & Contents /Kulturverein röd@
- Celebrating Differences! /Workshops/ Kulturverein Waschaecht
- Historischer Überblick und friedliche Lösung der »Kurdenfrage« in der Türkei /Verein Mezopotamya
- demonstrate! /Eine Ausstellung von Martin Krenn /Cafe Druzba
- !!! /Lesung von und mit AutorInnen der GAV - Eugenie Kain, Walter Kohl, Kurt Mitterndorfer
- Protest - Gewalt - Widerstand /Podiumsdiskussion /Ludwig-Boltzmann-Institut für Gesellschafts- und Kulturgeschichte, Linz
- Frauenmigration und die Möglichkeit zu sprechen und gehört zu werden /Podiumsdiskussion /MAIZ - Autonomes Integrationszentrum von und für Migrantinnen in OÖ
- Platz da! /Fest gegen die Vertreibung Obdachloser von öffentlichen Plätzen /Infoladen Wels
- Probesprengung /Eine Aktion von Grüne Bildungswerkstatt und Grüne Ansfelden
- Filmreihe PROTEST /Die Kunst der Stunde ist Widerstand, Sans Papiers, Showdown in Seattle, A Place called Chiapas /Moviemento, Linz in Kooperation mit Kinoki, Wien
- REGENBLUME /Gastspiel der Interkulturellen Bühne Frankfurt /Kulturverein YPSILON
dérive: Kann man Protest überhaupt ausstellen? Ist ein Protest, den man ausstellen kann, noch ein Protest oder nur mehr ein beliebiges (historisches) Ereignis?
A. & B. Hummer: Der größte Teil der Ausstellung PROTEST! ist eine Momentaufnahme von derzeit aktuellen Protesten mit teilweise historischem Rückblick.
Die »Ausstellungsobjekte« Protest und Widerstand werden nicht in historischen Schubladen abgelegt und schon gar nicht – wie wir das seitens der Medien gewöhnt sind - mit Kategorisierungen jenseits ihrer Inhalte versehen.
Die Ausstellung versteht sich nicht als Dossier oder Geschichtebuch, sondern als aufgeschlagener Katalog, der die BetrachterInnen auffordert, die weiteren Kapitel mitzuschreiben.
dérive: Haben sich manche Gruppen geweigert, ausgestellt zu werden bzw. haben sie die Kooperation verweigert? Wie seid ihr an die Gruppen herangetreten? Wie habt ihr sie ausgewählt?
A. & B. Hummer: Die Auswahl, die wir getroffen haben, ist sehr subjektiv. Es ging uns nicht darum, möglichst erschöpfend über diverseste Proteste und Aktivitäten zu berichten. Unser Anliegen war, entlang der inhaltlichen Klammer - Kampf gegen den Neoliberalismus - Zusammenhänge zwischen einzelnen Protestaktivitäten zu verdeutlichen.
Keine der Gruppen, die wir angesprochen haben, hat sich in irgendeiner Form geweigert. Im Gegenteil: Viele waren sehr froh, durch die Ausstellung eine Plattform zu bekommen, in der sie ihre Anliegen darstellen und einem größeren AdressatInnenkreis vermitteln konnten.
dérive: Wie seht ihr eure eigene Rolle: Sympathisiert ihr z.B. mit der globalisierten Antikapitalismusbewegung und damit mit dem Objekt eurer Ausstellung oder seht ihr euch als neutrale AusstellungsmacherInnen?
A. & B. Hummer: Natürlich sehen wir uns keinesfalls als neutrale AusstellungsmacherInnen. Wir sympathisieren nicht nur mit verschiedensten Bewegungen – u.a. mit den Protesten gegen die Regierungsbeteiligung der F und die Politik der derzeitigen Bundesregierung sowie den Protesten gegen die neoliberale Globalisierung - sondern verstehen uns als Teil davon.
dérive: Was haltet ihr von der These, dass Protest, der keinen Systemumsturz zur Folge hat, immer nur die Abwehrkräfte des herrschenden Systems stärkt?
A. & B. Hummer: Die These hat schon was für sich.
Aber: Das Risiko, dass ein Protest keinen Systemumsturz zur Folge hat, ist immer gegeben, selbst wenn – was ja auch nicht immer der Fall ist – er revolutionär gedacht war. Diese These weitergedacht, könnte heißen, nicht zu protestieren. Und das stützt zwar vielleicht nicht die Abwehrkräfte des Systems, dafür aber das System selbst.
dérive: Seht ihr in der Tatsache, dass die Polizei mit den Demonstrationen in Göteborg begonnen hat, mit scharfer Munition gezielt auf DemonstrantInnen zu schießen und in Genua sogar einen Demonstranten getötet hat, einen Hinweis darauf, dass die Herrschenden die Bewegung als gefährlich für ihre Macht einschätzen? Hannah Arendt sagt in ihrem Buch Macht und Gewalt, dass die Herrschenden zur Gewalt greifen, wenn sie Macht verlieren. (»Gewalt tritt auf den Plan, wo Macht in Gefahr ist.«)
A. & B. Hummer: Dass die Demonstrationen gegen die neoliberale Globalisierung als gefährlich für die ungehinderte Entwicklung des globalen Kapitalismus eingeschätzt werden, war bereits vor Göteborg und Genua sichtbar.
Wenn sich, wie jetzt, Bewegungen unterschiedlichster inhaltlicher Provenienz – beispielsweise aus den Bereichen Kampf gegen Ausbeutung, Sexismus und Rassismus, Verteidigung der Menschenrechte oder Umweltschutz – zusammenschließen und gemeinsam gegen die Vormachtstellung wirtschaftlicher Prinzipien antreten, bedeutet das ein ungeheures Widerstandspotential.
Diejenigen, die die Macht innehaben, versuchen diese Bewegung mit verschiedensten Mitteln zu schwächen: durch Konstruktion von Gewalttätigkeit seitens und mittels der Medien, durch (Schein-)Integration einzelner inhaltlicher Forderungen, durch Diffamierung einzelner Gruppierungen, durch Anwendung von physischer und psychischer Gewalt...
dérive: Wie erfolgsversprechend - aus dem Blickwinkel der Herrschenden gesehen - schätzt ihr den Versuch ein, die TeilnehmerInnen der so genannten Antiglobalisierungsproteste mittels der »Gewaltdebatte« in gute und böse DemonstrantInnen zu spalten?
A. & B. Hummer: Die Gewaltdebatte ist ganz eindeutig ein brauchbares Instrument um die DemonstrantInnen in gut und böse zu spalten.
Vor allem jene, die mit den Protesten und ihren Inhalten grundsätzlich sympathisieren, ihre Informationen jedoch vorwiegend aus den bürgerlichen Medien beziehen, können auf diese Weise relativ leicht auf Distanz gebracht werden. Der oft immer noch bedingungslose Glaube in die Neutralität oder die guten Absichten der Polizei und ihrer Befehlsgeber wird möglicherweise durch die Ereignisse in Genua verstärkt in Frage gestellt.
dérive: Ihr werdet bzw. wollt eure Ausstellung auch in anderen Städten zeigen. Werdet ihr nach Genua und dem Tod von Carlo Giuliani die Ausstellung inhaltlich bzw. konzeptionell ändern? Gibts schon Termine?
A. & B. Hummer: Wir haben die Ausstellung so konzipiert, dass ein wesentlicher inhaltlicher Schwerpunkt auf den Protesten gegen die neoliberale Globalisierung liegt.
Die inhaltlichen Anliegen dieser Proteste und die Ansätze der einzelnen Gruppierungen werden präsentiert.
Zusätzlich haben wir mit der Lounge eine Möglichkeit geschaffen, aktuelle Entwicklungen zu präsentieren. Zu den Protesten und Ereignissen rund um Salzburg, Genua und folgender werden wir in der Lounge Material auflegen, Videos zur Verfügung stellen, die Linkliste zu den Widerstands-Websites erweitern,...
Auch planen wir – wo immer »PROTEST!« ausgestellt wird – Rahmenveranstaltungen anzuregen, die sich mit aktuellen Entwicklungen auseinandersetzen.
Wir sind derzeit in Kontakt mit einigen interessierten Gruppierungen, die die Ausstellung zeigen möchten, es gibt jedoch noch keinen fixen Tournee-Plan.
Andrea Hummer
Bernhard Hummer
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.