Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.


In dérive Heft 11 haben wir über den Hamburger Bauwagenplatz Bambule berichtet, um den es damals heftige Konflikte gab und der schlussendlich von der Polizei geräumt wurde. Dem Fotografen Stefan Canham fiel damals auf, dass es zwar eine unerwartet breite Berichterstattung in den Medien gab und die Fotos von DemonstrantInnen überall zu sehen waren, das Objekt der Aufregung selbst – der Bauwagen – jedoch nie ins Bild gekommen war.

Bauwagenplätze sind Ende der achtziger Jahre in der BRD entstanden und waren ursprünglich vermutlich eine Reaktion darauf, dass es zunehmend unmöglich wurde, neue Häuser für längere Zeit zu besetzen. Zurzeit gibt es in ganz Deutschland schätzungsweise 100 so genannte Wagenburgen mit rund 10.000 BewohnerInnen. Der Status reicht von der offiziellen Genehmigung der Verwaltung (inkl. infrastruktureller Unterstützung) bis zur ständig präsenten Räumungsdrohung. Die Wagenburgen liegen oft in zentralen und damit potenziell wertvollen städtischen Brachen, was wohl eine der Ursachen für die Konflikte mit den Kommunen ist. Goesta Diercks weist in seinem Essay zu den Fotos von Stefan Canham auf den „eigentümlichen Anspruch“ hin, dass die Stadt Hamburg ihr Prestigeprojekt Hafencity mit dem Angebot bewirbt: „Bürgern der Stadt, vielfältige neue Angebote städtischen Lebens und gerade auch des Wohnens, zu machen“. Und er vermutet, dass „vielleicht eine latente Angst der Stadtentwickler vor der Situation, dass Bauwagenbewohner die derzeit riesigen Brachen der Hafencity für sich entdecken und das Versprechen, dass hier Raum für ,individuelles‘ und ,kreatives‘ Wohnen geschaffen werden soll, beim Wort nehmen könnten, verantwortlich dafür (ist), dass die Verträge mit den bestehenden Plätzen in Hamburg zum Teil verlängert wurden.“

Canham konzentriert sich bei seinen Fotos auf die Innenräume der Bauwägen und hat alle aus zentralperspektivischer Sicht fotografiert, „um die Variationen innerhalb eines immer gleichen, sehr begrenzten Rahmens herauszuarbeiten“. Die Vorstellung, dass die BewohnerInnen hauptsächlich versiffte Hippies und Punks sein müssen und die Wägen dementsprechend eingerichtet sind, kann man bereits beim ersten Durchblättern als Irrtum beiseite schieben. Es offenbart sich ein durchaus breites Spektrum, das vom chaotischen Durcheinander über das Heimmusikstudio bis zur – fast möchte man sagen – geräumig wirkenden Gemütlichkeit reicht. Die BewohnerInnen selbst sind nie zu sehen, man erfährt allerdings, dass es sich sowohl um die erwarteten Hippies und Punks aber z.B. auch um Schauspieler, Gärtner oder Tai-Chi-Lehrer handelt. Klar wird jedenfalls, dass billiger Wohnraum nicht der alleinige Grund für das Bewohnen der Bauwägen sein kann. Die Motivation in eine Wagenburg zu ziehen ist vermutlich ähnlich wie die in einer WG zu wohnen. Kein isoliertes Nebeneinanderwohnen sondern (bei Bedarf) soziale Nähe und gemeinschaftliche Organisation des Wohnens.

Canhams Fotos können hoffentlich einen Beitrag leisten, mehr Verständnis für Lebensentwürfe abseits der Norm zu schaffen und manche vielleicht sogar ermutigen selbst initiativ zu werden, anstatt sich mit dem Gegebenen abzufinden.


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