Christoph Gollner


Soziale Stadt – Zwischenbilanzen – ein auf den unbedarften ersten Blick durchaus verwirrender Titel. Aber nein, es handelt sich beim vorliegenden Sammelband nicht um den Versuch einer nüchternen ökonomischen Zwischenbilanz einer heute fast schon anachronistisch anmutenden Utopie, sondern – der Untertitel deutet es an – um eine erste Evaluierung des deutschen Bund-Länder-Programms Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt, für das sich, so lehrt das Editorial, der Kurzbegriff Soziale Stadt durchgesetzt hat. Das Programm startete 1999 und konzentriert sich auf benachteiligte Stadtteile – „im Kontext der gesamtstädtischen Entwicklung“, so der Herausgeber Uwe-Jens Walther im Editorial. Und weiter: „Die Gemeinden waren aufgefordert, die aus ihrer Sicht besonders schwer betroffenen Stadtteile auszuwählen und für sie gebietsbezogene, integrierte und innovative Steuerungsansätze zu entwickeln, um Abwärtsspiralen zu stoppen und neue Handlungsmodelle zu erproben.“
Nun ist das Thema an sich zwar brandaktuell, aber nicht allzu brandneu: Die besorgten Befunde zur sich abzeichnenden Amerikanisierung – welche im konkreten Fall sozialräumliche Desintegration und Polarisierung in den Städten bezeichnet – unserer guten alten mitteleuropäischen Stadt sind mittlerweile Legion (man lese nach bei Alisch, Dangschat, Häußermann oder Heitmeyer, um nur ein paar Namen im deutschsprachigen Raum zu nennen). Neu am vorliegenden Band ist, dass hier ein Instrument, welches der von StadtforscherInnen konstatierten Entwicklung entgegen tritt, analysiert bzw., nach nur drei Jahren Laufzeit des Programms, eben zwischenbilanziert wird.
Diese Zwischenbilanz fällt äußerst kritisch, ja durchaus ernüchternd aus. Worum geht es? Das primäre Ziel der Sozialen Stadt ist die Verbesserung der sozialen Integration im Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf. In mehreren Beiträgen wird angeführt, dass etwa die Beseitigung von Armut oder Arbeitslosigkeit demgegenüber ein nachrangiges Ziel ist, bestenfalls ein „erfreuliches Nebenprodukt“, wie Andreas Kapphan in seinem Beitrag über Berlin schreibt. Es wird somit ein sinnvolles, aber eher diffuses Ziel verfolgt, das kaum messbar und daher auch politisch kaum zu verkaufen ist. Damit tut sich das traditionelle politisch-administrative System zumindest ebenso schwer wie mit dem Erfordernis von Organisationsinnovationen in Richtung integriertem, ressortübergreifendem Vorgehen. Eine gewisse Frustration wird da grundsätzlich (etwa bei Monika Alisch) und ganz konkret bei den Berichten aus der Praxis schon spürbar (etwa bei Christine Mussel für Kassel oder Johannes Boettner für Duisburg). Gesetzt wird auf die Aktivität einer lokalen Zivilgesellschaft – freie Träger, Vereine, Gruppen, etc. – als Substitut eines sich zurückziehenden Wohlfahrtsstaates. Dass die Mobilisierung einer Lokalbevölkerung, die sich, wie in den betreffenden Stadtteilen, zum großen Teil aus für die (Erwerbs-)Gesellschaft „Entbehrlichen“ – so nennt sie Jürgen Krämer beharrlich wie präzise – zusammensetzt, an enge Grenzen stößt, zeigen u.a. die Beiträge von Jürgen Krämer und Frederick Groeger bzw. von Volker Eick/Britta Grell deutlich. Es ist unter diesen Umständen kaum verwunderlich, dass der Sammelband als Zwischenbilanz großteils Soll-Sätze produziert. Präsentiert wird eine noch nicht wirklich fassbare Vision innovativer lokal ausgeprägter städtischer Sozialpolitik, ein ganz guter Überblick über den Versuch, globale gesellschaftliche Veränderungen lokal auszubaden. Ein Versuch, der in gewissem Maß zum Scheitern verurteilt sein muss: Hartmut Häußermann weist wohl zurecht darauf hin, dass Probleme, die nicht aus dem Stadtteil stammen, auch nicht von diesem gelöst werden könnten.
Die Gliederung in vier Abschnitte geht denn auch vom „Großen“ ins „Kleine“ und wieder zurück: Der erste Abschnitt Die Soziale Stadt als Problem- und Politikfeld thematisiert das Programm Soziale Stadt als solches (Uwe-Jens Walther) sowie dessen politisches und gesellschaftliches Umfeld (Martin Kronauer, Monika Alisch und Hartmut Häußermann). Der zweite Abschnitt, Praxis der Sozialen Stadt, widmet sich Erfahrungsberichten mit unterschiedlichen Schwerpunkten aus Berlin, Duisburg, Kassel und Hamburg. Im dritten Abschnitt Lokaler Sozialstaat? beschäftigen sich die Beiträge mit Rahmenbedingungen und Mitteln der lokalen Politik für den Aufbau nachhaltiger lokaler Strukturen. Der letzte Abschnitt bietet europäische Perspektiven mit englischsprachigen Beispielen aus Frankreich und Großbritannien sowie Analysen der Städtepolitik der EU. Ein relativ großer Rahmen also, dessen Gliederung nicht unbedingt zwingend ist und sich Überschneidungen demnach nicht ganz vermeiden lassen.
Es ist eine frühe Zwischenbilanz der Sozialen Stadt, die hier vorliegt. Auch wenn sich das Modell in eine Tradition sozialer Stadtpolitik einordnen lässt – wie dies Jürgen Krämer vorführt –, so wird hier insgesamt das enorm hohe Maß an innovativem Denken und geistiger Regsamkeit, das den Beteiligten abverlangt wird, deutlich. Stoff für viele weitere Zwischenbilanzen also.


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