Verena Bauer

Verena Bauer hat in Wien Vergleichenden Literaturwissenschaft und Romanistik studiert. Ihre Schwerpunkte sind Pop, Intermedialität und portugiesischsprachige Literatur.


Nicht nur woran, sondern wie soll erinnert werden? Der Berliner Checkpoint Charlie entwickelte sich so seit den 1990er Jahren zum Dreh- und Angelpunkt eines diskursiven Kampfes: Der bekannteste Grenzübergang vom amerikanischen in den sowjetischen Sektor wurde nach dem Fall der Mauer zu einem Ort, der durch ein Übermaß an Zuschreibungen charakterisiert wurde. Als physisches Zeugnis der Präsenz der Alliierten, als trennendes, aber auch verbindendes Glied zwischen Osten und Westen und als Fixpunkt des touristischen Interesses an der Geschichte der Stadt stand der ehemalige Grenzposten inmitten einer hitzig geführten Debatte zur Gedenkkultur der Stadt. Die überhasteten Privatisierungen des Geländes brachten aber ein weiteres Problem mit sich: Die Steuerung einer mit dem Checkpoint verbundenen, offiziellen Gedenkkultur oblag nicht mehr nur der Stadt, sondern auch privaten Anbietern der Heritage-Industrie. So trat nicht nur das privat geführte Mauermuseum mit dem Gedenkstättenensemble Bernauer Straße in Konkurrenz, die Errichtung des Freiheitsmahnmals fügte dem Diskurskomplex um den Checkpoint Charlie eine weitere, überlagernde Dimension hinzu – die des Mahnens an die Schicksale der Opfer.

Anhand der Wortspenden von PolitikerInnen, WissenschafterInnen und Kulturschaffenden in der Berichterstattung rund um den Streitpunkt Checkpoint Charlie verfolgt Sybille Frank, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsprojekt Eigenlogik der Städte an der TU Darmstadt, beinahe zu ausführlich die Diskussion um Erfordernisse, Möglichkeiten und Einschränkungen einer adäquaten, örtlich gebundenen Gedenkkultur in den letzten zehn Jahren. Im Zuge des generellen Trends zur Beschäftigung mit Themen der Gedächtnis- und Erinnerungskultur bedient sie sich aber nicht des etablierten Instrumentariums von Jan und Aleida Assmann, sondern arbeitet mit einem aus dem angloamerikanischen Raum entlehnten Theorieapparat zur Heritage-Debatte und verschiedenen Konzepten aus der Tourismusforschung. Dabei setzt Frank besondere Akzente auf die Frage nach Authentizität: Sowohl die Rekonstruktion des Kontrollpostens am Checkpoint Charlie als auch die restaurierten Mauerteile der Bernauer Straße können schwerlich als original angesehen werden. Aber welche Kriterien entscheiden dann über die Eignung eines Ortes als Erinnerungsort? Im Fall der zum Teil künstlich erzeugten Zuschreibungen des Checkpoints trugen die ungeregelten Aktionen zahlreicher AkteurInnen zu einer Heritage-Dissonanz bei: Einerseits endete die Kommerzialisierung des Gedenkanspruchs durch private Anbieter mit dem Vorwurf der „Disneyfizierung“ des Checkpoint Charlie zu einem Themenpark der deutsch-deutschen Geschichte. Andererseits bestand seitens der Opferverbände, der Stadtbevölkerung und der TouristInnen weiterhin das Bedürfnis nach einem Ort, der die Aufarbeitung der Geschichte repräsentierte – auch wenn die Vorstellungen der verschiedenen Gruppen radikal voneinander abwichen. Vor allem touristische Überlegungen nahmen immer größeren Einfluss auf die Interpretationen des Checkpoint Charlie – die bessere räumliche Zugänglichkeit und der hohe internationale Symbolwert schienen, trotz oder eben wegen der als pathetisch erachteten Inszenierung des Freiheitsmahnmals, einen größeren Anziehungspunkt auszumachen als die tatsächlichen Spuren der Mauer durch die Stadt. Die Lösung für die immer widersprüchlicheren diskursiven Überlagerungen der Gedenkstätte bot für die Berliner Stadtpolitik schlussendlich die öffentliche Checkpoint Gallery, die dokumentarischen Anspruch mit einer übersichtlichen räumlichen Verlinkung des Gedenkstättenangebots für BesucherInnen verband.


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