10104 Angelo View Drive
»Dorit Margreiter. 10104 Angelo View Drive«, Ausstellung in der MUMOK Factory, WienDorit Margreiter
10104 Angelo View Drive
November 2004 - 16.Jänner 2005
MUMOK Factory, Wien
»I believe in obsessions« sagt Tycoon James Goldstein im Interview für die New York Times. Auf seiner Homepage präsentiert sich »Citizen Jim« in Stetson und Anacondastiefeln und lüftet das Geheimnis seiner teuren Gepflogenheiten: architecture, baseball, fashion, television. 150.000 Dollar jährlich etwa, lässt der Superfan für die National Baseball Association springen. Soeben ist er dabei, eine Stiftung zur Bewahrung seiner exklusiven Modesammlung einzurichten. Mindestens ebenso exklusiv ist Goldsteins Unterkunft. Er bewohnt ein Architekturjuwel auf den Hügeln über Beverly Hills: Das Sheats-Goldstein House, mit dem John Lautner 1963 am Angelo View Drive eine Pilgerstätte für Modernimusfreaks auf die Felsklippe stemmte, die sich in weiterer Folge zur Nobeladresse der Bösen und Zwielichtigen im Hollywoodkino mausern sollte
Goldstein reihte das Haus 1981 in seine Perlenkette des Erlesenen ein, lange nachdem die ursprünglichen Bauherren ausgezogen waren. In »horriblem Zustand« hätte es sich befunden und kein geringerer als Lautner selbst wurde mit der Renovierung beauftragt. Was von allem Anfang an nicht gerade dem American Dream des typischen Reihenhäuschens für Vater, Mutter und fünf Kindern entsprach, bekam durch den Relaunch ein Momentum, das selbst seinen Schöpfer verstörte. Lautners »california baroque aesthetics« der verschwenderischen Volumen, konkaven Formen und Aussichten im Cinemascope verschnitten mit raffinierter Technik und erstaunlichen Materialien war so futuristisch, dass sich Filmproduzenten die Klinke in die Hand gaben: Das Böse in Ernst Stavro Blofeld (Diamonds are Forever) und die Perversionen von Pornoproduzent Jackie Treehorn (The Big Lebowski) könnten nirgend anders wo besser angesiedelt sein.
Nun ist Citizen Jims Xanadu buchstäblich filmreif: gebaute Kinematografie. Mit einem schwebenden Betondach und rahmenlose Glaswänden, die sich wie von selbst öffnen und schließen hebt die Architektur als »Handlung« in die Science Ficition ab. Der illuminierte Pool sendet gallertige Signale aus, Wasser sprudelt und versiegt, elektrisch betriebene Holzabdeckungen geben Bassins frei, der solide Betonsockel gebiert ein Fernsehgerät. Wie überhaupt das gesamte Interior Design eine avancierte Wohnlandschaft in Beton und Leder kein 90 grädigen Winkel kennt. Lautner erschüttert das Vertrauen in Baunormen durch verblüffende Destabilisierungsstrategien: Schwerkraft, was ist das ?
Die spätmodernistische Residenz steht im Mittelpunkt von Dorit Margreiters brillianter Studie zu den Beziehungen von Film, Fernsehen und dem architektonischen, medialen und sozialen Raum, die soeben im Museum moderner Kunst gastiert. Für ihre neueste »production of space« arbeitet sie mit punktgenauen Gegenüberstellungen jener beiden Features, die im Goldstein Houese aufeinandertreffen: Architektur und Kino. So organisiert sie ihre Filminstallation in der Factory als Montage von schwereloser Projektion und manifestem Objekt in einer Black Box. Der 16mm Film rattert in der einen Raumhälfte über einen schwebenden Screen, in der anderen leuchtet ein Scheinwerfer das Modell des besagten TV Geräts samt Betontisch theatralisch aus. Dazwischen stehen Nachbauten von Studioequipment wie Lichtreflektoren, die aufs Expanded Cinema der siebziger Jahre verweisen, als Präsentation, Produkt, Produktion und Wirklichkeit eins waren. Die Partizipation des Publikums war damals Voraussetzung und ist auch für Dorit Margreiter fundamental, und so gibt es keine bequemen Kinosessel, um es sich für den Bildkonsum gemütlich zu machen. Der Film soll stehend, schlendernd, in einer Art aktiver Raumaneignung betrachtet werden.
Dokumentation und Fiktion treffen in Margreiters Film aufeinander. Die Anfangssequenz – alle Einstellungen sind mit statischer, also objektiver Kamera aufgenommen – zeigt Los Angeles im Panorama. Ein senkrechter Riss im Bild entpuppt sich als Kante der gläsernen sliding doors, die als dynamische Architektur und Theorieversatzstück der »Screen« als kultursoziologische Schnittfläche eine Hauptrolle spielen. Der einzige Schwenk im Film aber führt uns aus der cleanen Doku in die wundervolle Welt der Körper und ihrer Geschichten: Die Toxic Titties, queere Performerinnen, lassen, angetan mit sensationellen Kostümen, in der (an)strengenden Männerwelt einen rebellischen, feministischen Aktionismus ab. »Nicht zuletzt« schreibt Kurator Matthias Michalka in dem in jeder Hinsicht gelungenen Katalog, »macht 10104 Angelo View Drive deutlich, dass die Unterscheidung in ‚wirklich‘ und ‚fiktional‘ für die Wirksamkeit eines medialen Raums nur noch von relativer Bedeutung und das Modell der Heterotopie (Foucault) daher auch auf den medialen Raum zu übertragen ist«.
Dorit Margreiter
10104 Angelo View Drive
November 2004 - 16.Jänner 2005
MUMOK Factory, Wien
Brigitte Huck