Ljubomir Bratić

Ljubomir Bratić lebt als Philosoph, Sozialwissenschaftler, Publizist, Aktivist und Flüchtlingsbetreuer in Wien.


Das war der Tag, an dem die Einigkeit über die »Zulassung der Fremdarbeiter« zwischen den Sozialpartnern zustande kam. Gerade in diesen Wochen sind also 40 Jahre vergangen, und es ist Zeit, ein wenig nachdenklich einen Rückblick auf dieses Jubiläum, das keiner offiziellen Stelle eingefallen ist, zu werfen. In Deutschland, das zur Zeit 40 Jahre Anwerbevertrag mit der Türkei feiert, wurden mehrere Festivitäten veranstaltet. Im Ford-Werk in Köln kam sogar ein Symphonieorchester zum Einsatz. In Österreich nichts, Stillstand. Es ist, wie es immer war: tu felix austria tace.
Nun, worauf blicken wir zurück? Als erstes fällt mir natürlich die Politik der jetzigen Regierung ein. Diese wird durch mehrere Säulen der Ausschließungsmaßnahmen charakterisiert: durch Gesundheitschecks für die SeuchenträgerInnen MigrantInnen, durch die drastische Kriminalisierung von AsylwerberInnen, den sogenannten »Integrationsvertrag« und möglicherweise durch eine Umstrukturierung der Entscheidungskompetenz in der Anwerbepolitik, denn die Bundesländer sollen in Zukunft durch Verträge selbst regeln, wie viele MigrantInnen aus den Nachbarländern sie anwerben wollen.
Zurückblickend finden wir diese Maßnahmen – außer die letzte, die als ein Schlag gegen den ÖGB anzusehen ist – auch im Repertoire der rot-schwarzen Koalition in den vergangenen Jahrzehnten. Sie war jene, die Quoten für die Familienzusammenführung eingeführt hat, die FremdenpolizistInnen selbstverständlich einen freien Zugang zu den Wohnungen der MigrantInnen erlaubte, wo sie diese ausmaßen, fotografierten und sich Notizen über die Lebensumstände der Menschen machten. Rot-Schwarz steht hinter der Demontage der Genfer Flüchtlingskonvention, hinter der Versetzung des Bundesheers an die Grenze, hinter der Verschärfung des Asylgesetzes und hinter dem ultrarassistischen Aufenthaltsgesetz von 1993. Dieses Gesetz führte zu einem sehr großen Exodus in der Zweiten Republik. In diesem Gesetz stand, um der Klarheit willen einen der Paragrafen zu erwähnen, dass die Behörde, falls sie nicht innerhalb von sechs Wochen über einen rechtmäßig eingebrachten Antrag zur Verlängerung des Aufenthalts entschieden hat, diesen Antrag als negativ entschieden betrachten darf. Die »Strukturbereinigung« als deklariertes Ziel dieses Gesetzes gelang vortrefflich und endete Ende der 90er Jahre in der Todesserie von AsylwerberInnen. Der erste, der von der Öffentlichkeit registriert wurde, war Marcus Omofuma, der am geschichtsträchtigen 1. Mai 1999 getötet wurde.
Wenn wir noch weiter zurück blicken, dann sehen wir auch die Entstehungsgeschichte des Ausländerbeschäftigungsgesetzes in der ersten Hälfte der 70er Jahre. Wir sehen den ÖGB, wie er krampfhaft versucht, möglichst viele rassistische, protektionistische Paragrafen in ihm zu installieren. Entstanden ist ein Spiegelbildgesetz, dessen wahrer Vorläufer das, ehrlicher bezeichnete, »Inländerschutzgesetz« aus dem Jahr 1928 war. Und wir sehen Menschen, die damals wie heute mittels dieses Gesetzes zahlenmäßig jeweils zu einem Drittel in die Reinigungsbranche, das Baugewerbe und das Gastgewerbe einzementiert wurden. Alle, die in dieser Gesellschaft etwas entscheiden können, haben sich für diese Ausschließungen eingesetzt. Und die anderen, die für sich die nationalstaatliche Konstruktion »StaatsbürgerIn« beanspruchen, haben es stillschweigend akzeptiert. Nur manche haben von Zeit zu Zeit zu Multi-Kulti-Festivitäten aufgerufen, wo sie sich den Kebab-Träumen ruhig hingeben konnten. Toleranz und das I-Wort wurden gepredigt, Ausschluss und Ethnisierung praktiziert. Die traute Eintracht in »Informalität« und »Intimität«, wie sie beim Zustandekommen der Vereinbarung vom 18. 9. 1961 zwischen Julius Raab, dem damaligen Präsidenten der Wirtschaftskammer, und Franz Olah, dem ÖGB-Präsidenten, bestand, ist ein Phänomen, das sich durch die ganze Gesellschaft zieht.
Die Frage, die ich an euch alle stellen möchte, ja, auch an euch, die sich als MigrantInnen-FreundInnen ausgeben, ist die nach der Zahl der MigrantInnen in den Entscheidungsgremien, wo ihr sitzt und wo über Gelder für Projekte entschieden wird, die ihr einreicht. Die Antwort kennen wir alle – auch ohne große wissenschaftliche Täuschungsmanöver – und lautet: »Keine!« Also wenn ihr etwas für MigrantInnen tun wollt, wählt sie in die Positionen, die bisher nur für StaatsbürgerInnen reserviert waren. Nur so könnten wir vielleicht in Zukunft das Jubiläum vom 18. 9. 1961 als einen Tag feiern, der zur wesentlichen Demokratisierung der Gesellschaft beigetragen hat. Zur Zeit leben 9,1 % der Bevölkerung in Österreich in einem Staat, der für sie keine Legitimität besitzt. Und zwar deswegen, weil sie nur AdressatInnen und nicht auch die AutorInnen des Rechts sind, das über sie verhängt wird. Überlebt haben sie, und organisiert haben sie sich auch. Die Zahl der MigrantInnen ist dank dieser selbstorganisierten Strukturen seit 1991 um 215.549 gestiegen. Und sie wird weiter wachsen, wenn Demokratie glaubhaft vertreten werden will.


Heft kaufen