Udo W. Häberlin

Udo W. Häberlin studierte Stadt- und Raumplanung u. a. bei Detlef Ipsen, Ulla Terlinden und Lucius Burckhardt in Kassel. Er arbeitet bei der Stadt Wien, Abteilung Stadtplanung und -entwicklung.


Die bisher einzige Weltausstellung in Österreich im Jahre 1873 ging nicht gebührend in die Geschichtsschreibung des Landes ein. Ein kollektives Bewusstsein für das Novum und des historischen Höhepunkts fehlt. Dies gilt auch für den cultural turn und die Neuerungen, die Kurator Wilhelm Exner einleitete, da er »Freiheit und Bildung als Voraussetzung für die Entwicklung von Gewerbe und Industrie« sah. Die Weltausstellung sollte nicht mehr nur als Umschlagplatz von Waren und Wissen für eine optimale Distribution des Produktionsstandards und Marktes (als Narrativ des ökonomischen Wachstums und der Leistungsoptimierung) dienen. Vielmehr sollte sie nun einen Aufschluss über den aktuellen, auch kulturellen Leistungsstand und Ressourcenreichtum der Nationen geben. Diese Kompetenz galt es durch die 53.000 Ausstellenden unter Beweis zu stellen und ein wirksames Image zu erzeugen.
Von nun an entwickelten sich die »Expositionen«, kurz »Expo« genannt, immer stärker zu Universalausstellungen, zu der auch kulturelle, soziale und bildungspolitische Beiträge erwartet wurden. Dabei hatten die ÖsterereicherInnen die Gelegenheit, ein Nationalgefühl ohne »Herrschaft« und »Kriege« zu empfinden. Immerhin dürfte das Ereignis der weitreichendste doppelte Ansporn der Wien-Innovation gewesen sein. Denn die Planung mit Versorgungsstrukturen ging weit über das gigantische Ausstellungsgelände hinaus und fungierte als Motor der (Groß-)Stadtentwicklung. Zusätzlich verfolgte das Groß-Event einen umfassenden Aufklärungs- und Bildungsanspruch, bis hin zur Präsentation von Konzepten wie beispielsweise Schulpädagogik in Indien.
Die Ausstellung mit dem vollmundigen Titel »Welt ausstellen« in Wien versucht nun Hintergründe und Teile des Erbes zum Schauplatz von 1873 zu zeigen. Die Zeitreise umfasst nicht nur den internationalen Wissenstransfer von damals, sondern auch den innerhalb der Stadtgeschichte. Denn wertvoll und herausragend sind nicht nur die im Archiv des im Technischen Museums liegenden Schätze der Expo, sondern auch das Großereignis selbst.
Die aktuelle Präsentation verdeutlicht dies anhand von Plänen, Katalogen und Fotos. Gleich am Beginn der Ausstellung liefert der historische »Plan des regulierten Praters« einen Überblick des Expo-Geländes: Die handkolorierte Zeichnung zeigt die Dimensionen der Anlage, die von der Hauptallee bis zum eigens erbauten Bahnhof reichte. »40 Tage im normalmäßigen Truppenmarsch« wären nötig gewesen, um alle Teile der Ausstellungsstadt zu sehen. Ein weiterer Plan zeigt die räumlichen Sektoren, die zum ersten Mal nach geografischen Gesichtspunkten eingeteilt wurden; weiters die riesige Maschinenhalle, die Agrikulturhalle, die Pavillons und Annexe, die Kunsthalle und den Industriepalast mit Rotunde im Zentrum, überspannt durch die damals größte Kuppel der Welt! Der Wasserleitungsplan verdeutlicht die »mustergültige infrastrukturelle Ausstattung« des Areals im Prater.
Insgesamt 95 Bände umfassten die Kataloge zur Weltausstellung, von denen hier ungefähr ein halber Meter Bücher in Ledereinband präsentiert wird. Viele tausend Seiten wurden von internationalen Fachleuten verfasst, um das know how geballt an einem Ort enzyklopädisch zu erfassen. Darunter auch der »Catalog für die österreichischen Frauenarbeiten«, der einen eigenen Pavillon beschrieb. Viele Studien der Kataloge und Stadtführer wären noch nötig, um ein »Bild der Culturbestrebungen der Jetztzeit« von damals zu zeichnen!
Um konkrete Bilder geht es im dritten Teil der Ausstellung. Rund 250 Aufnahmen und Lichtdrucke der »Photographen-Association« sind im Archiv gelagert und werden erstmals präsentiert. Sie verdeutlichen nicht nur den fototechnischen Stand der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, sondern auch das Weltereignis selbst. Dies geschieht von der Baudokumentation bis zu den populär werdenden Postkarten. Doch »das Spektakel kann nicht als (...) Produkt der Techniken der Massenverarbeitungen von Bildern begriffen werden. Es ist vielmehr eine tatsächlich gewordene, ins Materielle übertragene Weltanschauung. Es ist eine Anschauung der Welt, die sich vergegenständlicht hat«, wie Debard 1978 in »Der Traum vom Glück« beschreibt. Diese Weltanschauung verkörpert einerseits den dialektischen Anspruch der Technisierung mit imperialen Machtinteressen und andererseits einen kulturellen Auftrag, der ein populäres Alternativprogramm mit anthropologischen Präsentationen aus Kolonialländern verband. So wurde eine Mischung aus exotischem Flair und Authentizität entfernt lebender Völker »zum Greifen nah« ermöglicht. Diese Ergänzung zu den Wirtschaftsdisziplinen (nicht mehr herkömmliche Produkt- und Branchenenteilung) wurde bereits damals mit den wichtiger werdenden Bildungsreisen und dem Fremdenverkehr in Wien begonnen.
Das Schau- und Unterhaltungsbedürfnis wirkt bis heute in Shopping Malls und Vergnügungsparks. Bisher wurde jedoch verkannt, dass diese »Verführung des Blicks« hier ihren Anfang genommen hat. Das selbe gilt für die Verbreitung der inszenierten Raum-Ästhetik in der Architektur. Der Hauptgrund für die traurige Geringschätzung scheint der unterbliebene take off, verursacht durch Börsenkrach und Cholera-Epidemie, gewesen zu sein. Aber auch heute, nach 131 Jahren, ist nichts übrig von dieser Weltschau in Wien. Warum werden die Platzhalter so negiert, dass beispielsweise erst neulich ein Parkhaus an den Rotundenstandort gesetzt wurde? Die Ausstellung im Technischen Museum hat als ein Anhängsel der Sonderschau Massenware leider zu wenig Priorität. Die Dimensionen sind fast zu übersehen, zumal die Schau im Kantinenbereich platziert ist. Hier gibt es keine Wände, die genutzt werden konnten, obwohl das Haus noch viele Räumlichkeiten und Wände frei hätte. Somit fehlen auch groß(-formatig)e Impressionen in der aktuellen Schau. Die magere Beleuchtung trägt auch nicht zu spektakulären Ausstellungserlebnissen bei. Doch ein kleiner Trost bleibt. Eine würdige und umfassende Auseinandersetzung stellt der Ausstellungskatalog dar. Die Autorinnen zeigen, dass ein großer Teil des Ruhmes, von dem Wien heute noch zehrt, seine Grundlagen in der Zeit der Weltausstellung hat. Ich hoffe, dass die Ausstellung einen Beitrag dazu leistet, dass negierende Verhaltensweisen wie die unreflektierte Verbauung des Expo-Areals künftig durch Sensibilität und historisches Wissen vermieden werden können. Phantasielose Architekten und Architektinnen und nicht integrierte Stadtplanung sollten dieses historische Erbe nicht noch weiter verleugnen.
Weiters bleibt zu wünschen, dass geeignete (Kultur-) Instanzen die wertvollen Erinnerungen des Schauplatzes Wien 1873 aufgreifen, um diese angemessen und ehrenwert zu transportieren. Elke Krasny, Manuela Fellner-Feldhaus und Ulrike Felber haben einen wertvollen Anfang geliefert.

»Welt Ausstellen«
Sonderausstellung 
28. Oktober 2004 bis 27. Februar 2005
Technisches Museum Wien


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