»An honest monumental record surrounding us«
Besprechung von »Monumental Lies. Culture Wars and the Truth about the Past« von Robert BevanRobert Bevan
Monumental Lies. Culture Wars and the Truth about the Past
London: Verso, 2022
368 Seiten, 19,99 Euro
In dem 2022 erschienenen Buch Monumental Lies. Culture Wars and the Truth about the Past zeichnet der Autor Robert Bevan, ein gebürtiger Australier und freischaffender Denkmalschützer sowie Architekturjournalist mit Sitz in London, ein globales Panorama von gegenwärtigen Kulturkriegen mit und anhand von Denkmalen, Gebäuden und ganzen Stadtvierteln. Er behandelt sowohl die vom Verfasser dieser Zeilen angestoßene Debatte um Rechte Räume im Allgemeinen und die politischen Ursprünge der Neuen Frankfurter Altstadt im Besonderen als auch Kontroversen um Judensäue in mittelalterlichen Kathedralen, um Prince Charles’, Roger Scrutons und Léon Kriers rechtslastige Suche nach vermeintlich verlorener Schönheit oder um digital fabrizierte Kopien zerstörter Artefakte, die, wie im Falle von Palmyra, als Ersatz für den dort 2015 vom Islamischen Staat vernichteten römischen Triumphbogen dienen sollen. Bevan macht keinen Hehl draus, dass es ihm um eine dezidiert linke Perspektive auf das Thema Denkmalschutz und -pflege geht, und bedauert: »Sympathetic accounts of heritage on the Left are few, and it is one of the great cultural tragedies of the past half century that the Left has ceded the heritage narrative to conservatives.« Vor diesem Hintergrund ruft er entsprechende Bemühungen aus dem sozialistischen Arm der Arts-and-Crafts-Bewegung in Erinnerung, in deren Tradition er sich mit Monumental Lies stellt: »William Morris and his Society for the Preservation of Ancient Buildings, the National Trust, and the creation of National Parks are among the many preservation initiatives that have their roots in a socialist resistance to capitalist spoliation and not nostalgic Little Englandism and country house tours. Today’s Left has forgotten its own history and now treats all heritage with suspicion. Given the way heritage has been used as a form of Tory entryism into the cultural sphere, this is hardly surprising. Still, it would be a fine thing if the Left could reclaim the symbolic high ground when it comes to heritage and preservation, because heritage and the past constantly come back to bite us.«
Bevan weiß nur zu gut, dass linker Respekt vor gebautem Erbe aktuell schwerer denn je zu haben sein dürfte, da im Zeichen von Intersektionalitätsdiskursen fast jeder positive Traditionsbezug unter strukturellem Sexismus- und Rassismusverdacht steht. Entsprechend wartet Monumental Lies mit einer gründlichen Rekapitulation der durch die Black-Lives-Matter-Bewegung nochmals angeheizten Streitereien um Konföderiertendenkmale in den USA oder Statuen von Sklavenhaltern wie Edward Colston in Bristol bzw. Kolonisatoren wie Cecil Rhodes in Oxford auf. Zurecht sieht der Autor in der westlichen Denkmallandschaft die Manifestation einer kulturellen Hegemonie von »rich, white, and (ostensibly at least) straight men« – und unterfüttert derlei Aussagen mit erstaunlichen Lokalstatistiken: »In Edinburgh there are more statues to dogs than real-life females; in London more figures of animals than named women.« Demgegenüber plädiert Bevan für mehr Erkenntnisinteresse an historisch gewachsenen Ungerechtigkeiten: »Any true reckoning with the past needs to move beyond oversimplified accounts of colonialism that seek to formulate positive/negative balance sheet evaluating, say, railway building versus army massacres under the British Raj or that weigh bigoted civic philanthropy against mass murder of enslaved Africans.« Entsprechend wendet sich der Autor auch gegen die »retain and explain«-Politik der konservativen britischen Regierung. Diese, so Bevan, »seeks to retain all and explain nothing«.
In ihr sieht der Autor ein »heritage equivalent of greenwashing«. Ein völlig anderer Ansatz sei daher vonnöten. Doch wie könnte der aussehen? Monumental Lies wird von einer thematischen Klammer zusammengehalten, die ihren Blick nach Bozen wirft, und zwar auf die 1939 und 1942 nach Plänen von Guido Pelizzari, Francesco Rossi und Luis Plattner entstandene Casa Littoria – das ehemalige Parteigebäude der Nationalen Faschistischen Partei, das heute als Finanzamt dient. An der dem Gerichtsplatz (Piazza del Tribunale) zugewandten Hauptfront prangt das größte Relief Europas: ein 36 Meter breites und 5,5 Meter hohes Travertin-Werk des Bozner Bildhauers Hans Piffrader mit dem Titel Der Triumph des Faschismus. Im Zentrum des erstaunlicherweise erst 1957, also über ein Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, fertiggestellten Reliefs reitet Benito Mussolini mit faschistischem Gruß, darunter steht in Stein gemeißelt ein faschistisches Motto: »credere, obbedire, combattere« (»glauben, gehorchen, kämpfen«).
2017 wurde nach einem Vorschlag der Grödner Künstler Arnold Holzknecht und Michele Bernardi sowie langen Diskussionen, bei denen auch die Komplettentfernung des Reliefs im Raum stand, eine Leuchtschrift vor das Piffrader-Werk montiert, auf der in Widerrede zum faschistischen Motto zu lesen ist: »Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen«. Es handelt sich dabei um einen verkürzt wiedergegebenen Satz von Hannah Arendt. Die Philosophin äußerte 1964 in einem Radiogespräch mit Blick auf Adolf Eichmanns perfide Behauptung während des Jerusalemer Prozesses, wonach er den Holocaust im Einklang mit Immanuel Kants Moralphilosophie mitorganisiert habe: »Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen bei Kant«. Bei Bevan wird aus der Bozener Intervention ein Paradebeispiel für den Umgang mit problematischen Artefakten aller Art: »The monument is preserved but its meaning has been changed by the addition of the condemnatory phrase.« Gegen linke Abrisswut und rechte Verharmlosungs- und Normalisierungsstrategien plädiert er für den Erhalt von toxisch empfundenen Artefakten, kombiniert mit entschlossenen Anti-Botschaften. Das ist mehr als nachvollziehbar, aber freilich nicht ganz neu, denkt man an die lange Tradition der Gegendenkmale, beispielsweise dasjenige von Alfred Hrdlicka beim so genannten 76er-Denkmal von Richard Kuöhl in Hamburg. Diese Tradition wird von Bevan jedoch so gut wie nicht thematisiert.
Dafür breitet er in längeren Passagen eine Art Denkmalethik aus, mit der Authentizität als Basis für allgemeine Weltorientierung aufgewertet wird: »In an era of anxiety about fake news and fading memories«, heißt es in der Schlusspassage, »it is more important than ever to have an honest monumental record surrounding us and to understand how the built environment constructs consent.« Mehr noch: »We need to be able to trust the tangible world around us and to trust that change comes through the agency of people, not things.« Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Doch denkt man etwa an den japanischen -Ise-jing-u-Schrein, der seit rund 1.000 Jahren alle 20 Jahre neu errichtet wird, bleibt bei allen Verdiensten des Buches als Wermutstropfen, dass Bevan, auch wenn er das asiatische Beispiel kurz erwähnt, den latenten Eurozentrismus seiner Authentizitätsemphase nicht reflektiert. Diese wird auch kultur- und medienhistorisch nicht eingeordnet. Und so präsentiert Bevan als architektur- und denkmalpolitische Kur gegen die Destablisierungen und *arché-*Zerrüttungen eines neoliberalen Zeitalters Sozialer Medien eine Art Neuauflage der Arts-and-Crafts-Bewegung. Diese wollte bekanntlich, schockiert wie sie war von der liberalismus-befeuerten Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ihr sozialistisches Heil in einem vorindustriellen Pseudo-Mittelalter finden. Insofern ist Monumental Lies bei allen lesenswerten Passagen ein nostalgisches Movens nicht abzusprechen.
Stephan Trüby ist Professor für Architekturtheorie, Direktor des Instituts Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGmA) der Universität Stuttgart und Autor.